Re: PJ Harvey

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jan-lustiger

Registriert seit: 24.08.2008

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Okay. Einmal mit viel Geduld.

SokratesIn England kennt sie sich aus, in Amerika ließ sie sich von einem Washington-Post-Schreiber durch die Gegend fahren (siehe Link unten). Sozialkritik aus zweiter Hand – toll. Abgesehen davon ist Musik wichtiger als der Text, sonst könnte ich die Texte lesen. Ich fand England Shake nicht wegen der Texte gut.

Ich weiß nicht, wie lange PJ Harvey Zeit in den USA verbracht hat, weswegen ich mir kein Urteil darüber erlauben kann, wie gut sie sich dort auskennt. Ich weiß allerdings, dass die Frage, ob und von wem man sich durch die Gegend fahren lässt, ein unlässiges Kriterium für Rückschlüsse auf die Vertrautheit mit einem Land ist. Du musst mir auch noch erklären, wie Harveys Sozialkritik zu Sozialkritik aus zweiter Hand wird, wenn sie einen Fahrer dabei hat. Oder hat der ihr etwa den Song geschrieben und sie war gar nicht da? Aber ganz abgesehen davon kann man ganz gut sagen, dass es

SokratesAnmaßender Unsinn. :-)

ist, die Inhalte eines Albums, das man nicht kennt, wegen eines Stücks Trivia („Für einen Song fuhr PJ Harvey mit einem Journalisten durch Washington.“) abzutun. Dass du schon den Vorgänger nicht wegen der Texte mochtest: Geschenkt und macht den ganzen Unsinn, den du außenrum gepackt hast, eigentlich überflüssig.

SokratesFalsch. Empirischer Befund. Guckst Du nochmal in Ruhe durch deine Plattensammlung.

Ich dachte mir schon, dass du mit Empirie kommen wirst, da du die Angewohnheit hast, deine Posts mit Argumentationsmustern in Verbindung zu bringen, die in dem Kontext nicht logisch haltbar sind. Gehen wir die Sache also nochmal durch: Deine Aussage beruht auf einem ästhetischen Urteil, das du als empirisch belegbar siehst, da du es anhand deiner Person und deiner Plattensammlung für bewiesen betrachtest. Der erste große Stein, den du dir da für einen Allgemeingültigkeitsanspruch in den Weg legst, ist bereits die Abhängigkeit, in die sich deine Aussage zu den Indikatoren „Sokrates“ und „Sokrates‘ Plattensammlung“ begibt.

Das liegt daran, dass du ästhetisch urteilst, was Probleme mit sich bringt, die die Empirie sonst nicht hat. Was ihre Beziehung zu dieser angeht, ist die Ästhetik nämlich ein dialektisches Prinzip, was bei gängigeren empirischen Erhebungen nicht der Fall ist, wie etwa in der Naturwissenschaft. Dein ästhetisches Urteil jedoch ist auf eine Weise empirisch deduzierbar und auf eine andere nicht. Zum einen ist es das Ergebnis eines Kultivierungsprozesses, der mit deiner Geburt begonnen hat und sich durch dein ganzes Leben zieht. So ließen sich theoretisch Rückschlüsse darauf ziehen, wieso du bestimmte Musik so beurteilst, wie du es tust. Trotzdem wäre das in vieler Hinsicht ein schwieriges Unterfangen, ansonsten könnte man ja mit purer Logik fehlerfrei voraussagen, wem welche Musik gefallen wird, bevor er sie je gehört hat. Es gibt also noch einen unbestimmten Faktor, der sich einschaltet, wann immer ästhetisch geurteilt wird. Bauchgefühl nennt man das wohl meistens.

Beides führt dazu, dass sich der von dir formulierte Allgemeinheitsanspruch nicht halten lässt. Denn zu einem ist das Bauchgefühl nicht empirisch greifbar und damit eine unmittelbare Eingliederung in den Kontext einer empirischen Erhebung fragwürdig, und zum anderen war dein Kultivierungsprozess genauso wenig meiner wie deine Geburt meine war. Daraus folgt, dass, selbst wenn wir das Bauchgefühl außen vor lassen, wir beide mit der gleichen empirischen Methode bezogen auf die gleichen Gegenstände (bestimmte Platten etwa) zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen können, die dann dennoch beide vollkommen logisch sind. Das führt das Prinzip der empirischen Untersuchung ins Absurde, weshalb sie hier als Argumentationsmuster unbrauchbar ist. Und würde nun einer von uns behaupten, dass seine unter den gleichen Vorzeichen entstandenen Ergebnisse gültiger sind als die des anderen, dann wäre das

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Nun hört dein Fehlschluss hier noch nicht einmal auf. Denn obwohl unsere empirischen Findungen für sich genommen logisch wären, so wären sie dennoch nur schwer zulässig, wenn man mal noch eine Ecke weiterdenkt. Die Faktoren, die wir uns noch nicht näher angesehen haben, finden sich im Begriff des Titelsongs. Titelsongs sind verknüpft mit bestimmten Alben, die dann wieder mit bestimmten Künstlern verknüpft sind. Nun ist es sicherlich richtig, dass es Künstler gibt, die Titelsongs eine bestimmte Gewichtung zukommen lassen, etwa wenn eine Platte ein ausgeprägteres Konzept hat als üblich und der Titelsong als Schlüsselstück in diesem Konzept gilt. Nun ist aber weder jedes Album gleich konzipiert, noch agieren Künstler alle mit der gleichen Einschätzung dessen, weshalb sie Titelsongs auf ihre Platten packen.

Es gibt Alben, da war der Titelsong von Anfang an das Herzstück, und es gibt Alben, da war nach Abschluss der Aufnahmen noch kein Titel da, also hat man eben einen Songtitel hergenommen, der auch gut als Albumtitel funktioniert. Im ersten Fall ist die Wahrscheinlichkeit, das besondere Aufmerksamkeit in den Titelsong geflossen ist, recht groß, im zweiten Fall ist es völliger Zufall. Doch beide Szenarien sind gleichberechtigt denkbar (und es sind noch nicht einmal die einzigen denkbaren Szenarien). Und dann ist es eben auch noch von den Künstlern abhängig, wie viel Wert sie einem Titelsong zukommen lassen. Du bräuchtest verbindliche Aussagen von einem Großteil aller Musiker, um eine zulässige Aussage darüber treffen zu können, ob es der Musikwelt ein Anliegen ist, dass der Titelsong „meist der stärkste Song“ ist.

Noch absurder ist die Sache aber ja, weil du die Einordnung des Titelsongs in den Albumkontext, die ja eindeutig dem Künstler (vielleicht noch unter Mitsprache vom Produzenten oder dem Label) unterliegt, im nächsten Schritt auf dein eigenes ästhetisches Urteil beziehst. Da auch für Musiker gilt, dass ihr Kultivierungsprozess nicht der deine war, hat deine Aussage auch in diesem Kontext nur dann Anspruch auf logische Gültigkeit, wenn Künstler ihre Titelsongs so konzipieren, dass sie die Songs sind, die am meisten mit deinem Kultivierungsprozess – und deinem Bauchgefühl – kompatibel sind. Aber das wäre ja

SokratesAnmaßender Unsinn. :-)

SokratesNochmal falsch, guckst Du hier. Die erste Auskopplung. Schläfst Du mit offenen Augen? Vorm Rummeinen bitte kurz Faktencheck. Hilft.

Kommen wir also zu dem Punkt, der die komplette Diskussion vollkommen unsinnig macht: Du stellst eine absurde These über Titelsongs auf, um dein Desinteresse an einem Album zu rechtfertigen, das gar keinen Titelsong hat. Da du den Hinweis darauf mit einer sarkastischen Breitseite rund um den Vorwurf, ich würde kein Faktenchecking betreiben, quittierst, möchte ich gerne auf diesen Vorwurf eingehen:

Doch, ich habe einen Faktencheck betrieben. Ich habe das Album, um das es hier geht, zur Hand genommen und mir die Tracklist drei mal durchgelesen, um sicher zu gehen, dass ich nichts übersehe und dir Unrecht tue. Einen Titeltrack konnte ich nicht finden. Als Gegenbeweis postest du jetzt nicht nur eine Sekundärquelle, was ich, selbst wenn sie dich denn tatsächlich bestätigen würde, mit einem Foto der Tracklist des Albums – der Primärquelle – entkräften könnte, da es mir auch tatsächlich vorliegt. Nein, diese Quelle bestätigt dich noch nicht einmal. Von The Community of Hope ist da die Rede. Und auch wenn sie zwei Wörter teilen, muss ich dich enttäuschen: Das ist nicht der gleiche Titel wie The Hope Six Demolition Project. Verzeih mir, dass ich das jetzt so sarkastisch formuliere, doch das gönne ich mir jetzt einfach mal. Denn jemandem vorzuwerfen, er würde nur „rummeinen“ und keine Ahnung haben, wovon er spricht, weil er das Geschriebene nicht überprüft, nur um dann mit einem Gegenbeweis zu kommen, der dieser Person dann Recht gibt, das ist nicht nur furchtbar ironisch, sondern ja doch auch irgendwie, nunja…

SokratesAnmaßender Unsinn. :-)

Jan over and out.

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