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Barry Guy Blue Shroud Band – Odes and Meditations for Cecil Taylor by Barry Guy, poetry Marilyn Crispell / Intensegrity: The Small Formations (Not Two, 5 CD, 2019)
Beim letzten Anlauf kam ich gerade mal bis CD 1, heute habe ich wieder bis nach dem Mittag Zeit, hoffentlich mal für drei der fünf CDs. Wie bei den früheren Guy-Boxen gibt es die Bandmitglieder in diversen Kombinationen, wobei es bei der Blue Shroud Band zu beachten gilt, dass auch klassische MusikerInnen dabei sind, nämlich Guys Partnerin Maya Homburger, die schon auf der ersten CD die Passacaglia in g-Moll von Biber spielt, die Bratschistin Fanny Paccound, und soweit ich weiss auch Ben Dwyer, der akustische Gitarre spielt. Obendrein ist einer der Saxophonisten, Michael Niesemann nämlich, neben dem Altsax auch an der Oboe zu hören, und an dem Instrument habe ich ihn auch mit Gardiners Orchestre Révolutionnaire et Romantique mit Brahms, Beethoven und Schubert gehört (klick). Guy selbst (und Homburger, bei Paccoud bin ich nicht sicher, aber auf irgendwelchen Alte-Musik-CDs habe ich sie auch drauf) spielt ja auch bei Gardiner bzw. spielte … diese Grenzgänge gehören zur Blue Shroud Band immer schon dazu, und auch Gesang – mal mit Worten, mal ohne – fehlt nicht, er stammt von der Griechin Savina Yannatou, die ordentlich charismatisch sein kann (aber das gelingt meines Erachtens nicht immer).
Die Musik der fünf CDs wurde am 27. bis 29. November 2016 im Alchemia Club (CDs 1-4) sowie am 30. November 2016 im Radiostudio in Krakau (CD5, auf der dann die ganze Band mit dem Stück zu hören ist, das der Box den Namen gibt: „Odes and Meditations for Cecil Taylor“) mitgeschnitten.
CD 1 öffnet mit einem Solo des Trompeters Percy Pursglove, dann folgt Homburger mit dem erwähnten Stück von Biber, Julius Gabriel übernimmt für einen furiosen (kurzen) Ritt am mit Zirkuläratmung ohne Unterbruch gespielten Barisax – das gibt fast einen Didgeridoo-Effekt. Dann gesellt sich Yannatou dazu, schliesslich stossen zum Duo noch Fanny Paccoud und Guy selbst. Dann folgen drei jeweils längere Stücke (12-17 Minuten), das erste mit Torben Snekkstad (er spielt ts/ss), Pursglove, Michel Godard (tuba) und Ramón López (d), das zweite mit Jürg Wickihalder (er spielt ss/as/ts) und Niesemann im Duo, dann Niesemann im Trio mit Guy und López.
CD 2 öffnet mit eiem Duo von Paccoud und Ben Dwyer, dann sind Pursglove, López und alle vier Saxer an der Reihe, gefolgt von Yannatou, Paccoud und Niesemann. Danach erklingt die Sonate g-Moll von Schmelzer, diesmal lässt sich Homburger von Guy begleiten (das haben sie auf CD ja auch mit ein paar der Rosenkranz-Sonaten von Biber gemacht, ganz wunderbar! eine davon konnte ich beim Intakt in London-Festival auch live hören). Der Pianist Agustí Fernández taucht danach zum ersten mal im Duo mit Paccoud auf, Dwyer spielt ein Gitarrensolo, und Niesemann/Fernández beenden die CD.
CD 3 beginnt mit Snekkestad/Pursglove, dann gibt es Niesemann/Godard/Dwyer und Yannatou/López. Zu letzteren kommen dann Wickihalder/Gabriel dazu. Sie und López bleiben, es kommen aber Pursglove und Guy neu dazu. Dann spielt Fernández ein Piano-Solo, Homburger spielt die Chaconne aus Bachs d-Moll-Partita BWV 1004, und die CD endet mit Guy/Yannatou/Wickihalder.
Auf CD 4 gibt es eine Reihe von Trios: Lucas Niggli (der letzte der Musiker, der auftritt), Guy und López machen den Auftakt, dann folgen Snekkestad/Fernández/Guy, Paccoud/Dwyer/Niggli/Godard, Niesemann/Yannatou/López, Fernández/Pursglove/Niggli. Zum Ausklang ist dann erstmals eine grosse Formation zu hören, aber noch längst nicht die volle, vierzehnköpfige Gruppe: Pursglove und Godard, die vier Saxer, Fernández und die beiden Drummer sind zu hören (die vier Saiteninstrumente und Yannatou haben Pause).
Ich glaube, es gibt da keine einzige Kombination zweimal und vor allem erklingen diverse ungewöhnliche Kombinationen, aber zwischendurch auch mal ein klassisches sax/b/d-Trio (Niesemann/Guy/López – oder psielt Niesemann hier dann Oboe? abwarten). Die Stücke dauern in der Regel so 8 bis 12 Minuten, es gibt ein paar kürzere und ein paar längere … jedenfalls wie bei Guy ja längst üblich eine unglaubliche Menge an Musik von Leuten, die auch wissen, was sie tun (was ja heute im Jazz nicht mehr überall ein Kriterium ist, wie es scheint). Das ist ein unglaublicher Reichtum … und dass es von der Blue Shroud Band (neben dem Intakt-Album, das den Auftakt machte, „The Blue Shroud“, 2014 aufgenommen, ich hörte die Premiere auch live – phänomenal!) bereits eine andere Box gibt ist noch schöner („Tensegrity“, 4 CDs mit ebenfalls „small formations“, auch von Not Two veröffentlicht und bereits 2014 mitgeschnitten).
Das feine bei diesen Leuten ist, dass sie zugleich völlig offen und frei agieren, aber auch einen Plan (oder eher: ganz viele Pläne) haben, Strategien, Techniken, ein Reservoir, aus dem sie schöpfen können. Die Musik kann atmen, auch wenn sie immer wieder zum Hochenergielevel findent, das nur die Europäer so richtig hinkriegen (Brötzmann ist der König in dieser „Disziplin“, die meines Erachtens die Amis wirklich nicht annähernd so gut drauf haben, aber das bleibt im Jazz dann doch die grosse Ausnahme bzw. hat wohl gerade damit zu tun, dass es nicht mehr wesentlich um „Jazz“ und alles damit assoziierte geht sondern eben gerade um den eigenen Aufbruch, und wenn der nur eine Schwarzwaldfahrt ist). Jedenfalls empfinde ich Guys Musik, und das wird bei der Blue Shroud Band im Vergleich zu Vorgänger-Projekten eher noch verstärkt, wie gesagt als unglaublich reich. Die ganzen Kombinationen von Klängen, das Spiel das von ganz still und lyrisch bis zu wildesten Ausbrüchen reicht … es steckt enorm viel drin in diesen Leuten, ob sie nun frei improvisieren oder eins von Guys grossen Werken aufführen (in denen wohl auch viel Raum für freies Spiel ist, ich stelle mir das eher als eine Art koordinierten Ablauf vor, in dem dann auch mal sowas wie: „freie Impro für Stimme/Altsax/Tuba“ drinsteht, wobei ich das jetzt einfach mal als Beispiel erfinde).
Davor erschienen zudem bereits zwei Boxen mit ähnlichen Programmen vom New Orchestra (dem Fernández auch bereits angehörte, Homburger war dort wohl nur Gelegenheitsgast, als ich die Band gegen Ende ihres Bestehens zum zweiten Mal* bei einem abendfüllenden Programm mit kleinen Besetzungen und Werken für die ganze Band hörte, war Trevor Watts ausgestiegen und Jürg Wickihalder nahm seinen Platz ein), „Mad Dogs – Barry New Orchestra Small Formations“ (Not Two, 5 CD, rec. 2010) und „Mad Dogs on the Loose – Barry Guy New Orchestra Small Formations“ (Not Two, 4 CDs, rec. 2012).
*) erstmals hörte ich sie mit „Oort-Entropy“, 2004 in der Roten Fabrik in Zürich, die gleichnamige CD auf Intakt entstand aber im Studio, ich hab sie nie gekauft, am Radio hörte ich den Mitschnitt und das funktionierte überhaupt nicht für mich, obwohl das Konzert – meine erste Begegnung mit Guy live – umwerfend und schwer beeindruckend war. Vielleicht müsste ich mit der CD mal wieder einen Versuch machen.
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