Antwort auf: Der letzte Film, den ich gesehen habe (Vol. II)

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motoerwolf

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The Lighthouse (Robert Eggers, 2019)

Falls The Lighthouse in Aachen überhaupt in einem der regulären Kinos gelaufen sein sollte ist das an mir völlig vorbei gegangen. Um so glücklicher war ich als gesehen habe, dass das Filmstudio e.V. der RWTH ihn zeigt. Deren Angebot müsste ich eh viel öfter mal nutzen. Zumal es dort sogar Vorfilme gibt, etwas was ich in regulären Kinos lange nicht gesehen habe (der letzte, an den ich mich erinnere lief 1986 vor Basil). Gezeig wurde A Moment Passing, ein ca 6 Minuten länger neuseeländischer Film von 1997 über zwei Angler, die an der Küste von einer gigantischen Welle überrascht werden. Der Film ist gut gemacht und passend ausgewählt, was will man mehr?
Und dann startet The Lighthouse. Wie weiter oben gesagt, ich habe mich im Vorfeld kein bisschen informiert, hatte nur den Hinweis von @kurganrs und kannte das Filmplakat, das mich schon ziemlich angefixt hat. Erste fette Überraschung: das 1,19:1-Seitenverhältnis. Im Kino habe das noch nie gesehen, in einem solchen Format kenne ich nur die ganz alten Klassiker, die gedreht wurden in der Zeit, in der The Lighthouse spielt. Sofort war klar, hier kommt etwas ganz besonderes auf mich zu. Die allererste Einstellung alleine hätte ich mir dann auch schon einrahmen können (und vieleweitere auch). Die raue, aber nicht schwere See, und vom Horizont nähert ein Schiff. Noch bevor man das richtig sieht, macht es aber auf der Tonebene schon einen unglaublich starken Eindruck. Noch nie habe das Stampfen eines Schiffes akustisch so grandios umgesetzt gehört. Und tatsächlich liegt im Ton eine der herausragenden Stärken des Film. Der Soundtrack ist schon gut, aber die Atmo ist unglaublich. Eigentlich ist Atmo auch nicht der richtige Ausdruck, denn im Hintergrund steht die Geräuschkulisse keineswegs. Die Geräusche des Merres, des Windes und das akustische Signal des Leuchtturms sind dominant und allgegenwärtig und tragen ganz wesentlich zu der erschütternden Wirkung des Films bei.
Die Bildebene steht dem nicht nach. Die Kamera fängt die Bilder in wunderschönem Schwarz-Weiß ein. Neben der rein formalen Brillanz der Bilder fällt der Kontrast zwischen ihrer mal berückenden Schönheit und dann wieder verstörenden Hässlichkeit besonders auf. Zärtlichkeit und rohe Gewalt, Poesie und Vulgarität sind die Pole, zwischen denen der Film schwankt und die er sogar in vielen Szenen in einen surrealen harmonischen Einklang bringt.
Die schauspielerische Leistung von Dafoe und Pattinson ist ebenfalls wert eine besondere Würdigung zu erhalten. Die Intensität, mit der beide spielen, hat mich extrem beeindruckt. Wenn Dafoe schimpft und flucht verblasst selbst der Zorn Gottes dagegen, wenn beide betrunken tanzen und singen, wenn sie langsam immer mehr dem Wahnsinn verfallen, wenn sie abwechselnd brutal und zärtlich zueinander sind, sie schlagen den Zuschauer stets in ihren Bann.
All das kombiniert entwickelt eine Sogwirkung, der ich total erlegen bin. Der Film fühlt sich nicht wie ein Film an, sondern eher wie ein eigener Alptraum, der düster und teils abstoßend, seiner eigenen Logik folgend, immer aber faszinierend ist. Bis zu seinem Finale, dass mit Worten unmöglich zu beschreiben ist. Etwas krasseres, Gänsehaut erzeugenderes habe ich lange nicht gesehen.
Einflüsse kann man viele nennen, und Kritiker haben das auch reichlich getan, wie ich in den letzten Tagen gelesen habe. Das sollte man aber nicht falsch verstehen, The Lighthouse ist in hohem Maße originell. Ich bin ziemlich sicher, einen künftigen Klassiker gesehen zu haben. Und am liebsten gäbe ich 12 von 10 Punkten.

zuletzt geändert von motoerwolf

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And all the pigeons adore me and peck at my feet Oh the fame, the fame, the fame