Antwort auf: Piano im 20. Jahrhundert – Die Liste

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Artur Schnabel in Performance, with Joseph Szigeti & Pierre Fournier
Arbiter, 2 CD, 2019

Auf CD 1 gibt es eine neue Restauration des Frick Collection-Rezitals mit Szigeti, davon lief vorgestern schon mal die Frühlings-Sonate von Beethoven, jahreszeitgemäss … es folgen KV 481 und Op. 96, aber dazu später, denn jetzt läuft CD 2, die bisher unveröffentlichte Aufnahmen von 1942 präsentiert, eine klanglich ziemlich problematische aber hörbare Radio-Aufnahme von Mendelssohns Klaviertrio d-Moll Op. 49 mit Szigeti und Fournier (London, 1947), sowie weitere Radio-Aufnahmen mit Schubert-Stücken, die Schnabel nicht im Studio aufgenommen hat: Nr. 1 und Nr. 2 der drei Klavierstücke D 946 sowie der dritte Satz (Scherzo. Allegretto) aus der Klaviersonate D 575 (alle drei Stücke aus New York, 1942). Als Bonus folgt dann noch Szigeti, wie er 1964 in New York über die Sonaten für Violine und Klavier von Beethoven spricht (25 Minuten lang).

Im Booklet gibt es Briefe Schnabels und mehr – wie üblich bei Arbiter ausführlich. Er beschreibt einen Besuch des jammernd-arroganten Furtwänglers bei ihm in Sils-Maria: „Now Furtwängler went as far last night (he got terribly excited, hysterical, shouted and roared), as to say that he had never known any Nazi. And that Germans and Nazis are not only absolutely different beings but hostile to each other. That millions of Germans are now being murdered daily, and that the whole world shows its decadence by its total lack of charity. He admitted, however (without having been asked) that he had quite a good time during the ‚regime.‘ What a confusion!“. Schnabel äussert sich über das Musizieren mit Szigeti: „… is wonderfully prepared, was however a bit nervous (more than a bit, a good bit!), … the full enjoyment of music’s beauty meets no obstacle“), Backhaus („I heard a recital of Backhaus. Old-fashioned. He never had fire and imagination.“; Gieseking: „He is, always was, a very primitive bulk (played many things beatufiully), and later a passionate Hitlerian. (Goes easily with stupidity.)“

Es gibt dann auch weiteres Material, so einen Brief von Fournier (dessen Verhalten im besetzten Frankreich kurz angetönt wird – Schnabel schreibt, auf einen Brief Fourniers Bezugnehmend und im ersten Satz wohl diesen referierend: „One day one will have to abandon the classification of persons according to their evident or only alleged behavior during the war. The door to this escape (of the self-righteous) should be closed now.“) an Therese Behr Schabel, in dem er 1947 sein Einverständnis zur Neuauflage der Beethoven-Sonaten verweigert: er habe sich verändert und diese Aufnahmen aus der Vergangenheit müssten zum Schutz seiner Zukunft zurückgehalten werden (die ersten zwei waren damals noch gar nicht erschienen und das nimmt Fournier auch als Hinweis, dass sie nicht sonderlich gut seien, er jammert aber vor allem darüber, wie Schnabels Klavier brilliant klinge, sein Cello aber total im Hintergrund stehe). Behr schreibt dann zurück, dass es doch ein Jammer wäre, wenn die Aufnahmen – gerade jetzt, wo die Aufnahmen Schnabels mit Erfolg neu aufgelegt würden – „because of some silly, malicious gossip“ verloren gingen. Sie erwähnt auch, dass sie einen Brief habe, den Fournier nach den Aufnahmen an Schnabel geschickt hätte, in dem er seine Begeisterung äusserte und bat, für eine baldige Veröffentlichung zu sorgen. Der „gossip“ lief wohl zwischen Fournier und H.M.V. (EMI, Legge) – worum es genau ging, ist mir nicht klar, aber Schnabel erwähnt 1947 schon in einem Brief, dass er nicht wisse, ob Fournier nach London käme, wegen seines Zerwürfnisses mit H.M.V./Legge.

Es folgt eine Korrespondenz zwischen Szgeti und Karl Ulrich Schnabel, in dem ersterer auch fragt, ob K.U. sich erinnern könnte, ob Schnabel Musils „Mann ohne Eigenschaften“ gelesen hätte – Szigeti habe beim Lesen das Gefühl gehabt, sich zu erinnern, dass Schnabel mit ihm mal über das Buch gesprochen habe. Es geht aber in erster Linie darum, wie die beiden versuchen, das Frick Recital zu veröffentlichen bzw. erst von Peter Bartók (dem 1924 geborenen Sohn von Béla Bartók, der als Toningenieur bekannt wurde, v.a. durch Arbeit für Folkways und Unicorn) zu erhalten, der es vom Radio mitgeschnitten hatte. Bartok befand sich damals im Streit mit Victor Bator (1891-1967, Gründer des Bartók-Archivs), der ihn aber mit dem Mitschneiden des Konzertes beauftragt hatte, was die Sache rechtlich schwierig machte … Szigeti schreibt dann, dass er Bator um Erlaubnis gebeten hatte (dafür, das bei Bartok liegende Tape zu duplizieren an H.M.V. zu senden): „let us hope and pray, because as you know any negotiation with this gentleman is in nature of a gamble“. Szigeti fügt aber auch an, dass es ihm höchst unklar sei, ob Bator irgendwelche Rechte besässe, bloss weil er Bartok bezahlt habe, das Band anzufertigen – denn jeder hätte doch an jenem Sonntagnachmittag (4. April 1948, um genau zu sein), einen Mitschnitt anfertigen können. Nachdem Szigeti und Schnabel nach einem ganzen Jahr die Bänder endlich haben, erwähnt Szigeti, dass es gut wäre, wenn auch die Konkurrenz (Saron von Philips) um die Aufnahmen wissen. Die Briefe ziehen sich dann hin, 1964 schreibt Szigeti über die „smiling virtuosos – liars“ von EMI-Pathé Marconi, einen weiteren „liar“ von CBS … aber Vanguard sei eventuell eine Option, um die Aufnahme zu veröffentlichten.

Eine ziemlich frustrierende Lektüre, aber immerhin wissen wir ja, dass der Mitschnitt dann doch an die Öffentlichkeit gelangte. Und so höre ich jetzt – statt des Vortrags von Szigeti über die Violinsonaten von Beethoven – die erste CD nochmal integral.

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