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gruenschnabel
„Risikofreude“ wäre auch für mich kein passender Begriff für den Output des Trios. Unabhängig von dem Respekt vor dem Gesamtschaffen finde ich dennoch Zugang zu den letzten Alben. Denn „behäbig“ scheint mir ebenso wenig ein passender Begriff. Ich denke bei der Musik mehr an ‚Konzentration‘ – mein Ohr hört so ziemlich jeden der ja eher wenigen Töne als ausgesprochen stimmig artikuliert und platziert.
Ich habe das vor einiger Zeit auch live so gesehen. Als Bley reinkam, wirkte sie wie Haut und Knochen auf mich. Als ich ihre (gichtigen? arthritischen?) Hände sah, traute ich denen einen Livegig kaum zu. Und dann sah ich, wie sie das machte, wie sie ihre körperlichen Möglichkeiten ganz beeindruckend nutzte, um jeden Ton auf das Genaueste zu setzen. Das erforderte Bewegungsabläufe, die es ihr völlig unmöglich machen würden, perlende Läufe oder gar vollgriffige Sprünge oder sowas zu spielen. Stattdessen aber konzentrieren sie und ihre Mitspieler sich darauf, aus der Ruhe heraus Wesentliches zu bilden. Dazu gehörte zwar auch dieser eigenwillige Bley’sche Humor, den ich wohl nicht immer verstehe und womöglich auch manchmal überhöre, aber ebenso ein großer Ernst, der mir tiefsinnig und sprechend erschien.
Wenn ich den von dir monierten Blues höre, erscheint er mir respektvoll und respektabel anverwandelt (obwohl dieses Wort nicht ganz passt, es gab und gibt ja nicht DEN Blues, den man sich anverwandeln könnte), nicht aber wie etwas „Fremdes“ in Besitz genommen. Das Trio erspielt sich für mein Empfinden auch hier ein eigens abgestecktes Feld, auf dem sich alle Drei sehr überzeugend aufeinander bezogen bewegen und artikulieren.
Bei dem Begriff „Klischee“ werde ich unsicher. Mein ehemaliger Jazzlehrer hat mir des Öfteren gesagt, dass das konstruktive Spiel mit Klischees für ihn (nicht nur) zum Blues dazugehört. Ich selbst weiß auch gar nicht, wie das anders gehen sollte. Andererseits: Klar, dieser von dir angesprochene Blues artikuliert sich in recht tradiert wirkendem Idiom. Aber reicht das schon aus, um von einem negativen Klischee zu sprechen? Geht es im Jazz nicht auch wesentlich darum, seine eigene und damit unverwechselbare Stimme zu „finden“? Selbst ich als Wenig-Kenner würde vermuten, dass ich ihn nach dem ersten Hören ziemlich flott mit dem Bley-Trio in Verbindung brächte…
Edit: Ich bemerke gerade eine unschöne Häufung von ‚Artikulation’/’artikulieren‘ in meinem Geschreibsel. Das lasse ich aber mal so stehen, denn aus meiner Sicht gehört genau das zu den Stärken des Trios – in Verbindung mit dem Timing, welches ich bei allen wirklich toll fand.
vielen dank, @gruenschnabel, für deine replik. ich kann das alles gut nachvollziehen und mir jetzt auch besser vorstellen, wie man einen zugang zu dieser musik finden könnte. auf jeden fall fehlt mir ein live-eindruck, keine frage. und dem, was du zu blues und produktiven klischees und eigenen stimmen schreibst, kann ich eigentlich nicht widersprechen.
mir fehlt insgesamt ein affektiver bezug zu bley, mich kriegte sie in der vergangenheit eher durch ihren humor, ihre störrische freigeistigkeit – ich höre ihre musik immer eher auf der konzept-kunst-seite, obwohl mir in diesem pianistischen gestus gleichzeitig zu viel heiliger ernst mitspielt (yoko ono würde vielleicht auch so auftreten, wenn sie klassischen gesang studiert hätte.). mit dem blues ist das aber so eine sache. ist ja keine atomphysik, sondern (eine lesart:) eigentlich ein einfaches trägermaterial für durchaus ornamentalen ausdruck – beim bley-trio, mit seiner der improvisation ja eher abgeneigten leiterin, scheint mir das aber eine „nummer“ zu sein, mit einer das-können-wir-uns-im-alter-leisten-geste, auch als widerständiger trotz gegenüber dem leiden, mag es auch gicht oder arthritis sein, life goes on, na klar. aber ich sehe halt vor meinem geistigen auge, wie da 3 weiße menschen ein notenbuch umgeblättern, jazztradition, abteilung 2.1, „blues“, und los geht’s. aber das ist unfair, ich weiß, danach geht es ja auf dem album auch ganz anders weiter, ich finde es in sich auch stark und entschieden, gut konzeptioniert, es ist nur nicht das, was ich mir gerade zum spaß auflege, mehr wollte ich eigentlich nicht sagen.
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