Antwort auf: Konzertimpressionen und -rezensionen

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Zürich, Tonhalle-Maag – 06.02.2020

Tonhalle-Orchester Zürich
Rafael Payare
Leitung
Vilde Frang Violine

Béla Bartók Suite aus «Der wunderbare Mandarin» op. 19 Sz 73
Dmitri Schostakowitsch Violinkonzert Nr. 1 a-Moll op. 99

Antonín Dvořák Sinfonie Nr. 7 d-Moll op. 70

Ein sehr schönes Konzert gestern – und wenn ich dran denke, dass die THM, die aktuelle Interimshalle, in einem Jahr verlassen (und danach wohl abgerissen) wird, bin ich jetzt schon etwas wehmütig … immerhin wird Vilde Frang in der Saison 2020/21 im Rahmen der Neuen Konzertreihe Zürich gleich noch zweimal in der Tonhalle-Maag zu hören sein, wie ich der vorgestern erhaltenen Programmvorschau entnehmen kann (zweimal mit dem mit dem Kammerorchester Basel, das zweite Mal mit Sol Gabetta/Kristian Bezuidenhout und Giovanni Antonini – ich frage mich gerade, ob das dann auch das Tripelkonzert gibt, für das ich schon diesen Mai nach Luzern fahren werde, hmmm …)

Frang war auch gestern für mein Empfinden eindeutig die Hauptattraktion, doch los ging es mit Bartóks Suite mit Musik aus „Der wunderbare Mandarin“. Umwerfende Musik, die unter der Leitung des jungen Dirigenten Rafael Payare wuchtig, verspielt, rasant und voller Überraschungen daherkommt, vor allem aber unglaublich farbenreich. Das gross besetzte Orchester (die vordersten beiden Stuhlreihen wurden wieder mal ausgebaut, damit die Bühne etwas vergrössert werden konnte) agierte wachsam und die verschiedenen Solisten lieferten beste Arbeit. Ein Auftakt, der nicht etwa als Überbrückung vom Alltag ins Konzert dient, sondern dem Publikum direkt ins Gesicht sprang – sehr gut!

Dann ein schneller Umbau (Flügel weggeschoben, Celesta musste bleiben, zweite Harfe hingestellt, ein paar Stühle geruckt, ein paar Violinen weniger für den Rest des Abends) – und Auftritt Vilde Frang. Irgendwie wirkt sie ja fast leblos, wenn sie so bleich und schlaksig auf die Bühne kommt – aber wenn sie dann zu ihrem Instrument greift … der Auftakt ins erste Konzert von Schostakowitsch war nicht kalt sondern emotional mitreissend gestaltet, eine Klage, ein Lied, wunderbar ausgestaltet von Frang. Im zweiten Satz gelang ihr das Ruppige, ja Hässliche vielleicht wirklich nicht so gut, wie die NZZ (heute in der Printausgabe, also vom ersten Abend am Mittwoch, ich entdeckte die Rezension noch am Nachmittag vor dem Konzert, was die Vorfreude gleich nochmal etwas anhob) meinte, liegt ihr das vielleicht wirklich nicht so sehr. Aber Sätze drei und vier sowie die grosse Kadenz gelangen Frang wieder ganz hervorragend. Letztere schien kein Ende nehmen zu wollen, drehte immer nochmal weiter, mit jedem Dreh wurde das Gehörte noch unfassbarer – einmal mehr war es gut, das Werk vor dem Konzert nicht nochmal anzuhören, auch wenn ich gerne vertrauter mit ihm wäre, aber das hat Zeit. Der Kehraus war dann natürlich kein patriotischer Jubel, im Gegenteil kam es mir eher so vor, als wäre der doppelte Boden quasi vor dem Publikum aufgetan worden. Eine Zugabe ziemt sich nicht nach diesem Stück, trotz riesigen Applauses.

Nach der Pause waren ein paar Plätze leer geblieben, der „venezolanische“ (NZZ) Dvorák war dann aber ziemlich toll – und überhaupt nicht venezolanisch, fand ich. Payare dirigierte die Symphonie auswendig, er hat einen Hang zu grossen, dramatischen Gesten, aber auch eine ganz feine Art, mit der Hand, mit einzelnen Finger, Dinge anzuzeigen. Mit seiner etwas krummen Haltung wirkt er etwas gnomenhaft, es fliesst aber eine grosse und überaus positive Energie aus ihm heraus, die sich auch hier auf das Orchester übertrug, das wachsam agierte und sehr gut spielte. Das blieb bei aller Wucht aber auch immer klangschön und elegant – und gefiel mir sehr. (Ein völlig anderes Erlebnis als die Sechste mit Tomas Netopil, den ich beim Konzert im Frühling enttäuschend fand.)

Die Rezension der NZZ:
https://www.nzz.ch/feuilleton/die-seele-freigespielt-vilde-frang-in-zuerich-ld.1538927

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