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friedrich
Teil 3: Track#14 Nach dem Schönklang die kalte Dusche – oder besser: der Stromschlag. E-Gitarre entgegen der Gebrauchsanweisung benutzt. Krach und Stille, irgendwie interessant und spannend, denn ich warte bei den stillen Passagen darauf, was als nächstes für eine Krach passiert und umgekehrt. Eigenartige Assoziation: Könnte ich mir fast als Soundtrack für einen durchgeknallten Trickfilm vorstellen. John Zorn / Naked City hat mal sowas gemacht (Krazy Kat, mit schönem Krach von Bill Frisell), da gibt es mitten drin bei 1:35 auch so eine Stelle, die sich wie ein Wackelkontakt oder eine brutzelnde Entladung anhört. Ist aber eigentlich nicht zu vergleichen, ganz andere Dramaturgie, nur der Krach ist ähnlich. Hätte hier einen Briten oder einen wurzellosen Kosmopoliten in Verdacht gehabt. Aber ist ja schon erkannt worden. Interessant, aber für mich eigentlich unanhörbar, wenn ich ehrlich bin. Will mir mit der Einschätzung dieses einen Stücks aber kein Urteil über den Musiker erlauben. Macht mich sogar neugierig.
schön beschrieben, vor allem die erwartungshaltung, die sich in den stillen momenten ergibt. da wir es hier mit einem japanischen musiker zu tun haben, fällt mir dazu das „ma“-konzept ein, nach dem pausen zwischen zwei strukturierten teilen mehr sind als nur „stille“ oder „bruch“ oder das einfache gegenteil von „etwas“, sondern ein raum, in den das vorherige nachwirkt und in dem das zu erwartende schon anwesend ist. also genau das, was du beschreibst. und so habe ich das stück vielleicht auch instinktiv im mix eingesetzt, es unterbricht etwas, das aber noch nachwirkt, aber lässt schon etwas neues vorahnen, was musikgeschichtlich vor allem mit dem herrn in #17 zu tun hat (hier, bei diesem gitarristen, war es angeblich ein doors-konzert, was ihn zur musik und zur e-gitarre gebracht hat).
der zugang hier ist natürlich ein theatralischer, „gegen die gebrauchsanweisung“, klar. als ich ihn live gesehen habe, war völlig unvorhersehbar, was er als nächstes macht: schreit er jetzt, produziert er einen ohrenbetäubenden lärm, verstummt er, fällt er von der bühne? das hat mich ziemlich unter spannung gesetzt. meinst du frisell mit dem „wurzellosen kosmopoliten“? der hinweis ist nicht verkehrt, zur downtown-ny-szene hatte der protagonist auch kontakt, es gibt aufnahmen mit zorn usw. ich dachte, dass die meisten hier von mir erwarten, dass ich etwas von derek bailey zum einsatz bringe, deshalb war dieser mann hier meine weniger naheliegende alternative für’s experimentelle.
friedrichTrack#15 Orgel-Trio, jedoch mit badder klingender Gitarre als man das aus der klassischen Periode des Orgel-Trios in den 50ern/60ern gewohnt ist. Also späterer Herkunft. Total minimalistisch und monoton aber sehr funky. Müsste eigentlich noch länger laufen, damit das richtig Wirkung entfaltet. Musste an On The Corner denken, oder James Brown Ende 60er – Anfang 70er, mit diesen gnadenlos monotonen grooves, die man sich erst mal trauen muss. Im Vergleich zu #14 ist das aber Balsam für die Ohren. Mit dem Sax ist das natürlich ein Quartett, und ich finde als melodischer Kontrast zum monotonen groove ist das gut.
das ist angeblich ein „new improved guitar funk“! ich finde das auch super, und dass da am ende der bruder auf dem sax noch einsteig, mag ich auch.
friedrichTrack#16 Es bleibt bluesig-funky, aber schon variantenreicher, auch wenn der Bassist sich nicht aus der Ruhe bringen lässt. Der Bass hat mich hier auch sicher am Haken, während die Gitarre diesen und jenen, für mich manchmal zu großen Umweg macht um dann wieder zum ursprünglichen Riff zurückzukehren. Auch hier ein Gitarrensound, der ziemlich bad ist.
oh ja, das will sehr bad sein. damals war es noch was neues, dass da ein gitarrist mit verzerrtem ton die ganze show macht, und nicht nur 2 chorusse solo zwischen klavier und bass spielt. hat er dem herrn auf #17 zu verdanken. vom bassisten hast du bestimmt was im regal, der war in der band von king curtis und danach ein sehr gefragter studiomusiker.
friedrichTrack#17 Wäre ich 30 Jahre jünger würde ich hier ausrufen „Wie krass geil ist das denn!“ Kraftvoll, warm, sexy. Und was hier in eineinhalb Minuten alles passiert: Ein Riff, Variationen, Verzögerungen, Verdichtungen und kleine Schlenker. Saftiger Klang und ein groove, der eigentlich nur angedeutet wird, aber in die Hüfte geht. Wirkt dabei völlig selbstverständlich und lässig, ohne Showeffekte. Irgendwo las ich mal, dieser Gitarrist kann gleichzeitig ein Solo und die Begleitung spielen.
er spielt halt den beat mit, die licks sind schon perkussiv eingebettet, es ist auf anhieb tanzbar. hat mich interessiert, wie der sound hier zwischen den jazzsachen „sitzt“. auf der anderen seite legt er damit eine spur, auf dem viele gitarrist*innen in diesem mix folgen konnten. interessant war für mich auch, dass die protagonisten von #16, #17 und #18 quasi gleich alt sind, und drei völlig unterschiedliche, kommerziell sehr erfolgreiche, ansätze verfolgt haben (die sich bei #16 und #18 aber erst später herauskristallisiert haben).
friedrichTrack#18 Hier sind wir wieder bei der ungezwungen Lässigkeit. Es plätschert, die Blätter rascheln im Frühlingshauch, ein Summen im Hintergrund. Ab 2:10 wird es mal kurzzeitig etwas verbindlicher, um von da an langsam wieder auszuschwingen. Sehr lieblich.
„lieblich“ im gegensatz zu „traumhaft schön“? hier hatte ich auf dich gezählt. du hattest mal einen thematischen bft gemacht, in den das hier gut reingepasst hätte. auch quasi als staffelübernahme vom herrn in #10. das ist einfach ein lieblingsstück hier, schon sehr lange, viel weiter habe ich den gitarristen nicht verfolgt, aber mir fiel im rahmen der bft-vorbereitungen auf, wie toll der ton ist und wie eigenständig diese lässigkeit produziert wird.
friedrichTrack#19 Schließt sehr schön an den vorherigen Track an, mäandriert erst etwas umher, schwillt mal etwas an und ab, Gitarre und Kornett treffen sich hier und da für ein paar gemeinsame Schritte, bis die Gitarre ein einfaches durchgehendes und repetetives Muster anstimmt, darüber schwebt die gestopfte Trompete. Ab da wird es fast meditativ und dann pendelt das Stück ganz langsam aus …
du hast erkannt, dass das ein kornett ist? oder schon nachgelesen? an- und abschwellen trifft es ganz gut, glaube ich. auf dem album geht es um meeresbewohner, hier speziell um etwas mit tentakeln, die man nicht berühren sollte, im italienischen benannt nach einer mythischen frau mit schlangenhaaren. wenn man das vor augen hat, ergeben die bewegungen der musik sofort sinn, finde ich.
friedrichEin schöner Abschluss dieses BFTs. Du hattest gemutmaßt, dass ich zwei Tracks aufdecken könnte. Bei einem hattest Du noch mal mit dem Zaunpfahl gewunken. Welcher andere Track das sein könnte, weiß ich aber nicht. Ich habe den sehr vagen Verdacht, dass sich hier tatsächlich noch irgendwo der wurzellose Kosmopolit verbirgt. Der hat aber auch völlig unterschiedliche Sachen gemacht, so dass er schwer zu erkennen ist. Aber das ist völlig ins Blaue spekuliert. Oder welcher andere Gitarrist könnte gemeint sein? Und wo? Schön breites Spektrum an Gitarren. Verschiedene Klänge, verschiedene Rollen, die hier schön auf engem Raum versammelt sind. Amüsant und irgendwie lehrreich. Bekomme Lust, im eigenen Plattenregal nach Gitarristen zu stöbern. Vielen Dank!
würde mich interessieren, wie ein gitarren-bft von dir ausgesehen hätte. vielleicht wäre der gitarrist von #18 dabei gewesen, hatte ich zumindest vermutet, war wahrscheinlich falsch. frisell gibt es jedenfalls nur einmal hier, ich hatte mir noch einen bonustrack überlegt, mit einem seiner schönsten soli, wie ich finde (und vielen trademark-sounds):
vielen dank für’s mitmachen!
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