Antwort auf: Konzertimpressionen und -rezensionen

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Opernhaus Zürich – 12.02.2020

Wozzeck
Oper in drei Akten (15 Szenen) von Alban Berg (1885-1935)
nach Georg Büchners «Woyzeck»

Musikalische Leitung Hartmut Haenchen
Inszenierung Andreas Homoki
Ausstattung Michael Levine
Kostümmitarbeit Meta Bronski
Lichtgestaltung Franck Evin
Choreinstudierung Janko Kastelic
Dramaturgie Kathrin Brunner

Wozzeck Christian Gerhaher
Tambourmajor Daniel Brenna
Andres Iain Milne
Hauptmann Wolfgang Ablinger-Sperrhacke
Doktor Jens Larsen
1. Handwerksbursch Pavel Daniluk
2. Handwerksbursch Cheyne Davidson
Der Narr Martin Zysset
Marie Gun-Brit Barkmin
Margret Irène Friedli
Mariens Knabe Braulio Camarena
Ein Bursche Tae-Jin Park

Philharmonia Zürich
Chor der Oper Zürich
Kinderchor der Oper Zürich
Statistenverein am Opernhaus Zürich

Am Mittwoch bin ich dann auch noch in den „Wozzeck“ – mitten in einer höllischen Woche und entsprechend ging ich ziemlich auf dem Zahnfleisch. Die Karte hatte ich mir sofort gesichtert, als der Vorverkauf für die Saison losging. Die erste Aufführung fiel nämlich auf jene Saison 2015/16, in der ich gegen Ende hin mir das Besuchen der Oper erst gerade wieder angewöhnte (los ging es mit einer unvergessenen Aufführung von Pelléas et Mélisande). Ich wusste also seit Juni oder so, dass ich „Wozzeck“ auf der Bühne sehen würde – und hörte die längst vorliegenden Aufnahmen nicht an, um den Abend wirklich zur Erstbegegnung werden zu lassen. Leider nicht unter optimalen Umständen, aber auch so ein schwer beeindruckendes Erlebnis.

Als Stück ist das Ding schon einmal enorm faszinierend, die Verdichtung, das Drama, die musikalische Umsetzung dieses doch eigentlich kaum aufführbaren Werkes (den Film von Herzog finde ich fürchterlich, müsste ihn aber vielleicht wieder einmal anschauen) – in Bergs Fassung ist das alles völlig bezwingend, und die Umsetzung, die Homoki wählte, eine Guckkastenbühne für ein Figurentheater, passt für mich ebenfalls perfekt. Gerhahers Wozzeck bewegt sich darauf, darin (die Bühne vervielfacht sich gegen hinten und gerät gegen Ende hin aus den Fugen (siehe Bild unten) quasi als einziger Mensch zwischen den Schablonen/Typen um ihn herum. Nur Marie wird streckenweise auch als fühlendes, verletzliches, nachdenkendes Wesen spürbar. Der Hauptmann, der Tambourmajor, der Doktor sind Spielfiguren in dieser Anordnung, durch die wir mit Wozzecks Augen gehen: Es ist ja seine Welt, die gegen Ende hin endgültig ins Wanken kommt, davor macht er den Clown, macht gute Miene zum bösen Spiel, verliert aber schon mehrmals fast den Boden unter den Füssen, bedrängt vom Chor – da werden die verschiedenen „Bilderrahmen“ stellenweise virtuos bespielt, die Darsteller klettern von einer Ebene auf die nächste hinab, Wozzeck spürt die Bedrohung natürlich schon lange vor dem tragischen Ende.

Gerhaher war darstellerisch und sängerisch überragend, er hätte die Aufführung wohl auch getragen, wenn er das hätte allein tun müssen. Doch zum Glück war das nicht der Fall, denn Gun-Brit Barkmins Marie war ebenfalls beeindruckend, und die Riege der Nebendarsteller ebenso überzeugend. Gerhaher, Barkmin aber auch Ablinger-Sperrhacke (der Hauptmann) waren schon 2015 dabei. Erstmals im Graben in Zürich stand Hartmut Haenchen, der das Geschehen jederzeit im Griff hatte – und die Musik wohl deutlich schwungvoller anging als Luisi bei der ersten Aufführung: im Voraus hiess es, das ohne Pause durchgespielte Stück (alles andere wäre aber auch ein Frevel!) dauere ca. 1:35 Stunden, das wurde dann nach der ersten von nur vier Vorstellungen der Wiederaufnahme (ich war in der zweiten) um satte zehn Minuten nach unten korrigiert.

Ganz abgesehen davon, dass ich mich auch mit Büchner wieder einmal befassen sollte, werde ich hoffentlich bald mal tiefer in die Welt von Berg und seinem „Wozzeck“ eintauchen – ich staunte beim Nachschauen selbst, dass neben Kegel und Abbado (in der „Alban Berg Collection“ der Deutschen Grammmophon) auch Mitroulos da ist (NYPhil, 1951 auf Columbia, bei mir in der NYPhil 175th Anniversary Edition, die viele Dinge enthält, die schon im Regal stehen, aber eben auch einige weitere, bei denen das nicht der Fall ist … und der Preis hatte vor einiger Zeit mal mehr als gepasst).

Hier eine der Rezensionen, die mich damals bereuen liessen, keine Aufführung gesehen zu haben (Jens F. Laurson für Forbes):
https://www.forbes.com/sites/jenslaurson/2015/09/22/wozzeck-opens-zurich-opera-season-with-uncommon-resounding-success/

Die NZZ war seinerzeit nicht überzeugt:
https://www.nzz.ch/feuilleton/buehne/ach-mensch-du-elende-kreatur-1.18613061

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