Antwort auf: Blindfoldtest #30 – gypsy tail wind

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vorgarten

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ok, ich fang mal an. bin noch im schock, weil ich vorhin #6 rausgefunden habe…

hier also meine im lauf des wochenendes zusammengeschriebenen notizen:

1 | sanfter einstieg, ein chimes-vorhang, dahinter ein klaviertrio, und noch weiter dahinter drei passanten mit flöte, sopransax und trompete. und noch weiter dahinter schaukeln wahrscheinlich ein paar palmen im wind. eine musikalische welt, die von return to forever aufgeschlüsselt wurde. es gibt eine spezifische wärme im sound, das klavier und die drums sind vernünftig aufgenommen, wenn man einmal darin platz genommen hat, gibt es so recht nichts mehr zu tun. es gibt so ein stufenmodell in der entwicklung, von solotrompete bis zu furiosem latin. und wieder zurück. die soli sind ereignislos und ziemlich leise, es geht irgendwie auch nicht darum. was mich wirklich nervt, ist die vordergründige percussion, buchstäblich, sie schellt mir direkt ins ohr. und sie ist wirklich ideenlos. 13 minuten später frage ich mich, warum es diese länge brauchte, um dann ziemlich zackig auszufaden, aber vielleicht war einfach die albumseite voll.

2 | von der corea- in die jarrett-welt der frühen 70er. gospelpiano, mit aufreizenden kleinen vamps der linken hand sophisticated gemacht. so lange das nicht aus einer langen suchenden solobewegung heraus kommt oder da am ende motian, haden und redman (oder wer auch immer das ist, der bei diesem kandidaten übernehmen würde) einsteigen, bleibe ich etwas ratlos. das fröhliche daran verstehe ich, das jubilierende und ansteckende, es scheint mir aber in so pop-versionen immer etwas übergriffig.

3 | harter einstieg, dieser track hat eine vorgeschichte. full blast samba auf 2 akkorden, allerdings mit etwas starrem beat (weil viel von der percussion im brei verschwindet). ein hymnisches alt schwingt sich empor, das ist, unschwer zu erkennen, arthur blythe. das klavier darunter ist wuselig, störrisch, übernimmt schließlich, leicht verstimmt. gehämmer, rasende läufe, afrokubanische formeln aus der vorgebenen harmonie heraus. und schon wird wieder abgeblendet. hätte jetzt burrell sein können, klang aber mehr nach pullen, vielleicht auch hicks (die virtuosität wäre da, tippe aber mehr auf pullen). hmm, etwas ratlos. die sind auf jeden fall stimmungsmäßig schon weiter als ich. wird schwer zu erraten sein, wenn es wirklich nur ein stück aus dem zusammenhang gerissen ist. da ich am anfang noch ein bariton höre, könnte das auch das WSQ mit verstärkung sein. kriege ich bestimmt raus.

4 | ein bisschen ruhe jetzt. wie in #1 erstmal gestrichener bass zu rubato-klavier-schmelz. dann kommt von sopransax und trompete ein weitläufiges getragenes thema mit ein paar sehr schönen harmonischen liegestühlen. der sopransaxton ist etwas dünn. dann macht es im solo eine pause und steigt etwas voller wieder ein (oder ist das jemand anderes? dauert kurz, also tippe ich eher auf zahnzulegen). es folgt das klavier, das die harmonischen angebote dankend annimmt. ganz schön komplizierte folgen. zwischendurch wird es aber durchaus zupackend. das thema kommt wieder, es ist tatsächlich sehr schön. gut, dass niemand hier eine instabile percussion auspackt.

5 | es bleibt getragen, mit bezogenen klavierbetten. etwas markanter macht sich eine gestopfte trompete bemerkbar, die das thema vorstellt (mit noch 2 anderen im rücken, noch eine trompete und ein tenor?), das mich sehr stark an „naima“ erinnert. das klavier setzt auf arpeggien und bleibt nah am thema. bass hält sich in einem kleinen solo zwischendurch auch ziemlich zurück, es gibt ein paar cartersche extravaganzen (aber sonst wäre es sehr lustlos für seine verhältnisse). ist das „naima“?

6 | ah, abwechslung, danke. rythmusgitarren und gurgelorgel. wieder sopransaxe in einem zawinul-turn on zarathustra? 2 drummer, mindestens. schielt zum hexengebräu, aber auf durchaus attraktive weise. schweinesolo des soprans, das als melodieinstrument im ganzen gebräu ernstgenommen werden möchte. ziemlich viele licks, aber gute energie. elektrisch verstärkte trompete nach deutlichem vorbild, schöne linien, schöne sounds, schöner sinn für dramaturgie (das ende!). orgel ist dann total super, gute sounds, fühlt sich wohl in ihrer zeit, kommuniziert mit der rythmusgitarre. und die kommuniziert zurück. der drummer links ist auch sehr toll, bringt eine gute schärfe rein. gefällt mir alles sehr gut. denke an earland, dann könnte reggie lucas der gitarrist sein. aber da werde ich todsicher auf die suche gehen. highlight.

[sh*t…. ich hab’s gefunden… damit habe ich ja insgeheim gerechnet, dass mir sowas kredenzt wird und mir gefällt’s. geschieht mir recht. ich lass das oben alles mal so stehen, auch wenn es peinlich ist. für alle anderen: nicht earland, nicht lucas, sondern schöne warme kompressor-sounds… ist natürlich alles sehr funktional und abgekupfert, aber es funktioniert schweinegut.]

7 | sopransax-bft? ich bin ja kein allzu großer fan, muss ich gestehen. aber auch nicht kategorisch. schönes walzer-thema mit zwischenstopps. mit diesem post-mccoy-klavier kann ich sehr viel anfangen, das könnte jetzt wirklich hicks sein. klingt auch recht schön, die aufnahme – ich mag sehr, wie warm das ist, auch das schlagzeug hat eine schöne tiefe. der solierende sopransaxer überzeugt mich. finde ich alles sehr rund und wenig klischeehaft, obwohl es nicht viel will. hätte ich auch für einen bft ausgewählt.

8 | schwebendes klaviertrio mit viel hall. das thema hat schöne bley‘sche halbton-schnörkel. bass wechselt toll zwischen gestrichenen passagen und aufwendig gezupftem umspielen. assoziatives schlagzeug, sehr sicher und an atmosphäre interessiert. bley scheint mit tatsächlich die referenz zu sein in der verschrobenen emotionalität und dem freien bezug der spieler aufeinander. das thema hat etwas schön selbstverständliches, eine offene frage, die zur diskussion einlädt. gefällt mir ausgesprochen gut (tolles bft-mittelstück hier seit #6). bin sehr gespannt darauf, zu erfahren, wer das ist.

9 | oh, interessant. geige(n), congas, 6/8. das thema ist europäisch-fokloristisch, die percussion afrikanisch, das klavier jazzspiritualistisch, die violine hymmisch und free-informiert, das zweite saiteninstrument, das sehr experimentell begleitet, kann ich nicht einschätzen – entweder eine zweite violine oder bratsche, oder etwas gitarrenähnliches, nah am steg gezupft. kann natürlich auch ein overdub des hauptinstruments sein. die entwicklung des stücks geht richtung auflösung des grooves und verdichtung der sounds, aber es beruhigt sich schnell wieder. die begleitung schnarrt. und da singt noch einer leise mit. naheliegend wäre jemand wie michael white, von dem ich nicht allzu viel kenne.

10 | nochmal ein kleineres saiteninstrument, cello diesmal, oder? das sich entspinnende ostinato ist ziemlich hübsch, vor allem, weil es so nah am instrument aufgenommen ist, man hört das holz arbeiten, und jeden ton kann man beim ausschwingen belauschen. es ist aber auch toll gespielt, mit viel ausdruck und klangbewusstsein. die variationen entfernen sich nicht weit von der aufgebauten struktur, es gibt ein kleines rock-vamp-augenzwinkern gegen ende. sehr schön. keine ahnung, wer das sein könnte.

11 | oje, was für ein latin-rythmus ist das jetzt schon wieder? schön rollend gespielt nach blackwell-vorbild. das klavier macht die hauptarbeit und lässt sich von einem kleinen bläsersatz anfeuern. sowas wäre jetzt die spezialität von dave burrell, der würde aber irgendwann vorsätzlich zu stolpern anfangen. könnten „echte“ latin-jazzer sein. auch hübsch. wobei mir der minimalistische schlagzeug-groove am besten gefällt.

12 | klavier auch zum abschluss. große balladenankündigung. ah, es bleibt ein solostück. schöne akkordarbeit, überhaupt sehr farbig, was da durchschwingt und was nur kurz aufblitzen darf. ein paar stereotypische 70er-jahre-figuren sind auch dabei, und insgesamt ist es mir etwas zu wuselig und ornamental. aber das muss man schon alles draufhaben, um es so einsetzen zu können. eine spezifische handschrift fällt mir nicht auf, eher ein breites allgemeinwissen und eine kleine angeschärftheit, mehr stuhlkante als lesesessel. hab eher jemand europäisches oder weiß-amerikanisches vor augen, die blues-tradition ist doch ziemlich auf abstand gehalten. spannend.

danke für die interessante zusammenstellung. was könnte ihr thema sein? zeitlich finde ich das ziemlich eng beeinander, zweite hälfte 70er und erste hälfte 80er. mainstream-nah natürlich, aber doch nicht allzu standardisiert. es gibt so sounds, harmonien, stimmungen, die sehr „sitzen“, wenig einzel-shows (von den drei tatsächlichen solisten und dem pianisten in #8 abgesehen); vor allem eine arbeit der harmoniker, heißt hier: viel klavier, dadurch ist auch alles sehr voll. alles in allem nicht unbedingt das, was ich mit deinen präferenzen verbinde, aber auch ich brauchte etwas. den einstieg fand ich sehr schwierig, #6 hat mich aber ziemlich aufgeweckt und danach war ich emotional erreichbar 😉 . im 2. teil eigentlich kein schwachpunkt mehr, alles interessant. aber richtig genervt war ich auch im ersten teil selten. ich werde altersmild.

und jetzt bin ich gespannt!

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