Antwort auf: 2019: Jazzgigs, -konzerte & -festivals

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«All Those Yesterdays»
Omri Ziegeles Tomorrow Trio mit Han Bennink und Christian Weber

Zürich, Moods – 30.09.2019

Omri Ziegele (as, nai, spoken words), Christian Weber (b), Han Bennink (d), Gast: Christoph Irniger (ts)

Montagabend gab es hier endlich wieder mal ein halbwegs interessantes Jazzkonzert … viel besser als halbwegs wurde es leider am Ende nicht, aber wen Han Bennink in der Stadt ist, geht man gefälligst hin! Ich hörte ihn, soweit mich erinnern kann, erst zum dritten Mal. 2004 trat das ICP Orchestra am Unerhört Festival auf, 2016 war Bennink dann beim gerade erwähnten Brötzmann-Festival in Warschau in unterschiedlichen Formationen über mehrere Abende zu hören, und jetzt eben mit diesem neuen Trio unter der Leitung des Zürcher Saxophonisten Omri Ziegele. Mit dessen Spiel konnte ich früher (vor 15-20 Jahren) sehr wenig anfangen, aber ich versöhnte mich allmählich mit ihm – z.B. bei einem Hauskonzert im Trio mit Ray Anderson und Gerry Hemingway, 2015 gab es beim Unerhört ein weiteres Trio mit Hemingway und dem Pianisten Yves Theiler, das mir ebenfalls sehr gut gefiel, und auch beim gerade schon erwähnten Intakt-Festival in London war Ziegele – im Trio mit Schweizer und Moholo vor allem – sehr überzeugend.

Vorgestern im Moods war allerdings die Stimmung etwas gedämpft, das erste Set hob nie so richtig ab. Der Gast des Abends, Christoph Irniger, ist ein Musiker, mit dem ich bisher nicht klar komme (und eigentlich auch nicht mehr davon ausgehe, dass sich das nochmal ändern wird). Er war immer mit dabei, die zwei Stimmen der Saxophone verschmolzen aber manchmal in auskomponiertem Material, aber auch in Kollektivimprovisationen schon sehr schön. Die Hauptattraktion war allerdings die Rhythmusgruppe: Han Benninks Swing ist mitreissend wie eh und je, er scheint untötbar, kann gar nicht anders, als mitzureissen, vom Moment an, in dem er auf dem Schlagzeugschemel platz nimmt. Das erste Set verlief mehr oder weniger stumm, ohne Ansagen. Das Material schien mir teils etwas schwierig: lange Stücke mit mehreren Teilen, deren Abfolge – mit Tempo- und Stimmungswecheln – mir manchmal etwas unmotiviert, abrupt vorkamen. Doch Weber/Bennink waren immer da, Weber mit einem Mirko vor dem Bass und sonst gar nichts, sein Ton und sein Beat sind ein perfekter Gegenpart zu Bennink – ein grosses Vergnügen, den beiden zu lauschen, und immer wieder merkte ich, dass ich längst nicht mehr verfolgte, was die Saxophone davor so spielten, sondern mich ganz in der Rhythmusgruppe verloren hatte.

Das zweite Set begann dann schon viel besser, mit einer Version von Ornette Colemans „Peace“. Ziegele griff danach zum Mikro und erklärte, dass die Band gerade den ganzen Tag im Zug gesessen habe, von Brüssel nach Zürich gereist sei. Das wohl der Grund für die Müdigkeit … ein paar Frotzeleien folgten: Bennink – den man auch beim Spielen immer laut Grunzen und Ächzen hörte – meinte, Ziegele trage ein hübsches Pijama, Ziegele meinte dann eben, man hätte gerade Ornettes „Peace“ gespielt, und das sei heute ja auch nötig, und der Herr da schräg hinter ihm könne etwas „peace“ besonders gut gebrauchen. Das Set ging dann mit ähnlich konstruiertem Material aber schon etwas lebendiger weiter – Ziegele blies ein paar feine Solos, zweimal rezitierte er auch noch seine Texte (muss nicht sein, stört mich aber längst nicht mehr) – und zu Ende, das nicht sehr zahlreich (Montagabend halt, aber ich erwähnte ja schon, dass Mo/Di leider auch im ersten Jazzklub der Stadt die Abende mit der besten Chance, Jazz zu hören sind) erschienene Publikum forderte dann doch noch eine Zugabe ein, diese kam einmal mehr von Ornette Coleman, ein Blues, und wie schon beim Set-Opener spielte die Gruppe befreiter auf, selbst Irnigers so flacher Ton wurde endlich mal etwas voller, die „Wildheit“ und „Intensität“ bestand nicht nur aus Verrenkungen sondern kam auch tatsächlich aus dem Saxophon heraus.

Was mir dabei nicht klar war: das ganze wurde als Plattentaufe verkauft, aber eine neue CD (von Intakt natürlich) war nicht zu sehen … wenn sie im Trio aufgenommen wurde, ist sie vielleicht interessant, wer weiss … aber, das ist mir ein Rätsel beim Jazzbetrieb der letzten Jahre: warum die CD vor der Tour aufgenommen werden muss, wenn die Band noch nicht eingespielt, das Material noch nicht genügend ausgelotet ist, noch nicht sitzt … aber ohne CD keine Gigs. Verkehrte, idiotische Kuratorenwelt überall.

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