Antwort auf: Klassik-Glossen

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Thomas Grossenbacher (Solo-Cellist) und Peter Solomon (Klavier und Orgel) verlassen das Tonhalle-Orchester im Sommer (der erste konzentriert sich auf die Lehre, der zweite geht in den Ruhenstand) – Susanne Kübler vom Tages-Anzeiger hat die beiden interviewt, ein paar Highlights daraus:

… über gute und schlechte Dirigenten

Solomon: Noch etwas ergibt sich mit den Jahren: Man hat immer höhere Ansprüche an die Dirigenten, je besser man die Werke kennt.

Grossenbacher: Ja. Wenn einer keine Vorstellung, kein Tempo, keinen Schlag hat, dann sind das schon Tiefpunkte.

Solomon: Wobei: Manchmal entsteht gerade dann etwas. Wenn wir allein gelassen werden und plötzlich zusammen etwas entwickeln.

Grossenbacher: Das stimmt. Es ist tatsächlich vorgekommen, dass wir uns alle einig waren: Unter diesem Menschen kann man nicht spielen. Aber aus purer Verzweiflung entwickelt man dann so einen Galgenhumor, eine Konzentration – das kann richtig gut werden. Es ist wie bei einer optischen Täuschung: Ein Autorad dreht sich in eine Richtung, und plötzlich sieht man die Drehung in der umgekehrten Richtung.

Solomon: In solchen Momenten lösen sich auch die Hierarchien auf. Ein Orchester ist ja eigentlich sehr hierarchisch.

Grossenbacher: Heute wird immer gesagt, die Arbeit im Orchester sei viel demokratischer geworden als früher, und die Dirigenten würden sich freuen, wenn die Musiker sich einbringen. Das ist leider Wunschdenken. Denn wenn sich alle einbringen, geht gar nichts mehr. Es braucht jemanden, der führt. Im Idealfall eben einen, dem man gern folgt.

Solomon: Das hatten wir sehr oft. Wir haben viele guten Zeiten erlebt in diesem Orchester.

Grossenbacher: Die zwanzig Jahre mit David Zinman waren grossartig, bis zum Schluss. Er hat alles, was man sich von einem Dirigenten wünscht, musikalisch und menschlich.

Solomon: Er hat das perfekte Gespür dafür, was jeder braucht. Orchestermusiker werden ja besser, wenn der Dirigent ein bisschen Druck macht; aber wenns zu viel Druck ist, spielen sie schlecht. Da die richtige Dosis zu finden, ist nicht einfach. Auch Zinman hat das lernen müssen, das hat er mir einmal erzählt: Als junger Dirigent hat er offenbar auch herumbefohlen.

Grossenbacher: Lionel Bringuier danach habe ich auch gemocht, er war einfach noch zu jung für diese Position. Und jetzt Paavo Järvi: Der ist unglaublich. Das ist so ein tolles Arbeiten mit ihm, so entspannt, natürlich, grundmusikalisch.

… über Worte und Geräusche

Solomon: Es ist eigentlich lustig, er ist genau wie Zinman einer, der wenig redet in den Proben.

Grossenbacher: Proben ist ja nicht nur eine verbale Angelegenheit. Die Körpersprache ist entscheidend, auch sonst sind da so viele Sensoren im Einsatz. Es ist nicht unbedingt der der beste Dirigent, der die klügsten Dinge sagt.

Solomon: Ein Bernard Haitink musste jeweils nur atmen, und schon klang es anders.

Grossenbacher: Oder Vladimir Fedosevey, der konnte kaum Englisch und hat mit irgendwelchen Geräuschen und Gesten kommuniziert, was er sich vorstellte; die Konzerte waren oft sehr gut.

https://www.tagesanzeiger.ch/wir-sind-ja-nicht-mehr-in-pferdekutschen-unterwegs-757533540471

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