Antwort auf: Konzertimpressionen und -rezensionen

#11010227  | PERMALINK

Anonym
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Danke für Deinen Bericht – ich greife nur das Offensichtliche heraus, bei dem ich Zweifel habe. Vermutlich stochere ich nur herum. But.

gypsy-tail-wind dieses doch eigentlich kaum aufführbaren Werkes (den Film von Herzog finde ich fürchterlich, müsste ihn aber vielleicht wieder einmal anschauen)

Seit wann gilt der „Wozzeck“ oder der „Woyzeck“ als unaufführbar? Das ist seit jeher ein Topos der Gleichzeitigen ohne Phantasie, bisher immer widerlegt worden. Die Skizzenfolge ist nicht geklärt, das ist alles. Und da es Skizzen sind, darf jeder sich entscheiden, der die Sache ernst nimmt. Es gibt da auch eine gute Interpretation von Hridlicka.

[…] eine Guckkastenbühne für ein Figurentheater […]

Gerhahers Wozzeck bewegt sich darauf, darin […] quasi als einziger Mensch zwischen den Schablonen/Typen um ihn herum. Nur Marie wird streckenweise auch als fühlendes, verletzliches, nachdenkendes Wesen spürbar.

Der Hauptmann, der Tambourmajor, der Doktor sind Spielfiguren in dieser Anordnung, durch die wir mit Wozzecks Augen gehen: Es ist ja seine Welt, die gegen Ende hin endgültig ins Wanken kommt, davor macht er den Clown, macht gute Miene zum bösen Spiel, verliert aber schon mehrmals fast den Boden unter den Füssen […]

Da bin ich mir nicht so sicher. Wenn die Guckkastenbühne gewählt wird, dann ist auch Woyzeck ein Teil von ihr, und kein drauf- oder hinguckender Teil, sondern völlig absorbiert. Wie bei Büchner. Dass er keine Miene zum bösen Spiel macht, nicht machen kann, ist exakt das, was Herzog mit Kinski herausgestellt hat. Woyzeck ist kein „Held“, ist gerade nicht das Individuum gegen die anderen. Er versteht nicht. Er weiß überhaupt nicht, was andere sind – ohne Gewalt. Psychologisch also Introjektion. Der Hauptmann, der Tambourmajor, der Doktor sind gerade nicht Spielfiguren, sondern Aggressoren, Projektoren. Wer aber, wie Woyzeck, keine Aggression in deren Sinn kennt, wird sprachlos. Und dann kommt, in der gedanklichen Linie, – Schwenk, nicht Schwank – Mahler: Ich hab‘ ein glühend Messer. Ich halte Woyzeck für keinen Clown, vielleicht hätte er dann länger gelebt, wäre er es gewesen. Büchner – und Berg – haben für Clowns nur als Gegenfiguren etwas im Sinn, besonders deutlich in der „Lulu“ bei Berg.

Statt Clown  hat Büchner den kleinen idiotischen Jungen. Da ist der hinskizzierte Widerstand, von außen hingepinselt, erratisch, man kann nicht alles auf einmal sagen, die völlig andere Stimme, die nichts weiß, aber da ist. Das ist die Gegenfigur, die Woyzeck brauchte. Obwohl er lieber Marie hätte. Sie ist sehr schwierig mit Worten und in ihren Handlungen, na ja. Und von Büchner nicht sehr gut bedacht, da hatte Berg mehr Anteilnahme, da hast Du recht. Aber wenn sie nur schweigt, weil sie lieber handelt? Es wird nicht aufzulösen sein.

Das alles hat gar nichts mit Gerhaher usw. zu tun, wie auch. Es ist ein schwieriges Werk. Danke also noch einmal für Deinen Bericht!

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