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1917 (Sam Mendes, 2019)
Auf diesen Film habe ich mich sehr gefreut. Und das aus mehreren Gründen. Erstens ist inzwischen mein Interesse am Ersten Weltkrieg größer als am Zweiten. Das liegt auch an den besonderen Umständen, die an der Westfront herrschten, also am Grabenkrieg. Zweitens war ich sehr gespannt auf die Umsetzung des One-Shot-Konzeptes. Drittens haben natürlich die vielen Lobeshymnen auf den Film die Vorfreude weiter befeuert. Ich wurde nicht enttäuscht.
(Ab hier gibt es kleine Spoiler, aber nichts inhaltliches, das nicht auch vom Trailer verraten wird.)
Zu Beginn sieht der Zuschauer die beiden Lance Corporals Will Schofield und Tom Blake, die sich dösend in idyllischer Natur ausruhen, bis sie den Befehl erhalten, sich bei Vorgesetzten zu melden. Was folgt ist eine Sequenz von enormer Sogwirkung, wenn die beiden erst durch das unmittelbare Hinterland der Front und dann in das System der Gräben laufen, ein fließender Übergang von Natur zu einer menschengemachten Vorhölle. Noch ist das alles nur trist, schmutzig und bedrohlich wirkend, doch nachdem die Corporals ihren Auftrag erhalten haben, folgt ein weiterer Abstieg in eine Welt, die die Alpträume von Dante oder Bosch fast harmlos wirken lassen. Schon der Weg in Richtung Niemandsland ist voller Wahnsinn, das Niemandsland selbst dann apokalyptisch. Fast meint man, sogar den Gestank all der sich in jedem denkbaren Zustand der Zerstörung und Verwesung befindlichen Körper riechen zu können. Auch nach diesem Abschnitt wird der Weg nicht leichter, es ändern sich eher die Arten des Schreckens als ihre Intensität. Ohne zuviel zu verraten kann ich ab hier nicht weiter beschreiben, welches Schicksal Schofield und Blake erwartet, daher nur noch so viel: die letzten Bilder greifen die allerersten wieder auf und bilden so eine optische Klammer um den Film. Es ist aber nicht dieser filmische Kniff, es sind die Unterschiede zum Anfang, die tiefen Eindruck hinterlassen.
Im Vergleich zu den anderen großen Werken zum Ersten Weltkrieg nimmt 1917 eine Sonderstellung ein. Remarques Buch Im Westen nichts neues und seine Verfilmungen waren ja radikal pazifistisch, ebenso Trumbos Johnny zieht in den Krieg. Kubricks Wege zum Ruhm war eine Anklage gegen das Militär bzw den Militarismus, Jüngers In Stahlgewittern eine irre Überhöhung des Krieges als Schule des Lebens. Mendes dagegen nimmt keine dieser Positionen ein. Er zeigt zwar die Hölle des Krieges, aber weder wird dieser verdammt noch gepriesen. Sein Militär besteht aus Menschen, nicht Monstern. Dem Film kommt das sehr zu Gute (was nicht heißt, dass ich Remarques und Kubricks Werk nicht schätze).
Technisch ist Film einfach grandios auf allen Ebenen. Die Kameraarbeit unterstützt die Handlung optimal, der Ton ist nicht immer naturalistisch, aber stets passend. Das gilt auch für die Musik, obwohl ich mir vorstellen kann, dass der ein oder andere Zuschauer das in einer Szene anders sieht. Das One-Shot-Konzept wird nicht über die ganze Länge des Films beibehalten, aber auch das ist in meinen Augen keine Schwäche. Wenn ein solches Gimmick an einer Stelle keinen Sinn ergibt, warum sich dann sklavisch daran halten.
10/10 (Ich weiß, langsam muss der Eindruck entstehen, dass ich außerstande bin, Filme schlecht zu bewerten. Aber wenn ich nun mal begeistert bin, was soll ich rummäkeln?)
zuletzt geändert von motoerwolf--
And all the pigeons adore me and peck at my feet Oh the fame, the fame, the fame