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kramerWeil das eben die Musik ist, die wahrscheinlich Senol und uns allen geographisch und vor allem kulturell am nächsten ist und auch am meisten geprägt hat. Das ist doch absolut naheliegend.
Ich habe über diesen sehr interessanten Satz ein wenig nachgedacht und denke, dass er mehr Fragen aufwirft als erklärt. Warum liegt die Beschäftigung mit angloamerikanischer Musik aus Senols Sicht so nahe? Gerade er könnte sich doch auch mit türkischer, arabischer oder deutscher Musik (egal jetzt, in welcher Form) beschäftigen. Warum ausgerechnet englische oder amerikanische? Gibt ja weiß Gott zahlreiche Länder, die weniger weit entfernt sind als das UK oder die USA und die ihm biographisch und sprachlich näher liegen als die USA (obwohl er ja auch gut Englisch kann). Insofern bin ich dankbar, dass dieses Problem gerade anhand von Senols Beispiel aufgeworfen wurde, denn dass sich ein türkischstämmigiger Deutscher so intensiv für angloamerikanische Popmusik interessiert, ist ja keinesfalls so selbstverständlich.
Warum also gerade angloamerikanische Popmusik? Sicher, WD würde jetzt an dieser Stelle sagen, dass nur dort wirkliche Popmusik entstehen kann, weil alles andere nur ein billiger Abklatsch ist. Geschenkt. Viel interessanter finde ich den Artikel, den Franz Meyer verlinkt hat und der darauf verweist, dass die Beschäftigung mit Musik auch zur Identitätsbildung beiträgt, also ein wechselseitiger Prozess ist, der nicht nur von der Zeit abhängig ist, in der er stattfindet, sondern auch von anderen individuellen Faktoren. Je nach Persönlichkeit, Biographie, Bildung und Interessen können das natürlich sehr verschiedene Faktoren sein.
Man kann Musik selbstverständlich auch als Ausdruck von historischem Interesse an Zeiten, Geschehnissen oder Individuen ansehen, aber eigentlich ist das nicht ausreichend. Wenn man mit der Musik nichts anfangen kann, dann ist auch das historische Interesse bald erloschen. Insofern ist die individuelle Erfahrung und damit verbunden auch die individuelle Identitätsbildung von großer Bedeutung. Viele hier und dazu gehört auch Senol definieren ihre Identität teilweise durch und über Musik und grenzen sich daher auch von anderen Genre, Musikstilen oder Künstlern ab. Das macht jeder und es ist meistens Ausdruck einer individuellen Sicht auf Musik, die häufig sehr komplex ist und viel über die entsprechende Person verrät, wenn man sie erkennt. Das liegt eben daran, dass sie Teil der jeweiligen Identität ist.
(Dass dieser ganze Prozess auch eine kollektive Ebene hat, die sich in Moden, Trends und Popularität bestimmter Künstler manifestiert, ist unbestritten. Darum ging es mir hier aber nicht).
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Ohne Musik ist alles Leben ein Irrtum.