Antwort auf: 2019: Jazzgigs, -konzerte & -festivals

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Helferi, Zürich – 05.11.2019

Alexander von Schlippenbach Klavier

In der Helferei – einst der Wohnsitz von Huldrych Zwingli – spielte gestern um sechs Uhr abends Alexander von Schlippenbach ein Solo-Konzert. Sein erster Solo-Auftritt in Zürich notabene, obwohl er hier schon regelmässig zu Gast war, sei es mit der „Winterreise“ des Schlippenbach Trios, mit dem Globe Unity Orchestra oder in sonstigen Formationen. Veranstaltet wurde das Konzert von Intakt, denn Schlippenbach war hier, um gestern und vorgestern in eineinhalb Tagen im Radiostudio Zürich ein neues Solo-Album aufzunehmen, das bei Intakt erscheinen wird. „Slow Music for Aki“ werde es vielleicht heissen, so meinte er. Denn die Idee dahinter entstand auf Anregung von Aki Takase: warum bei ihm immer alles so schnell, so dicht sein müsse, ob er nicht auch einmal langsamere Musik spielen könne? In der Vorankündigung war die Rede denn auch von Balladen, Standards – doch Schlippenbach meinte vor seinem Set, er hätte gerade etwas genug von den langsamen Stücken und werde im Konzert das „Übliche“ spielen, ein Set von etwa fünfzig Minuten ohne Unterbruch, in dem eigene Stücke, viel Improvisation, ein wenig Monk – wenn ich mich nicht irre „Rhythm-a-Ning“, das direkt in „Evidence“ morphte, und später auf jeden Fall noch das wunderbare „Pannonica“, das denn durchaus zum Thema der Langsamkeit/Balladen passte.

Auf dem Weg zum Klavier wird der inzwischen 81 Jahre alte Musiker inzwischen recht zerbrechlich, doch wenn er erst einmal loslegt, ist das alles wie weggefegt. Seine Hände jagen über die Tasten, er spielt zwar kaum Cluster oder sonstige Ausbrüche aus der üblichen Klavierspielweise, doch verdichtet sich die Musik manchmal enorm, wird zu einer Art Welle, der jedoch stets eine Sanftheit, eine Poesie innewohnt, die einen eher mit sich fort trägt als dass sie bedrohlich oder überwältigend wirken würde.

Es folgte eine kurze Zugabe und im Anschluss an das wunderbare Konzert ein Künstlergespräch, geführt von Rosmarie A. Meier (der Präsidentin des Trägervereins von Intakt) und Anja Illmaier, die für das Label arbeitet. Schlippenbach hatte fast keine Stimme und glücklicherweise ein Mikrophon zur Verfügung … allzu tief schürfte das nicht, aber es war sehr unterhaltsam, ihm bei seinen Erinnerungen zu folgen. Er erzählte etwas von früher – wie er in Köln bei Musikern der Edelhagen Band gelehrt habe, u.a. von Francis Coppetiers, der ihm Monk vorspielte, wie damals schon nur die Möglichkeit, zuzuschauen, sehr lehrreich gewesen sei. Dann wurden die Liner Notes einer älteren Intakt-CD zitiert, in denen Bert Noglik was von einer Summe schreibt. Das war vor 13 Jahren, die Frage also, was er denn seither noch so getan hätte, ob er sein jüngstes Schaffen als Alterswerk sehe? Er meinte, eigentlich sei er seit den 90ern dran, die 20 Jahre davor zu verarbeiten … erzählte später auf eine Publikumsfrage hin, mit welchen Leuten er am liebsten spiele, gespielt habe (von Schoof und Dudek über Niebergall, Liebezeit bis hin zu Mahall und seinem aktuellen Quartett mit Henrik Walsdorff).

Eine andere Frage betraf die langjährigen Zusammenarbeiten, besonders natürlich die „Winterreise“ des Schlippenbach Trios. Ich war froh zu hören, dass inzwischen einer seiner Söhne als Fahrer angeheuert wurde – bis vor kurzem fuhr Schlippenbach nämlich selbst mit seinem Kombi, vollgepackt mit einem Drum-Set – quer durch Europa, jüngst im Wechsel mit Paul Lytton, der seit ein paar Jahren auf Touren den Platz von Paul Lovens übernimmt). Schön war jedenfalls, zu sehen, dass ihm der Humor nicht abhanden gekommen ist, die Leidenschaft für die Musik auch nicht, obgleich er sich da gerne etwas bedeckt hält … und es ist durchaus zu hoffen, dass dies der Auftakt war zu einer geplanten Reihe von Konzerten mit anschliessenden Gesprächen (letztere exklusiv für die Abonnentinnen von Intakt).

Nach Zürich kommt die „Winterreise“ leider dieses Mal nicht, aber ich empfehle allen, die es einrichten können, hinzugehen! Natürlich hat die das Trio – Evan Parker (ts), Alexander von Schlippenbach (p), Paul Lytton (d) – durch den neuen Drummer stark verändert, es ist aber weiterhin eine phantastische Band (und dass Parker in der Regel heute wohl sein Sopransax nicht mitnimmt, finde ich eher positiv, sein Tenor scheint mir deutlich vielfältiger zu sein):

Winterreise Tour 03.- 15. December – Schlippebach Trio (w/ Evan Paker, Paul Lytton)

03. December 2019 – Dortmund Domicil
04. December 2019 – Köln Loft
05. December 2019 – Wuppertal
06. December 2019 – Weikersheim
07. December 2019 – Moers
08. December 2019 – Münster Black Box
09. December 2019 – Netz (F)
11. December 2019 – München Unterfahrt
12. December 2019 – Wien Porgy and Bess
14. December 2019 – Graz

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