Antwort auf: Konzertimpressionen und -rezensionen

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Rückblick Saison 2018/19 – Teil 5: Summer at the Opera

Der Abschluss der Saison ging wie erwähnt in der Oper über die Bühne – für drei Aufführungen hatte ich noch Karten, alle schon mehr als ein Jahr davor gekauft, und eigentlich alle wegen jeweils einer Sängerin: Regula Mühlemann als Susanna, Anja Harteros als Donna Leonora und Everlyn Herlitzius als Elektra. Dass beim Figaro Ottavio Dantone, bei der Elektra Simone Young am Pult standen, schmälerte die Vorfreude natürlich auch nicht – dass bei ersterem aber nicht La Scitilla sondern die Philharmonia zum Einsatz kam vielleicht eine Spur, doch das war unbegründet, denn die MusikerInnen sind inzwischen alle getrimmt auf gutes, durchsichtiges Spiel bei alter, älterer Musik (wenn Barock gespielt wird, kommt wohl immer La Scintilla zum Einsatz, bei Mozart gibt es beides), und wenn ein Mann wie Dantone am Pult steht, klappt das auch sehr gut.

Viel kann ich zu diesen Inszenierungen nicht mehr schreiben, alle lohnten aus der einen oder anderen Perspektive sehr, auch wenn Mozart und auch Verdi keineswegs rundum gelungen waren, wenn man vom Ziel, Musiktheater zu machen, ausgeht.

Zürich, Opernhaus – 03.07.2019

Le nozze di Figaro
Opera buffa in vier Akten von Wolfgang Amadeus Mozart (1756-1791)
Libretto von Lorenzo da Ponte, nach der Komödie «La folle Journée ou Le Mariage de Figaro», von Pierre Augustin Caron de Beaumarchais

Musikalische Leitung Ottavio Dantone
Inszenierung Sven-Eric Bechtolf
Bühnenbild Rolf Glittenberg
Kostüme Marianne Glittenberg
Lichtgestaltung Jürgen Hoffmann
Choreinstudierung Janko Kastelic

Il Conte di Almaviva John Chest
La Contessa Golda Schultz
Susanna Regula Mühlemann
Figaro Alexander Miminoshvili
Cherubino Samantha Hankey
Marcellina Liliana Nikiteanu
Bartolo Michael Hauenstein
Basilio Martin Zysset
Barbarina Yuliia Zasimova
Don Curzio Leonardo Sánchez
Antonio Valeriy Murga

Philharmonia Zürich
Zusatzchor des Opernhauses Zürich

Continuo – Hammerklavier Caspar Dechmann
Continuo – Cello Claudius Herrmann

Sven-Eric Bechtolf ist für mich nach wie vor irgendwo zwischen rotem Tuch und gepflegter Langweile angesiedelt, warum der Mann überall angeheuert wird, begreife ich beim besten Willen nicht … aber eben: Regula Mühlemann als Susanna, das konnte ich einfach nicht verpassen. Ich verfolge ihren Weg inzwischen schon seit ein paar Jahren, habe sie als hervorragende Juliette (Gounod) in Luzern gesehen und gehört, und auch schon zweimal im Konzert (Links finden sich bei den Zeilen über „Roméo et Juliette“), und dann eben auch noch als Echo bei Strauss in Mailand. In der kommenden Saison klappt es wohl nicht, aber die gute ist ja noch jung und hat hoffentlich noch viele Jahre als Sängerin vor sich. Sie sang eine schnörkellose, liebenswürdige Susanna, wenig Vibrato, grosse Klarheit, viel Wärme – die Stärke ihrer Stimme halt. Mit Golda Schultz war eine weitere aus Südafrika stammende Sängerin in der Rolle der Gräfin zu hören – sie sang phänomenal, das ganze Spektrum von Pianissimo bis zu den intensivsten Passagen mühelos meisternd, und dabei – wie Mühlemann – trotz der dämlichen Inszenierung berührend. John Chest als rauher Graf war auch sehr okay, auch wenn die Figur, aber es war der befreit agierende Alexander Miminoshvili in der Titelrolle, der die Herzen des Publikums gewann. Er schien in seiner Rolle förmlich aufzugehen (und das ganze Slapstick-Brimborium, das aufgefahren wurde, hinderte ihn nicht im geringsten). Schlechte Inszenierung, ausgezeichnet gesungen und wunderbar gespielt – aber mit geschlossenen Augen geniessen macht im Theater halt auch wenig Sinn.

Hier eine ausführliche Besprechung dieser Wiederaufnahme (die Premiere lief 2007), der ich mich anschliessen kann:
https://bachtrack.com/de_DE/kritik-nozze-di-figaro-bechtolf-dantone-chest-miminoshvili-schulz-oper-zuerich-juli-2019

Zwei weitere Meinungen (Review und Kommentar drunter) hier:
https://seenandheard-international.com/2019/06/less-than-sure-footed-zurich-revives-its-2016-le-nozze-di-figaro/

Zürich, Opernhaus – 07.07.2019

La forza del destino
Melodramma in vier Akten von Giuseppe Verdi (1813-1901)
Libretto von Francesco Maria Piave nach einem Drama von Angel de Saavedra

Musikalische Leitung Fabio Luisi
Inszenierung Andreas Homoki
Bühnenbild Hartmut Meyer
Kostüme Mechthild Seipel
Lichtgestaltung Franck Evin
Choreographische Mitarbeit Kinsun Chan
Choreinstudierung Janko Kastelic
Dramaturgie Kathrin Brunner

Donna Leonora Anja Harteros
Don Carlo di Vargas George Petean
Don Alvaro Yonghoon Lee
Preziosilla Elena Maximova
Il Marchese di Calatrava, Padre Guardiano Wenwei Zhang
Fra Melitone Renato Girolami
Mastro Trabuco Jamez McCorkle

Philharmonia Zürich
Chor der Oper Zürich
Zusatzchor des Opernhauses Zürich
SoprAlti der Oper Zürich

Verdi gehört wohl zur Oper Zürich so sehr wie zu jedem Haus in Italien – und so war es das Leitungsteam Andreas Homoki (Intendant) und Fabio Luisi (musikalischer Direktor), das sich Ende der Saison 2017/18 um die Neuinszenierung von „La forza del destino“ kümmerte. Bei der Premiere wirkte eine andere Besetzung mit, die wohl in den Hauptrollen eher schwächer besetzt war (siehe NZZ-Kritik unten), dafür waren J’Nai Bridges (Preziosilla) und Christof Fischesser (Marchese di Calatrava/Padre Guardiano) nicht dabei. Harteros aber war einmal mehr phänomenal und berührend – auch sie beherrscht natürlich die Kunst des Leisen. Eine grossartige Sängerin, die ich bei jeder Gelegenheit hören gehe (die nächste ist wohl im Mai 2020, wenn sie in der Tonhalle unter Janowski die „Vier letzten Lieder“ singen wird, mit Orchesterliedern von Strauss hörte ich sie vor ein paar Jahren schon einmal in der alten Tonhalle). Die Inszenierung war am Ende wohl recht schlüssig, das schwierige Stück kam jedenfalls halbweg aus einem Guss daher, die Buffonnade der Nebenfiguren bot einen Kontrapunkt, der die Haupthandlung hervortreten liess … doch, das passte bei aller Bonbon-Buntheit schon irgendwie ganz gut. Und Chor und Orchester waren super – Verdi ist wie gesagt home turf.

Hier die Rezension der NZZ zur Premiere in der Saison 2017/18:
https://www.nzz.ch/feuilleton/la-forza-del-destino-von-giuseppe-verdi-im-opernhaus-zuerich-ld.1389441

Ach ja, ein PS: die Oper lief am Sonntagnachmittag, 14 Uhr – mitten im Zürifäscht (ja, heisst offiziell so), einer der grössten Volksverdummungsaktionen des Landes, immerhin nur dreijährlich durchgeführt, das volle Programm mit komplett abgesperrter Innenstadt, Fress- und Saufbuden überall, Achterbahnen usw., aber auch – mitten während der Oper – Flugshows mit diversen Flugzeugen und Helikoptern … erstaunlicherweise hörte man nur ein paar wenige Male und auch recht leise die Flugzeuge, wenn sie im Sturzflug das Tempo drosselten, mehr oder weniger über dem Dach der Oper (auf dem angrenzenden Platz war der wohl schlimmste Teil des Spektakels inkl. so ein „freier Fall“-Ding, kreischende Leute galore … panem et circenses, ça me fait vomir.

Zürich, Opernhaus – 11.07.2019

Elektra
Tragödie in einem Aufzug von Richard Strauss (1864-1949)
Libretto von Hugo von Hofmannsthal nach seiner gleichnamigen Tragödie, nach der Tragödie von Sophokles

Musikalische Leitung Simone Young
Inszenierung Martin Kušej
Bühnenbild Rolf Glittenberg
Kostüme Heidi Hackl
Lichtgestaltung Jürgen Hoffmann
Choreinstudierung Janko Kastelic
Dramaturgie Regula Rapp, Ronny Dietrich

Klytämnestra Waltraud Meier
Elektra Evelyn Herlitzius
Chrysothemis Tamara Wilson
Aegisth Michael Laurenz
Orest Christof Fischesser
Der Pfleger des Orest Alexander Kiechle
Die Aufseherin Marion Ammann
1. Magd Judith Schmid
2. Magd Deniz Uzun
3. Magd Irène Friedli
4. Magd Hamida Kristoffersen
5. Magd Natalia Tanasii
Die Vertraute Justyna Bluj
Die Schleppträgerin Yuliia Zasimova
Ein junger Diener Iain Milne
Ein alter Diener Richard Walshe

Philharmonia Zürich
Chor der Oper Zürich
Statistenverein am Opernhaus Zürich

In den letzten Wochen der alten Saison lief auch noch eine Neuproduktion von „Nabucco“, die mich aber wenig wunder nahm (auch wieder Homoki/Luisi – die NZZ berichtete). In den letzten Tagen lief aber auch eine Wiederaufnahme der Produktion von „Elektra“ aus der Saison 2003/04. Da ich ab den späten Neunzigern während 15 Jahren nicht mehr in die Oper ging, ermöglicht das, erfreuliche Dinge nachholen zu können, und wenn für eine Wiederaufnahme eine so feine Besetzung angeheuert wird, ist das erst recht eine Freude. Evelyn Herlitzius sang die „Elektra“ 2013 in Aix in einer phänomenalen Produktion von (Regie: Patrice Chéreau) – dass ich die Gelegenheit nicht verpassen konnte, sie in Echt zu hören, war klar. Tamara Wilson mag an alte Zeiten erinnern (die Diva muss dick sein) – aber ihr Gesang war unglaublich berührend, ein perfekter Gegenpol zur brennenden, zweifelnden, zerstörerischen Elektra. Mit Fischesser war zudem ein perfekter Orest am Start, und mit Waltraud Meier auch eine hervorragende Klytämnestra. Simone Young hatte das Orchester im Griff, die Dynamik wurde ausgeschöpft, die Musik von Strauss ausgelotet … ein überragender Abschluss!

Hier ein längerer Bericht:
https://seenandheard-international.com/2019/07/electrifying-elektra-at-zurich-opera/

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