Re: Yes

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stillstand

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Hier mal meine Eindrücke vom Yes Konzert Juni 2004 in Karlsruhe…Wanderer, kommst Du zu Yes, wundere dich über nichts. Nicht über das im Wortsinne auf-geblasene Bühnenbild, das eine Art quellende Landschaft aus Unterseevegetation oder sie-benfingrigen Händen und einer großen schwe-benden Dachqualle vorstellt. Oder ist es ein Adler? Ein Seestern? Wundere dich auch nicht, dass hier wie seit über 30 Jahren mit bombastischem Intro eingestimmt wird – ja, es ist immer noch der „Feuervogel“. Wundere dich auch nicht, dass viele jetzt hinten auf der Tribüne sitzen, die damals auf dem Boden saßen, Saufsäcke und Rauchtüten kreisen lie-ßen. Es tut nichts zur Sache. Feuervogel weg, Slidegitarre an: „Going For The One“ und alles ist gut. Allein die Optik macht Gänse-haut: rechts steht Herr Wakeman in seiner festen Tastenburg, die Zinnen mit unglaubli-chen Geräten wie Moog Synthesizern be-stückt, er selbst wieder mit langem Haar und Mantel. Ganz klar: Eine Figur aus dem „Herr der Ringe“ Film. Würden die Kids sagen, aber es sind keine Kids da. Mittig Alan Whites Schlagzeug umgeben von einer Art automa-tisch trommelndem Kirmeskarussell. Vorne viel Platz für Bassist Chris Squire, den soundmarkanten Motor der Band, ein wildes Tier und damit Kontrast zum bald 60 Jahre alten Jon Anderson, dem zeitlebens der Stimmbruch versagt blieb. Gut so.
Mit „I’ve Seen All Good People“ wird die Gesangskompetenz markiert, dass einem das Mitsingen im Halse stecken bleibt. Eine Art Perfektion, die den emotionalen Siedewert der gehandelten Musikalien nie auch nur ansatz-weise bedroht. Kaum hat man sich darauf ein-gestellt, einen gepflegten Abend mit Yes-Klassikern zu erleben, erhebt sich das nicht weniger üppige Brummen des 1997er Werkes „Mind Drive“. Ein wenig geradliniger, aber nur vordergründig. Dann „South Side of the Sky”: Klirrend marschiert ein eisiger Wind über die Bühne. Näher an Rock’n’roll als in diesen Paar Minuten st die Band selten. Howe spielt seinen spillerigen Körper daddelig, geht gar in die Knie, drahtiges Zeug entfleucht der Gitarre. Nein, das ist kein Breitwandspieler, keiner, der Aufbau und Ende eines Gitarrenso-los als Boxkampf mit K.o.-Finale betrachtet. Und so ist es auch nur schlüssig, dass der ein-zige wirkliche Hit der Band, „Owner Of A Lonely Heart“, später in Akustikversion gebo-ten wird und Maestro Wakeman den großen Flügel perlen lässt, anstatt Gitarrensolo. Denn die Welt des damaligen Gitarristen Trevor Rabin ist eine gründlich andere als die der klassischen Yes. Fast klingt deren Version auch ein wenig nach Distanzierung.
Interessant im Unplugged-Set ist auch die entschlackte Aufarbeitung von „Roundabout“ als Chicago-Blues-Shuffle. Mit einem Song der kurzen Phase angestrebter Radiotauglich-keit geht es wieder in die vollen: „Rhythm of Love“ mit seinen grandiosen Beach Boys Harmonien im Intro zeigt Yes so nahe am Pop, wie es eben geht. Der Rest ist so weit weg von Pop, wie es irgend geht: „And You And I“ diente seinerzeit leicht verschüchterten Pennälern, ihre Liebesfantasien bis zum Ex-zess hin- und her zu sublimieren. Jaja, erst wenn die Gitarrenfahnen durch die letzten Winkel der Seele sausen, die Mellotron-Kohorten den Solarplexus kitzeln und Squires Bass dein Zentrales Nervensystem anbohrt, dann wirst Du merken, dass man auf Musik fliegen kann. Doch es steigert sich noch, klar. „Ritual“, ein völlig verquastes Stück aus „Ta-les From Topographic Oceans“ lässt Blicke irrlichtern. „Nous sommes du soleil“ singt das Engelstimmchen. Aber ja sind wir der Sonne! Nach dreieinhalb Stunden steigen wir darob als kleine grüne Männchen mit sieben Fingern an jeder Hand ins „Starship Trooper“ und las-sen uns in den Orbit pusten. Längere verweil-dauer dortselbst nicht ausgeschlossen.

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