Antwort auf: Konzertimpressionen und -rezensionen

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yaiza

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fast zwei Wochen ist die Hommage nun her;es hat etwas gedauert, aber heute habe ich einen schönen sonnigen Nachmittag mit Zeit erwischt und Energie sowie ein paar Tassen guten Earl Grey getankt hier ein paar (mehr) Zeilen

HOMMAGE AN GIDON KREMER (18.-27.10.2019) im Konzerthaus Berlin

Sa, 19.10.19
„Offertorium“ (Sofia Gubaidulina); Sinfonie C-Dur D 944 „Große“ (Franz Schubert)
KH-Orchester; Dirigent: David Zinman; Violine: Gidon Kremer

Die Hommage, die später in den Medien auch in „Festival“ umbenannt wurde, begann am 18.u.19.10. mit dem „Offertorium“. Welch ein Auftakt! Gidon Kremer, Widmungsträger dieses Violinkonzertes von Gubaidulina, trat am Sa. im längeren weißen Hemd auf das Podium und los ging’s. Vorher wurde noch David Zinman mit riesigem Applaus begrüßt. Es war wirklich ein Genuss, das Konzert live zu hören und auch die Musiker dazu zu sehen… zwischendrin bildete sich ein schönes Dreieck Kremer – Zinman – Ferenc Gabor (Solo-Bratschist des KH-Orchesters)… irgendwann hing ich mit den Augen nur an den dreien fest. Trotz der vielen freien Plätze gab’s danach tosenden Applaus und Bravo-Rufe… und eine wunderbare Zugabe — nur von wem? Am Vortag saß auch Sofia Gubaidulina im Publikum. Nach längerem Bitten von Kremer und Zinman stand sie dann auch ganz kurz, fast unscheinbar, auf (so wurde es mir am Mi. erzählt). Mich freute, dass sie (Jg. 1931) noch die Fahrt von Hamburg nach Berlin auf sich nimmt.
Mit Schuberts Sinfonien bin ich noch gar nicht vertraut und einen Moment lang hatte ich auch überlegt, die „Große“ auszulassen, da die Woche schon recht intensiv werden wird. Aber die Neugier gewann und ich vertrat mir noch die Beine im Beethovensaal. Kremers jüngere Tochter hat künstlerische Portraits von Kremer, aber auch all seinen Gästen, angefertigt, die ich mir anschaute — bis dann die Hintertür aufging und tatsächlich Gidon Kremer herauskam und sich ohne großen Wirbel an einen Tisch setzte. Schnell formierte sich eine Reihe und da ich gerade genau in der Ecke stand, stellte ich mich auch an. Nun bin ich überhaupt gar kein Autogrammsammler, im Grunde genommen verschwindet es doch sowieso irgendwo im Regal. Aber eine Erinnerung an die Festwoche ist es allemal. Kurze Zeit später signierte mir „Don Gidon“, wie ihn der Intendant des Konzerthauses bei der Eröffnung nannte, die Festschrift (sehr stilvoll gestaltet) und die „Offertorium“-Seite im Programmheft. Ein Interessent kam von der Seite und fragte, ob er kurz nach dem Komponisten der Zugabe fragen dürfe und das beantwortete Kremer sehr gern: Valentin Silvestrov — sie arbeiten wohl an einem Schubert-Projekt und er empfahl den Umstehenden sich mal mit Silvestrov zu beschäftigen. Überhaupt machte er einen recht entspannten Eindruck und wirkte auch zugänglich. Diese gelassene Grundstimmung schwebte die ganze nächste Woche über dem Gendarmenmarkt. Im zweiten Teil dann die „Große“ von Schubert, die sich Schubert-Fan Kremer wünschte. Vor David Zinman lag die Partitur, die er aber nicht aufschlug; er hat auch eine schöne Art zu dirigieren; ich habe ihm da gern zugeschaut… das Laufen fällt ihm sichtlich schwer, aber im Schlussapplaus wirkte er sehr agil.

So, 20.10.19
Rezital
Sonaten f. Violine u. Klavier (Prokofjew 2, Weinberg 5, Schubert A-Dur posth. D 574) und für Violine solo (Weinberg 1)
Violine: Gidon Kremer; Klavier: Martha Argerich

Im ursprünglichen Programm war statt Prokofjew die erste Sonate v/p von Bartók vorgesehen. Das wäre natürlich nach dem „Bartók-Sommer“ ein absolutes Highlight für mich gewesen. Die Programmänderung fand ich schon etwas schade, aber dafür gab es sicher einen guten Grund. Nach der Woche hatte ich das Gefühl, dass Kremer Prokofjew (verließ das Land und kehrte zurück) evtl. als Gegenpol zu Weinberg und Schostakowitsch mit ins Programm genommen hatte. Zumindest denke ich immer noch darüber nach… Ja, was soll ich schreiben… Das Rezital war fantastisch, Kremer und Argerich waren gut drauf… Ich war auch irgendwie aufgeregt, weil es schon ein besonderes Konzert war. Nach dem Beginn mit Prokofjew spielte Kremer die Sonate für Violine solo Nr. 1 von Weinberg. Das war schon sehr eindrucksvoll und ging ziemlich unter die Haut. Im zweiten Teil dann Sonaten von Weinberg und Schubert… von beiden wirklich sehr lebhaft gespielt. Die Zeit verflog viel zu schnell. Stehender Applaus und schnell war klar, dass die beiden ohne Zugaben eh‘ nicht davon kämen. So beschenkten sie uns noch mit einem Tango von Piazzolla (bei der Erwähnung Piazzollas ging ein „ohhhhhh“ durchs Publikum; damit hätte ich auch gar nicht gerechnet, es war schön, dass Piazzolla über den Zugabenteil seinen Platz fand – mit „Milonga En Re“) und anschließend noch mit dem 3. Satz der Kreutzersonate. Danach noch wirklich lang anhaltender Applaus, fast der ganze Saal stand… und aus der letzten Reihe sprintete eine Jugendliche nach vorn, um Martha Argerich ein Geschenk zu geben, die dieses auch ganz herzlich entgegennahm. Zusammen schritten Kremer und Argerich mehrmals das Podium auf gesamter Länge ab. Ein Abend für’s Langzeitgedächtnis…

Am Mo., 21.10., waren Gidon Kremer und Yulianna Avdeeva zu Gast im Werner-Otto-Saal und im Rahmen der Reihe „2x zeitgenössisch“ wurde eine Sonate für Violine und Klavier von Weinberg aufgeführt – 2x , einmal ohne Vorwissen und dann nach dem Gespräch mit vermutlich anders eingestellten Ohren. Ich mag dieses Format, konnte aber wg. eines Geburtstags in der Familie nicht hingehen. Ich hatte auch schon eine Karte, da die Feier am Sa. stattfinden sollte, aber im letzten Moment wurde mal wieder alles geändert. Schade, ohne Frage. Ist aber auch nicht schlimm, da die Feier am Mo. wirklich schön war und ich somit ganz bequem am Sa. zur Late Night gehen konnte — und ja Spoiler Alarm: der Samstagabend war ein ganz unerwartetes Geschenk.

Am Di., 22.10., hatten die Hommage-Besucher „frei“, Gidon Kremer spielte mit der Kremerata in der Elbphilharmonie in Hamburg (Weinberg, Schostakowitsch, Desyatnikov). Es gab aber Di. und Mi. Espresso-Konzerte mit Stipendiaten der Kronberg Akademie, die auch sehr interessant klangen (Schubert, Kancheli, Schnittke). Aber da diese um 14.00 Uhr beginnen, habe ich in einer arbeitsreichen Zeit nicht darüber nachgedacht… :D

Mi, 23.10.19
Film „Gidon Kremer – die eigene Stimme finden“ (D 2018, 58min, Regie: Paul Smaczny)
im Anschluss Publikumsgespräch mit Gidon Kremer

Nächster Treff der vielen älteren und einigen jüngeren Festivalbesuchern war am Mittwoch der Musikclub im Konzerthaus. Hier finden um die 100 Leute Platz, vielleicht waren um die 70/80 da. Es waren einige ältere russische Damen anwesend und da ich mal 6 Jahre Russisch gelernt habe, konnte ich auch ein bisschen den Gesprächen folgen. Und immer wieder muss ich zugeben: Ich liebe die vielen Diminutive :D … Eine sehr junge Moderatorin begrüßte das Publikum und leitete ganz toll ein. Kurz & knapp, sympathisch, auf den Punkt. Die Dokumentation ist sehr sehenswert, sehr dicht, mal ernst, aber auch mit Augenzwinkern bestückt. Schön auch das Voice-Over nach einem Treffen mit Arvo Pärt, in welchem er überlegt, was wohl von ihnen mal zurückbleibt. Ausgerechnet an der Stelle, als Kremer im Konservatorium im Moskau fragte, wo denn die Statue seines Lehrers David Oistrach stehe, hakte der Film mehrere Male. Kremer löste später im Gespräch das Rätsel auf (er hatte den Film komplett mitgeschaut) … in einer Halle findet man ganz viele Statuen von Komponisten, aber auch Ausnahmemusikern wie Gilels, Richter etc. „Wenn schon – dann doch komplett“ so Kremer. Er fragte eine Angestellte, die ihm antwortete, dass die Statue noch nicht da wäre ;D Das Gespräch selbst war sehr interessant. Die erste Wortmeldung aus dem Publikum kam von einem ältern Herren „Herr Kremer, ich verehre Sie!“ und interessanten Nachfragen zu Oistrach. Außerdem erzählte er zu seiner Kindheit und was ihn jetzt so umtreibt. Er sprach vom Lockenhaus-Gefühl, was sich bei ihm so langsam in dieser Festivalwoche in Berlin einstellte, zu Weinberg und kam immer wieder auf die Veranstaltungen am folgenden Wochenende zu sprechen. Hier waren zwei Abende geplant, die ihm augenscheinlich sehr nahe waren. Außerdem sprach er auch von Veränderungen und dass er hofft, dass die Kremerata einen guten Weg findet. Für ihn ist’s klar, dass er nicht mehr lange spielen wird.

Do, 24.10.19
KREMERATA BALTICA (Dirigentin Mirga Grazinyte-Tyla)

1. Teil
Schubert: Polonaise für Violine und kleines Orchester B-Dur D580 (Violine: Gidon Kremer), Weinberg: Sinfonie Nr. 2
Und es kam der Augenblick, der kommen musste und auch irgendwie im Raum stand: Am Do. betrat Kremer ganz gerührt das Podium und kündigt ein Stück zum Gedenken an Giya Kancheli an. Er spielte „Der gelbe Knopf“, eine Miniatur, die Kancheli für Kremer schrieb, nachdem dieser ihm erzählte, dass er seiner Mutter mal zum Geburtstag einen gelben Knopf schenkte. Nach dem letzten Ton war es lange still. Außerdem kündigte Kremer an, dass er zwar im Programm erwähnt wird, dieser Abend aber der Kremerata Baltica gehören sollte. Er spielte die Polonaise mit der Kremerata, verabschiedete sich Richtung Ausgang und tauchte kurze Zeit später im Zuschauerraum auf und setzte sich an den Rand einer mittleren Reihe. Es folgte Weinbergs Sinfonie Nr. 2, die von dem Kammerorchester hervorragend gespielt und von Mirga G.-Tyla geleitet wurde. Sie hat eine ganz eigene Art zu dirigieren und kitzelt ganz tolle kraftvolle Momente heraus.

2. Teil
Schostakowitsch: Konzert für Klavier, Trompete und Streichorchester Nr. 1 c-Moll
Desyatnikov: Musik zum Film „Target“ für Violine, Trompete, Klavier und Streicher

Klavier: Lucas Debargue, Trompete: Sergei Nakariakov

Mit einem Lächeln betrat Kremer wieder das Podium mit Mikro und machte sich schon über seine neue Moderatorenrolle lustig (Er macht das aber gut.) Er verlas eine Nachricht von Mirga G.-Tyla, die sich wie Kremer aus dem 2. Teil zurückzog. Wieder ging er durch den Ausgang ab und tauchte eine Minute später im Zuschauerraum auf. Da ich keine preiswerte Karte im 1. Rang mehr bekam, musste ich auf den 2. ausweichen, aber von dort hatte man „Kremer und die Türen“ gut im Blick. Neben Lucas Debargue und Sergei Nakariakov kam auch Andrei Pushkarev (Schlagwerk) zur Kremerata dazu. Das Klavierkonzert 1 von Schostakowitsch gehört zu meinen Lieblingskonzerten und daher freute es mich, dass es ins Programm genommen wurde. Debargue und Nakariakov beeindruckten schon auch durch ihre Coolness. Im Netz gibt’s ja auch viele Aufnahmen dieses Konzertes, in vielen spielt Nakariakov. So saß er auch ganz lässig mittendrin und spielte seinen Part souverän. Debargue hat mir auch gut gefallen. Er passt zu den jungen Musikern, hat auch ein bisschen was „Verrücktes“ und „Ungestümes“ im positiven Sinn. Das Stück von Desyatnikov war mir unbekannt, beeindruckte aber durch das Verweben mehrerer Stile… ich habe gar keine Vorstellung vom Film „Target“ (Science Fiction), aber die Musik macht mich schon recht neugierig darauf. Leonid Desyatnikov scheint auch eine Entdeckungsreise wert zu sein.

Für beide Teile gab es langen langen Applaus. Der Klang der Kremerata Baltica ist wirklich toll. Es ist ihr zu wünschen, dass sie dann auch ohne den aktiven Kremer ihren Weg beibehält. Lucas Debargue ist schon etwas fester an sie gebunden… sowie auch Georgijs Osokins (Permanent Guest Artists) Auf jeden Fall werde ich auch hier mal mehr auf Entdeckungsreise gehen… Und bei Debargue — vielleicht auch mal seine Scarlatti-Aufnahmen anhören (4 CDs)… nur wann (?) :D

Während des Abschlussapplauses verschwand Gidon Kremer wieder ins „Hinterland“, um dann noch mit seiner Amati den Zugabenteil zu spielen. Zuerst das von Kancheli komponierte „Rag-Gidon-Time“ und dann – wieder mit großem ooooooooh! vom Publikum eingeleitet – „Oblivion“ von Piazzolla. Wow, wer hätte das gedacht… das war wirklich eine Überraschung. Noch am Nachmittag hatte ich mir die „Hommage à Piazzolla“ angehört. Ein schöner Bezug und Brückenschlag zum Publikum, das er durch die Piazzolla-Interpretationen erreichte.

Fortsetzung folgt…
die letzten drei Tage Fr/Sa/So waren sehr intensiv –
da standen dann Schostakowitsch und vor allem Weinberg im Zentrum

zuletzt geändert von yaiza

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