Antwort auf: Die wunderbare Welt der Oper

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Mailand, Teatro alla Scala – 20.11.2019
 
Die ägyptische Helena
Oper in zwei Akten von Richard Strauss
Libretto: Hugo von Hofmannsthal, basierend auf Euripides‘ „Helena“
 
Teatro alla Scala Chorus and Orchestra
Conductor Franz Welser-Möst
Staging Sven-Eric Bechtolf
Sets Julian Crouch
Costumes Mark Bouman
Lights Fabrice Kebour
Video-designer Josh Higgason

Helena Ricarda Merbeth
Menelaus Andreas Schager
Hermione Caterina Maria Sala*
Aithra Eva Mei
Altair Thomas Hampson
Da-Ud Attilio Glaser
Die allwissende Muschel Claudia Huckle
Elf 1 Noemi Muschetti*
Elf 2 Arianna Giuffrida*
Elf 3 Alessandra Visentin
Elf 4 Valeria Girardello*
Aithra’s Slave 1 Tajda Jovanovič
Aithra’s Slave 2 Valeria Girardello

*Soloists of La Scala Academy
 
Mittwoch setzte ich mich um die Mittagszeit aus dem Büro ab, um am Abend in Mailand die neue Aufführung (die erste in der Scala und wohl erst die zweite in Italien) von Richard Strauss‘ Oper „Die ägyptische Helena“ zu sehen. Dass das Stück, das auf Euripides basiert und von Hugo von Hofmannsthal für Strauss zubereitet wurde, selten gespielt wird, ist vermutlich kein Zufall, denn es wirkt bei weitem nicht so geschlossen wie andere Opern von Strauss (allen voran „Elektra“). Dennoch fand ich das einen rundum zufriedenstellenden Abend.

Der Plot ist wohl bekannt, es geht um Helena, die schönste aller Frauen, und ihre Rückkehr nach Sparta, an der Seite des von ihr verratenen, betrogenen König Menelaos. Die Zauberin Aithra steht am Ufer ihrer Insel, auf ihren Geliebten, Poseidon, wartend, der sie versetzt. Dabei sieht sie ein Schiff vorbeifahren, auf dem ein Mann sich gerade daran macht, seine Frau zu erdolchen – natürlich sind das Menelaos und Helena, auf der Rückfahr von Troja, wie die „allwissende Muschel“ Aithra erklärt. Diese will Helena retten, lässt das Schiff kentern, worauf Menelaos Helena an Land trägt, die erste Hälfe der Handlung spielt also auf der Insel der Aithra. Diese erfindet die Geschichte, dass nur ein Phantom von Helena von Paris nach Troja entführt worden sei, dass die echte Helena stattdessen die ganze Zeit sicher in Ägypten verbracht habe. Es gibt eine Verwirrungsgeschichte mit Zaubertränken, Menelaos wird in den Glauben befördert, Paris und die Phantom-Helena ermordert zu haben, doch dann trifft er die echte Helena wieder an, die eben gar nie in Troja gewesen sei. Nun bringt Aithra die versöhnten Eheleute an den Atlas, wo Helenas Schönheit sofort wieder Verwirrung stiftet. Altair, der Fürst der Berge, und sein Sohn Da-Ud verfallen ihr gleichermassen, Menelaos tötet letzteren auf der Jagd, mit Poseidons Hilfe befreit Aithra daraufhin die von Altair Gefangenen, doch Helena beschliesst, keine Vergessenstrunke mehr einzusetzen sondern fortan in Wahrheit mit Menelaos zu leben – oder zu sterben. Die Ankunft der gemeinsamen Tochter erleichter die märchenhafte Versöhnung, die damit zum Rest der Handlung passt, die eben genau das ist: ein Märchen. Dabei soll wohl die Frage abgehandelt werden, ob in der Lüge ein glückliches Leben möglich sei – und die Antwort fällt eben negativ aus, denn ausgerechnet im Moment der Erkenntnis (dass es nur eine Helena gab und diese ihn betrogen hat) versöhnt sich Menelaos mit seiner Gattin.

Der Vergleich mit der nicht so richtig gelungenen Produktion von „Ariadne auf Naxos“ drängt sich natürlich auf, die ich im April in der Scala, ebenfalls mit Welser-Möst am Pult, gesehen habe (klick). Das Orchester unter Welser-Möst glänzte aber auch dieses Mal, der Chor (auf die vordersten Logen verteilt) machte einen ansprechenden Job, das Ensemble auf der Bühne wirkte alles in allem recht ausgeglichen. Merbeth und Mei passten hervorragend, Heldentenor Schager war vom Gesang her aber die überragende Figur auf der Bühne, wohingegen Hampson etwas fahl blieb, Glaser seinen noch kürzeren Auftritt aber nutzte. Auch die Inszenierung von Bechtolf (den ich eigentlich als Langweiler abgebucht habe) passte hervorragend. Als Bühnenbild diente ein riesiges altmodisches Modell eines Radios, in dessen Mitte die „Muschel“ angebracht war, die sich öfter öffnete und den Blick auf Aithra und ihre Gehilfinnen freigab. In der zweiten Hälfte fanden wir uns im Innern dieses Radios wieder, Glaszylinder mit der ganzen Technik wurden sichtbar, quasi auch der Blick auf die Theatermaschine freigelegt, was zum doppelbödigen Stück bestens passte und obendrein auch schlicht schön anzuschauen war.

Eine sehr runde Sache jedenfalls, die zwar gewiss nicht in meine persönlichen Opern-Annalen eingehen wird (da ist aber Strauss mit dem „Rosenkavalier“ aus Zürich ganz weit vorn dabei und Herlitzius als „Elektra“ zu sehen war ebenfalls beeindruckend), aber dennoch ist das zweifellos eines der verdienstvolleren Unterfangen von Pereiras ja nicht sehr glücklicher Zeit in Mailand (natürlich stellt diesbezüglich nichts die Oper von Kurtág in den Schatten). Die nächsten beiden Besuche in der Scala finden wohl auch 2020 wieder im April und im Oktober/November statt (dieses Jahr gab es im Juni sogar noch einen dritten, mit der hervorragenden Inszenierung von „Die tote Stadt“ von Korngold, auch das eine verdienstvolle Sache). Im April wird mit Patricia Petibon Debussys „Pelléas et Mélisande“ aufgeführt, ich denke, da muss ich hin …

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