Antwort auf: 2019: Jazzgigs, -konzerte & -festivals

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Co Streiff-Russ Johnson Quartet

Zürich, Moods – 13.10.2019

Russ Johnson (t), Co Streiff (as, ss), Christian Weber (b), Gerry Hemingway (d)

Gestern gab es mein zweites Konzert im Moods in der neuen Saison. Co Streiff erhielt 2019 eine „carte blanche“, was ihr erlaubte, mit verschiedenen Besetzungen im Moods aufzutreten, u.a. auch im Duo mit Irène Schweizer, einer langjährigen Partnerin von Streiff (Co ist übrigens kurz für Cornelia). Das Quartett mit Russ Johnson nahm vor ein paar Jahren eine Intakt-CD auf, damals mit Julian Sartorius am Schlagzeug. Live hörte ich das Quartett noch nie, aber 2011 beim Unerhört spielten, Streiff, Johnsons und Hemingway ein wunderbares Set, in dem sie Eric Dolphy feierten – bis auf ein Stück von Ken McIntyre stammte damals alles Material von Dolphy, und Hemingway machte ganz allein – old School, ganz wie Pierre Favre (s.o.) und doch wieder total anders – eine vollständige Rhythmusgruppe. Das musste er gestern nun nicht, denn Christian Weber (der damals am Unerhört im nachfolgenden Set mit dem Oliver Lake/Weber/Dieter Ulrich sowie Gast Nils Wogram spielte) war am Kontrabass dabei – auch das Bindeglied zum letzten Konzert, das ich im Moods hörte, und nach wie vor einer meiner allerliebsten Bassisten.

Das Quartett spielte gestern das sechste und letzte Konzert einer kleinen Tour, die Stimmung war super, das Material sass, es ging vom ersten Stück an zur Sache. Kreisende Melodien, sanglich und oft mit einem etwas wehmütigen, manchmal klagenden Unterton, dazu ein pochender Groove vom Bass, Schlagzeugrhythmen, die in alle Richtungen gehen. Der Geist ist offen, das Tempo kann be- und entschleunigt werden, mal in echt, mal nur scheinbar und wie Weber/Hemingway das – einmal synchron, das andere mal versetzt – anstellen und dabei den Groove nicht verlieren, war allein schon den Konzertbesuch wert.

Ich kam relativ spät, sass aber dennoch in der ersten Reihe, allerdings am Rand, auf der Seite von Gerry Hemingway. Dieser hatte sein Kit jedoch so aufgestellt, dass ich quasi an seiner Seite sass und sehr gut beobachten konnte, was er so alles anstellte – ohne dabei die volle Dröhnung abzukriegen (Weber hielt sich beim grossartigen letzten Schlagzeugsolo des Abends zeitweise das linke Ohr zu, für ihn war es wohl lauter). Was mir schon auch wieder sehr klar wurde: ich geniesse Jazz in solchem Rahmen schon ungemein mehr als in einem grossen wie bei Festivals (oder wenn Jazzmusiker in Klassikhallen auftreten – an manche, in meinem Fall z.B. Sonny Rollins, ist aber anders gar nicht mehr heranzukommen möglich geworden). Gestern passte jedenfalls die Stimmung, das Publikum war für Sonntagabend recht zahlreich erschienen (Streiff und Weber sind aus Zürich, das hilft natürlich). Was mir – gerade im Vergleich mit dem Konzert davor – sehr klar wurde ist, wie gut das Material, etwa hälftig von Streiff und Johnson komponiert – ist. Den Stücken von Streiff wohnt eine Wärme inne, sie hat überhaupt keine Scheu davor, Melodien auszukosten, elegische Linien zu spielen, die aber immer wieder aufgebrochen werden. Eine gewisse Nervosität dringt auch immer wieder durch – das klassische Ornette Coleman Quartet guckt rasch vorbei, Sun Ra winkt von hinter dem Vorhang (das war im Sextett – das zwei feine Intakt-Alben gemacht hat, als das zweite erschien hörte ich es auch live, übrigens in genau so einem vermaledeiten Doppelkonzert, in dem aber für mich damals erste Set für mich überhaupt nicht funktionierte; hier mein damals sehr salopp für das Organissimo-Forum formulierter Bericht).

Das Quartett ist freigeistig im besten Sinn. Die Stücke bieten nicht nur Halt sondern auch Inspiration, es wird mit Stimmungen gearbeitet, aber auch mit Grooves, mit Verschleppungen, Verdichtungen. Oft scheint sich eine Art Karussell in Bewegung zu setzen, doch bald merkt man, dass es oval ist und sich obendrein auf einer elliptischen Bahn zu bewegen scheint. Es werden keine Haken geschlagen, bloss weil das halt Mode ist, instinktsicher und in oft ans Schlafwandlerische grenzender Einigkeit bewegen die vier sich voran. Plötzlich trommelt Hemingway einen satten Funk-Beat, oder Weber verhakt sich an einem tiefen Ton, den er – thump thump thump thump thump – über mehrere Takte wiederholt, während Saxophon und Trompete zu einer leicht dissonantem und gerade daher so bewegender Einheit finden. Ein kompakter Gruppensound, der aber auch viel Raum für Soli bot. Streiff glänzte am Alt mit einem beweglichen, recht weichen und doch sehr klaren Ton, das Sopran klang etwas schärfer, aber auch da war der Ton ein voller und niemals verhärterer. Johnsons Trompete beeindruckt mich jedes Mal sehr (live kenne ich ihn bloss von den bisher drei Konzerten mit Streiff, die sich über 13 Jahre verteilen – ein paar Gelegenheiten habe ich leider zwischendurch verpasst). Er verfügt wohl über ordentlich Technik, doch setzt er sie so ein, dass er nicht zum Kraftprotz oder Tempobolzer wird – ganz im Gegenteil, auch die schnellsten Passagen wirken stimmig, oftmals geradezu lyrisch. Und darin scheint er Streiff ein Geistesverwandter zu sein, auch bei ihr gab es rasende Läufe, auch bei ihr kam aber nie ein Gedanke wie: „boah ist die gut!“ auf – und gerade darum sind die beiden so verdammt gut. Sie brauchen dafür auch kein Understatement oder so, sie stehen halt einfach hin und spielen ihr Zeug, und das Zeug und wie sie es spielen ist richtig gut.

Die Freiräume, die in dieser Besetzung auch zur Gefahr werden können, wurden jedenfalls gestern von allen vieren einzeln, aber auch von der Gruppe als ganzer souverän genutzt, der Sound klang stets organisch, durchdacht, und am wichtigsten: sehr eigen. Immer wieder dachte ich an grosse Weiten, an Wüsten, wurde da und dort ein wenig an die Grooves des Trios Romano-Sclavis-Texier erinnert, was wohl kein völliger Zufall ist – ohne dass ich in irgendeiner Richtung Einflüsse behaupten würde, viel eher scheint mir die Vorgehensweise, die Absicht, quasi die Bilder, die zu Musik verarbeitet werden, in mancher Hinsicht zu ähneln.

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