Antwort auf: Konzertimpressionen und -rezensionen

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Winterthur, Stadthaus – 02.11.2019

Emmanuel Pahud Flöte
Pascal Druey (Mozart), Aischa Gündisch (Dvorák) Violine
Chie Tanaka (Mozart), Ivona Krapikaite (Dvorák) Viola
Franz Ortner (Mozart), Françoise Schildknecht (Dvorák) Violoncello

Moderation: Patricia Moreno

Wolfgang Amadeus Mozart Quartett für Flöte, Violine, Viola und Violoncello C-Dur, KV 285b (1778)
Elliott Carter „Scrivo in Vento“ für Flöte solo (1991)
Wolfgang Amadeus Mozart Quartett für Flöte, Violine, Viola und Violoncello D-Dur, KV 285 (1777)
Antonín Dvorák Streichquartett Nr. 12 F-Dur Op. 96 „Amerikanisches“ (1893), Fassung für Flöte, Violine, Viola und Violoncello

Gestern gab es in Winterthur einmal mehr Emmanuel Pahud mit Kammermusik, dieses Mal im Rahmen eines Freikonzertes. Es gab auch nummerierte Platzkarten (in diesem Fall sogar für Berliner Preise zu kriegen, ganz knapp zweistellig) und es war eine gute Idee, eine solche zu kaufen, denn Pahud zieht die Leute in Scharen an und mit diesen Karten sass ich für einmal dort, wo sonst die richtig teuren Plätze sind, die ich mir nicht leisten kann, so lange ich so oft an Konzerte gehe … Das Konzert war obendrein moderiert: Patricia Moreno, die seit über zehn Jahren im Kulturspartenradio des SRF tätig ist, sagte die Stücke und die MusikerInnen an und führte dann zwischendurch vor allem auch ein kleines Gespräch mit Pahud, über die Musikstücke des Abends, über sein Instrument, seine Karriere, sein bevorstehendes Sabbatical usw. Das war eine feine Sache, fand ich – auch weil die Frau weiss, wovon sie spricht (was bei ähnlichen Formaten im TV ja leider nicht gegeben ist, Radio ist eine andere, aussterbende Welt).

Los ging es mit dem dritten, unvollendeten Flötenquartett von Mozart, KV 285b – es gibt zwei Sätze, ein Allegro und ein Andantino. Der Zeitrahmen für die kleine Werkgruppe (KV 285) ist Mannheim, Ende 1777 bis Anfang 1778. Für 200 Gulden (ein Honorar, das man damals anscheinend sonst für eine komplette Oper erhielt) sollte Mozart für den Amateurmusiker Ferdinand de Jean „3 kleine, leichte, und kurze Concertln und ein Paar quattro auf die flötte“ liefern. Geschafft hat er ein ganzes Konzert, ein ganzes Quartett, ein halbes Konzert (eine Adaption eines Oboenkonzerts KV 314) sowie ein unfertiges Quartett, KV 285a; das dritte Quartett, KV 285b, das ja gespielt wurde, ebenfalls unvollendet, gehört wohl in einen anderen, etwas späteren Entstehungskontext, aber da steige ich auch nicht mehr durch (falls das stimmt, hätte man in Winterthur bei Programmgestaltung, Text zum Konzert und Ansagen grosszügig drüber hinweggesehen. Egal, nicht fertig wurde Mozart jedenfalls, weil er sich so richtig fest in Aloisia Weber verliebt hatte, was ihn vom Komponieren abhielt … und als ihm dann klar wurde, dass seine Ambitionen ins Leere laufen würden, hat er dann auch geschrieben, dass er die „flötte“ eh nicht möge – wer’s glaubt.

Die beiden Quartette sind jedenfalls bezaubernd, leicht, voll von Mozarts unfassbaren melodischen Einfällen – aber doch vielleicht etwas zu leicht? Ich schwanke, denn ich fand Pahud alles in allem noch besser als neulich mit Eric Le Sage, aber die Begleitung war über weite Strecken etwas zurückhaltend, verhalten, sehr stimmig, aber einfach nicht so auf die Spitze getrieben, wie das wohl auch ginge. Vielleicht aber haben die vier so auch gerade den richtigen Mozart-Ton getroffen? Ich muss da mal die Aufnahmen anhören, die ich habe (alle vier Flötenquartette – es folgte später noch KV 398, vermutlich deutlich später entstanden, als die KV-Nummer suggeriert – in Aufnahmen mit Arthur Grumiaux, die Flöte spielt William Bennett, vom ersten habe ich noch eine aus dem Juilliard-Umfeld mit Julius Baker an der Flöte; bei den Flötenkonzerten habe ich etwas mehr Auswahl, aber auch sie sind mir überhaupt nicht geläufig).

Zwischen den beiden Werken von Mozart – als zweites gab es dann KV 285, das vollendete in drei Sätzen – erklang ein Solo-Stück von Elliott Carter, mit seinen Effekten ordentlich Eindruck hinterliess beim Publikum. Pahud demonstrierte unter anderem, wie laut eine Querflöte auch in so einem grossen, hohen Raum sein kann. Ein faszinierendes, etwa fünfminütiges Stück, in dem natürlich auch ganz andere Spieltechniken gefragt sind als bei Mozart. Carter hat, so erfuhr man im Gespräch davor mit Moreno, für Pahud aus Anlass der Gesamtaufführung von Carters Werken zu seinem 100. Geburtstag in Berlin, auch noch ein Flötenkonzert komponiert … da muss ich wohl mal danach suchen.

Als letzten Block, in anderer Besetzung, gab es dann eine Adaption des „amerikanischen“ Streichquartetts von Dvorák, das ich neulich ja schon mit dem Pavel Haas Quartett gehört habe – und tatsächlich klangen die Melodien dieses auch überaus melodischen Werkes sofort wieder vertraut. Die Flötenversion klang wohl wieder etwas harmloser, ausgewogener vielleicht – aber die Idee der Adaption leuchtete fast durchgängig ein, denn dieses Quartett ist doch in vielerlei Hinsicht fast eher ein Violinkonzert mit Streichtriobegleitung als ein Streichartett. Sehr oft und über lange Passagen entfernt die erste Stimme sich vom Rest, die zweite Violine wird immer wieder zum Dialogpartner (auch in der Hinsicht fand ich diese Fassung faszinierend, denn sie machte die zweite Stimme hörbar, was etwas ist, womit ich mich bei Streichquartetten bisher recht schwer tue – da würde wohl das Lesen von Partituren helfen, müsste ich mal versuchen). Die Besetzung hier spielte wohl ein wenig zupackender, spitzer, rhythmisch war das alles sauber umgesetzt, aber ich kriegte auch den Verdacht – weil ich hier gerade einen direkten Vergleich hatte – dass ev. die Flöte auch einen Teil zur Verflachung beiträgt, weil sie einfach breiter gespielt wird als eine Violine, rein vom Physikalischen her, bis der Ton anspricht muss die Luftsäule ja schon stehen, egal wie behende (äh: behände?) und spitz die Töne danach phrasiert werden können, die gleiche dezidierte Pointiertheit wie bei einer Geige ist nicht ganz drin, vielleicht lag die etwas zurückhaltendere Wirkung der Aufführung im Vergleich mit dem Haas Quartett also in erster Linie an der Instrumentation und nicht am weniger energischen Spiel? Egal, eine runde Sache, bei der für mich aber schon das Stück von Carter das Highlight war.

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