Antwort auf: Konzertimpressionen und -rezensionen

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gypsy-tail-wind
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Zürich, Tonhalle-Maag – 22.10.2019

Zürcher Kammerorchester
Daniel Hope
Violine & Music Director

John Rutter Suite für Streichorchester, basierend auf britischen Volksmelodien
Wolfgang Amadeus Mozart Adagio und Fuge c-Moll KV 546
Felix Mendelssohn Violinkonzert d-Moll

Piortr Iljitsch Tschaikowsky Streicherserenade C-Dur Op. 48

Letzte Woche ging es am Dienstagabend ziemlich müde in die Tonhalle-Maag zur Saisoneröffnung des ZKO. Dieses ist in der letzten Zeit etwas ins Schlingern geraten, was aber bei den wichtigen Konzerten zum Glück in musikalischer Hinsicht nicht zu hören war (mit „wichtig“ meine ich: nicht sowas wie „Art on Ice“ oder sonstiger Quatsch, den das ZKO unter der inzwischen nun doch beendeten Intendanz von Michael Bühler – er war von 2008 bis 2018/19 tätig und hat in Sachen Positionierung des Orchesters sicher sehr vieles richtig gemacht – auch noch unternommen wurde). Zum Auftakt traten dann auch die neue Vorsteherin des Trägervereins sowie das neue Leitungsduo (kaufmänn./künstlerisch) auf – das ZKO ist jetzt fest in der Hand von Frauen und ich wünsche ihnen viel Glück dabei, den musikalischen Kurs zu halten und den wirtschaftlichen wieder zu finden (dass dabei das eine oder andere Extra auf der Strecke bleiben mag, ist mir Wurst, Konzerte mit Häppchen, die auf die Musik abgestimmt wurden oder mit Scherenschnittanfertigung, die man auf Leinwänden im Hintergrund sieht oder sowas brauche ich nicht … die Eventisierung hat uns ja allerdings leider alle in der Hand und ich verurteile solche Unternehmungen nicht – aber wenn sie mehr kosten als einbringen, werden sie halt wieder gestoppt).

Das Eröffnungskonzert bot jedenfalls Anlass für Optimismus. Das Orchester, geleitet vom ersten Pult aus von Daniel Hope, der auch die Stücke in knappen aber sehr treffenden Ansagen ein wenig erläuterte, spielte gradlinig, zupackend und klar in der ersten Konzerthälfte, erreichte nach der Pause bei Tschaikovsky aber auch die nötige Fülle, den nötigen reichen, üppigen Klang. Los ginge es mit Rutter, dessen Suite auf dem Programmzettel als letztes Stück vor der Pause angekündigt wurde – doch Hope meinte, das sei ja ein festlicher Anlass und die Musik von Rutter sei festlich … und er erzählte dann noch von einer persönlichen Begegnung – das Konzert lief unter der Überschrift „musikalische Vorbilder“ –, die er als Jugendlicher mal hatte (er sang in einem Chor mit, Rutter ist ja in England wohl der beliebteste zeitgenössische Chor-Komponist). An mir zog das ein wenig vorbei, süffig, gefällig, etwas harmlos. Das nun kann man von Mozarts KV 546 nicht sagen. Die Fuge nimmt ja bekanntlich fast schon teuflische Züge an – und sie wurde vom ZKO auch in einer fesselnden Darbietung geboten. Dann folgte das frühe Violinkonzert von Mendelssohn, das Hopes Ziehvater Yehudi Menuhin (fast buchstäblich, seine Mutter war für Menuhin als Sekretärin tätig und organisierte seine Konzertreisen, Hope war öfter mal dabei und lernte auch bei Menuhin) einst als erster spielte, nachdem es aufgetaucht war. Ein schönes, durchaus hörenswertes Stück, das von Hope überzeugend dargeboten wurde (er spielte zwischendurch immer wieder mit den ersten Violinen mit). Nach der Pause folgte dann Tschaikovsky, und es war wohl richtig, die Pause etwas spät im Programm zu machen, denn wie angedeutet musste das ZKO wohl ein paar Hebel umschalten, um nach der Pause fast wie ein anderes Orchester aufzutreten, eines, das in der klanglichen Üppigkeit der Romantik ebenso daheim ist wie in der Klarheit und Schlankheit von Barock und Klassik. Das gelang überzeugend und die süffige Musik von Tschaikovsky, der darin eine Art russisches Mozart-Update versuchte, überzeugte sehr.

Es mussten also Zugaben her, das war klar (das ZKO spielt fast immer welche, das Tonhalle-Orchester unter Järvi künftig wohl auch) – als erste gab es eine Hommage an Stéphane Grappelli, Gershwins „I Got Rhythm“, in dem die Kontrabassistin des ZKO als „Co-Solistin“ nach vorn kam … bloss, um dann einen vom Beat her ziemlich wackligen Walking Bass zu spielen, zu dem die anderen Streicher (Bläser brauchte es in diesem Programm keine) ebenso schief rifften, während Hope ein vermutlich völlig auskomponiertes, keinen Sinn ergebendes Solo aus Versatzstücken spielte, eine Reihung von Jazz-Klischees, sie man so oder anders in hunderten von Big Band-Aufnahmen in Solos hören kann, wo sich einer hochpeitschen lässt. Das wirkte aber leider – neben den rhythmischen Unzulänglichkeiten – völlig aufgesetzt und ergab, wie gesagt, schlicht keinen Sinn. Es kam mir so vor, als würde jemand quasi Wörter korrekt aussprechen können, vielleicht sogar halbe Sätze, aber hätte keine Ahnung, was sie bedeuten und wie sie zusammengehören. Dass die Rezensentin des Tagesanzeigers gerade diese Zugabe über den grünen Klee lobt, ist nochmal erschreckend, denn die ganze Klassik-Welt hat nach wie vor kaum eine Ahnung – geschweige denn ein Gespür dafür – wie Jazz, wie Swingen funktioniert – und das ist natürlich beelendend. Zum Glück gab es danach noch eine Petitesse von Worlferl, die ich nicht erkannte – Hope sagte nur „Mozart“, und ab ging die Post. So war der Ausklang zum Glück auch für mich noch versöhnlich.

(Ich müsste Hope wohl mal eine Compilation mit Stuff Smith, Ray Nance, Leroy Jenkins, Billy Bang zukommen lassen … nur so von wegen „greatest jazz violin player“ …)

Zürich, Tonhalle-Maag – 24.10.2019

Tonhalle-Orchester Zürich
Paavo Järvi
Leitung

Pjotr I. Tschaikowsky Symphonie Nr. 4 f-Moll Op. 36

Am Donnerstag ging es – kurzfristig eingeschoben – direkt nach der Arbeit um 18:30 ins „Rush Hour“-Konzert in der Tonhalle. In diesem neuen Format (Eventitis?) wird das Hauptwerk des an den Tagen (in diesem Fall Fr/Sa/So) gespielten Programmes gespielt, und danach gibt es im Foyer eine Jam-Session (Vorfreude nach dem „Jazz“ des ZKO: null!). Eine ganz nette Sache, zumal ich um 21 Uhr noch ins Kino wollte („The Learning Tree“ von Gordon Parks, der neben der Vorlage auch gleich die Musik schrieb – sehenswert!) … los ging es mit der Vierten von Tschaikovsky, die, ich erwähnte es schon, ich vor ein paar Jahren in der Tonhalle mit Dutoit am Pult gehört hatte – und wenig damit anfangen konnte. Da das Tonhalle-Orchester aber alle sechs spielt und aufnimmt, hätte ich es doch schade gefunden, nur die anderen fünf im Konzert zu hören und das „Rush Hour“-Konzert war die perfekte Lösung (Fr/Sa war ich dann ausnahmsweise tatsächlich zuhause).

Die Aufführung von Tschaikowskys vierter Symphonie hatte es in sich. Im Eingangsbereich standen Hinweisschilder, die wegen Tonaufnahmen um Ruhe baten – das Konzert wurde wohl auch schon für die geplante CD-Box mitgeschnitten, und mich dünkte, dass das Orchester quasi direkt aus der Probe ins Konzert kam, auch nicht in Abendgarderobe sondern mit Tonhalle-T-Shirt und Jackett, ganz in schwarz. Das lockere Auftreten lenkte aber nicht vom konzentrierten Musizieren ab. Höchst fokussiert ging es zur Sache und heraus kam eine unglaublich intensive Aufführung, die wirklich nur so knallte. Das Publikum – darunter übrigens viele junge Leute, auch ganze Schulklassen – war begeistert und es gab dann wie bisher glaub ich immer, wenn Järvi hier am Pult stand, eine Zugabe. Bin mir fast sicher, dass es der Walzer aus „Eugen Onegin“ war (jemand, der heute morgen beim Konzert war – s.u. – erwähnte, dass das gestern oder Freitag die Zugabe gewesen sei, vermutlich war es ja stets dieselbe).

Völlig erschlagen torkelte ich dann im trägen Pulk gen Ausgang … ins Foyer, ein Bier an der Bar geholt und gewartet, bis die Musiker sich für die angekündigte Jam-Session installiert hatten. Dabei waren von der Tonhalle der Geiger Josef Gazsi, der Cellist Mattia Zappa, der Bassist Kamil Losiewicz (am E-Bass), der Schlagzeuger Klaus Schwärzler und noch ein Percussionist, der nicht angekündigt war (wer von den beiden am Drum-Kit und wer an Percussion – Cajón, Congas etc. – zu hören war, ist mir nicht klar), am Keyboard war Tobias Forster dabei, der sich wohl in allerlei Crossover-Gefilden hervortut. Zur Auflockerung nach dem Knall im Konzertsaal war das ganz gut, es gab Stücke zwischen Jazz und Funk, „Mercy, Mercy, Mercy“, „Watermelon Man“, eine Bossa Nova, „It Don’t Mean a Thing“ und weiteres, was zwar vertraut klang aber nicht erkannt wurde … Zappa entpuppte sich als ziemlich guter Solist, Schwärzler hatte den Beat drauf, so schief wie beim ZKO klang da jedenfalls gar nichts, aber umwerfen tat mich das am Ende auch nicht … doch wie gesagt, ich wollte ja noch ins Kino und musste eine Stunde überbrücken, bevor ich mich auf den Weg machen konnte, und dafür war es dann doch perfekt.

Zürich, Millers – So 27.10.2019 – Literatur & Musik

Mitglieder des Tonhalle-Orchesters Zürich:
Philippe Litzler
Trompete
Simon Styles Tuba
Gilad Karni Viola
Paul Handschke Violoncello
+
Benjamin Engeli Klavier
Hannelore Hoger Lesung

Sofia Gubaidulina Lamento, für Tuba und Klavier
Sofia Gubaidulina Lied ohne Worte, für Trompete und Klavier
Dobrinka Tabakova Suite in Jazz Style, für Viola und Klavier
Galina Ustwolskaja Grosses Duo, für Violoncello und Klavier

Sibylle Berg (Hrsg.) aus „Und ich dachte, es sei Liebe.“ Abschiedsbriefe von Frauen

Heute morgen ging es ins Millers, das ich von Zuhause zu Fuss in zehn Minuten erreiche. Die Aufführung um 11:15 war ausverkauft und wurde um 13:45 wiederholt – es laufen wohl derzeit einige Literaturveranstaltungen in der Stadt, aber das kriege ich in der Regel nicht auch noch mit. Mich zog auch die Musik an, nicht die Lesung, obwohl es sich durchaus als Vergnügen entpuppte, Bella Block in Echt zu sehen und zu lauschen – wenn sie etwa die Stimme von Marlene Dietrich imitierte oder auch mal mit französischem Akzent las. Die Briefe – u.a. von Simone de Beauvoir (an Nelson Algren), Agnes von Kurowsky (an den jungen Ernie Hemingway), Marlene (an Erich Maria Remarque), Paula Modersohn-Becker (an Otto Modersohn) und Alma Mahler-Werfel (an Klimt – sicherlich der scharfzüngigste) – waren teils ganz unterhaltsam, teils aber auch reichlich banal und in der Mischung aus Intimität, die uns ja eigentlich gar nichts angeht, innerhalb derer die Banalität aber als Mittel der Rede – Verliebtsein hat ja Ähnlichkeiten mit einer Geisteskrankheit – durchaus angemessen/angebracht/gestattet sein mag, auch manchmal ziemlich befremdend. Das Publikum war zu 90% weiblich (ich nehme an, dass es bei Literaturanlässen überwiegend mehrheitlich weiblich ist, aber so extrem wohl auch wieder nicht – und eigentlich: schade) und klebte an Hogers Lippen.

Die Musiker erhielten erstmal gar keinen Applaus sondern es ging nahtlos weiter. Engeli blieb am Flügel sitzen, die anderen kamen und gingen. Den Auftakt machte Gubaidulinas Lamento für Tuba und Klavier, ein recht hübsches aber durchaus abgründiges Stück. Das folgende Lied ohne Worte für Trompete und Klavier spielte mit einer idyllisch-schönen Melodie, die vom Klavier behutsam gebettet wird, doch das Klavier durchbrach die Idylle mehrmals mit dissonanten Akkorden – nach dem ersten Mal ging es so lange bis zur nächsten Wiederholung, dass man sich schon fast fragte, ob der Pianist nicht einfach doch daneben gegriffen hatte … An dritter Stelle – die längeren Stücke (alle ausser dem Lied) wurden jeweils durch Lesungen unterbrochen – folgte Tabakova mit der Suite in Jazz Style für Bratsche und Klavier. Das Ding hat Schwung und funktionierte recht gut, es ist ja nur „in jazz style“ und also gar kein Versuch, Jazz zu spielen. Ein zweites Tabakova-Stück, das auf dem Programmzettel stand, wurde leider nicht gespielt, „Pirin“, eine Suite für Viola Solo. Den Abschluss machte dann Ustwolskaja mit ihrem „Grossen Duo“ für Cello und Klavier. Dass Handschke beim Tonhalle-Solocellisten Thomas Grossenbacher gelernt hat, war zu spüren (keine negative Kritik, im Gegenteil!). Das Ding ist sperrig, fast schon renitent in seinem Insistieren auf kleinen Motiven und Tonfolgen, es ist dissonant, stark rhythmisiert – und leider kam darob die Akustik etwas aus dem Lot, denn Hogers Mikrofon griff einiges an Geräuschen auf und spielte diese über die Lautsprecher als Störgeräusche wieder in den Saal ein – irritierend, aber irgendwie konnte ich das dann doch halbwegs ausblenden. Beim nächsten Mal wäre es aber schön, wenn die Regie das Mikro jeweils ausschalten könnte … aber gut, es brauchte gerade dieses härtere, stärkere Stück zum Schluss unbedingt noch, denn sonst wäre das Ganze doch etwas zu gefällig herausgekommen.

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