Antwort auf: Konzertimpressionen und -rezensionen

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Rückblick Saison 2018/19 – Teil 3: Urlaub in Italien

Dann ging es am 31. Mai in den Urlaub, nicht ganz zwei Wochen, für einmal wieder mit ziemlich viel Musik – Karten hatte ich für ein Jazzkonzert in Parma (vor der Casa della Musica sitzt einer der berühmtesten Söhne der Stadt, Arturo Toscanini, auf der Bank), ein klassisches in Bologna und eine Oper in Mailand, doch es kamen noch ein paar weitere kleinere Sachen dazu.

01.06.2019 – Museo del Violino, Cremona – den Auftakt machte bereits am nächsten Tag ein kleines Solorezital im Violinmuseum in Cremona, meinem ersten Halt. Dort werden diverse (modernisierte) Violinen von Stradivari, Guarnieri und Amati aufbewahrt und im kleinen Saal, der Teil des Museums ist, werden sie auch regelmässig vorgeführt. Dabei liegt die Geige schon dort, von einem bewaffneten Wachmann beaufsichtigt, der auch während dem Konzert nur wenige Meter entfernt stehen bleibt.

Am Sonntag spielte – um 12 Uhr mittags – die Geigerin Aurelia Macovei auf der „Clisbee“ (1669) von Stradivari ein buntes Programm. Los ging es mit Bach (Sarabande und Giga aus BWV 1004), dann Corelli (La follia) und Locatelli (Capriccio), schliesslich Ysaÿe (Malinconia, der 2. Satz aus der Sonate Nr. 2) und Kreisler (Rezitativ und Scherzo), Albéniz (Asturias – die eh schon nervig unruhigen Spanier tuschelten ganz aufgeregt), Coregliano (das Thema aus „The Red Violin“) und als Zugabe Piazzolla (Libertango). Der Anfang war etwas holprig, die Intonation schwierig, aber spätestens bei Locatelli hatte Macovei das Instrument im Griff und von da an entwickelte das dreiviertelstündige Konzert sich bestens.

Der Besuch des Museums lohnt auch sonst, es gibt nicht nur weitere Violinen sondern allerlei Saiteninstrumente zu sehen, von den ersten Vorgängern bis hin zu den im Rahmen regelmässiger Instrumentenbauwettbewerbe gebauten Geigen, Bratschen, Celli und Bässe. Und Cremona lohnt auf jeden Fall auch sonst einen kürzeren Besuch.

02.06.2019 – Museo Civico Ala Ponzone, Cremona – Am nächsten Tag, einem Sonntag, gab es 11 Uhr morgens ein Konzert im Museum, direkt gegenüber von wo ich wohnte. Darauf zu achten (auch auf Orgelkonzerte in Kirchen, falls das von Interesse ist) lohnt in Italien immer, war schon das vierte oder fünfte Mal, dass ich so ein Konzert hören konnte (in Mailand, Ferrara, Vicenza und jetzt auch in Cremona). Manchmal, wie in Cremona, ist der Eintritt frei (und das Museum mit seiner Gemälde- und beeindruckenden Instrumentensammlung konnte im Anschluss auch gleich kostenlos besucht werden), manchmal kostet es 10 oder 15€. Es sitzen allerlei Leute aus dem Ort da, von den alten, die gerade mit Knistertüten vom Einkauf kommen bis zur Familie, die ihre jungen Kinder aufgebröselt hat (es gibt sie noch, die gestrickten weissen Socken für kleine Mädchen) oder ihre Teenager-Kids mitschleppt, die auf dem Handy daddeln.

Leonardo Pellegrini an der Violine und Yevheniya Lysohor spielten um 11 Uhr ein schönes Programm. Los ging es mit der vierten Violinsonate von Beethoven (Op. 23), es folgten die dritte von Brahms (Op. 108), Saint-Saëns‘ Introduction et Rondo capriccioso Op. 28, Paganinis Adaption von Schumanns Capriccio Nr. 5 – Agitato, und als Zugabe die „Thaïs“-Meditation von Massenet. Pellegrini kam wohl da und dort an seine Grenzen, doch das Spiel der beiden war so lebendig und gerade die Geige so voller Feuer, dass dies dem Vergnügen wenig Abbruch tat.

04.06.2019 – Auditorium del Carmine, Conservatorio A. Boito, Parma – Die nächste Station war Parma, eine Stadt, die auf jeden Fall einen Besuch lohnt, eigentlich allein schon aus kulinarischen Gründen. Der tagesfüllende Ausflug nach Sabbioneta, eine Planstadt aus der Zeit der Gonzaga, die auf halber Strecke zwischen Parma und Mantua liegt, und die ich bei meinen bisher zwei Aufenthalten in Mantua (Top 5 meiner Urlaubsziele) nicht besucht hatte, war ein weiteres Highlight. An dem Abend des Tages, ich kam wegen eines verspäteten Zuges viel später als geplant zurück, ging es an ein kleines Konzert, das den Titel „Donne in Musica“ trug. Albert Stefani (Violine), Enrico Contini (Violoncello), Emanuela Degli Esposti (Harfe) und Pierluigi Puglisi (Klavier) bestritten das recht kurze Konzert, das um 20:30 in einem in eine ehemalige Kirche eingebauten Saal des Arrigo Boito gewidmeten Konservatoriums stattfand. Von Henriette Renié wurde das Andante aus dem Trio für Harfe, Violine und Violoncello gespielt, danach das Klaviertrio Op. 17 von Clara Wieck. Richtig gut war das nicht, gerade die Geige überzeugte mich nicht so wirklich, im Vergleich mit den beiden an den Tagen davor gehörten, aber egal, wo kriegt man schon Musik von Clara Schumann im Konzert geboten?

Parma ist übrigens auch Geburtsstadt von Arturo Toscanini, in dessen Geburtshaus ein kleines Museum eingerichtet ist, in dem zahlreiche Fotos, Briefe, Hefte mit Zeitungsausrissen usw. ausgestellt werden (unten die Neujahrsgrüsse von Puccini an die Familie Toscanini für das Jahr 1917). Die „Casa della Musica“, in der ich am 5.6. das Konzert von Nils-Petter Molvaer besuchte, umfasst neben dem Toscanini-Haus auch das Opernmuseum und die Casa del Suono direkt gegenüber. Vor dem Haupthaus, in dem das Opernmuseum untergebracht ist, sitzt Toscanini in Bronze auf der Bank (siehe Bild ganz oben).

Die Casa della Musica ist dreiteilig, das Geburtshaus von Toscanini liegt auf der anderen Seite des Flusses (der Parma heisst und einige Kilometer nördlich in den Po fliesst), direkt gegenüber dem Haupthaus (beim verlinkten Jazzbericht gibt es ein Bild aus dem Innenhof) liegt in einer weiteren ehemaligen Kirche die „Casa del suono“, wo es diverse tolle Geräte zu sehen gibt, die bis zu den Anfängen der Tonaufzeichnung und -wiedergabe zurück reichen, hier ein portables Grammophon von Thorens, das Modell „Excelda“ aus den Dreissigern:

Von Parma ging es weiter ins sehr entspannte Modena, das überraschenderweise mit einem hochkarätigeren Museumskomplex aufwarten kann. Die Museen sind im Palazzo dei Musei vereint, die Galleria Estense ist das Highlight, da werden diverse Schätze des Este-Clans gezeigt, auch Schmuck-Instrumente (man konnte ja noch keinen Ferrari kaufen, um zu protzen – auch das ein Produkt aus Modena, das mich allerdings deutlich weniger interessiert), so auch ein Cembalo aus Carrara-Marmor (es sah so aus, als sei es ev. mal funktionstüchtig gewesen, aber es klang wohl … wie Stein):

08.06.2019 – Teatro Auditorium Manzoni, Bologna – In Modena gab es keine Live-Musik, aber das war da auch völlig egal. Fürs Wochenende ging es weiter nach Bologna und dort am Abend ins Abschlusskonzert der Saison des Orchestra Filarmonica di Bologna (OFBO), das unter Leitung seines Dirigenten Hirofumi Yoshida und mit dem Gast Louis Lortié am Klavier ein feines Programm bot. Los ging es mit der Ouvertüre zu Mozart „Così fan tutte“ KV 588, dann folgte Mozarts Klavierkonzert Nr. 20 d-Moll KV 466. In der zweiten Hälfte folgte Schuberts grosse Sinfonie C-Dur (Nr. 8 nach heutiger Zählung). Lortie spielte einen feinen Mozart, vielleicht da und dort eine Spur zu muskulös, aber doch recht schnörkellos und klar. Das Orchester war mir aber zu gross und zu unbeweglich, auch wenn Yoshida sich alle Mühe gab. Mit Schubert gelang dann aber ein grossartiger Abschluss, eine enorm mitreissende Performance – für mich die bisher erste Gelegenheit, dieses Werk im Konzert zu hören.

In Bologna war ich vom Museo internazionale e biblioteca della musica schwer beeindruckt. Neben Instrumenten und Gemälden umfasst die Sammlung zahlreiche Autographen und frühe Drucke. Gezeigt werden u.a. welche von Mozart, Isaac, Kapsberger, Gorzanis, Willaert, Verdelot, Arcadelt, Frescobaldi, Paisiello, aber auch die Partituren (im Manuskript) zu Verdis „Macbeth“ und Bellinis „I Capuleti e i Montecchi“. Und auch ein Grammophon-Möbel, das einst Respighi gehört hat, fehlt nicht, gespendet hat es Adriano.

Enorm eindrücklich war in Bologna auch der Besuch der Ausstellung „Anthropocene“ im MAST (Manifattura di Arti, Sperimentazione e Tecnologia). In vielem schloss das dort Gezeigte – eine Art Thesen-Ausstellung, die für die Annahme eintritt, dass das Erdzeitalter des Holozäns beendet und das Anthropozän begonnen hat – an Dinge an, die schon bei der Triennale in Mailand, in der kuratierten Hauptausstellung aber teils auch in den Pavillons/Ausstellungen der teilnehmenden Länder, zur Rede kamen. Hier die Website zum Thema, von den drei, die die zur Ausstellung gemacht haben. Am Abend bot sich dann im Rahmen des Biografilm Festivals die Gelegenheit, den Film „What’s My Name: Muhammad Ali“ von Antoine Fuqua zu sehen, auch das lohnenswert. Unten Seiten aus den „Misse“ von Heinrich Isaac (Venedig, Ottaviano Petrucci, 1506) aus dem Museum in Bologna.

Die letzten zwei Tage verbrachte ich in Mailand, nutzte die Gelegenheit, mir die volle Leonardo da Vinci-Dröhnung zu geben (u.a. Sonderausstellung in einem der Obergeschosse in der Galleria Vittorio Emanuele II („Leonardo3 Museum“), die endlich fertig renovierte Sala delle im Castello sforzesco (mit Video/Ton-Show, in Echt sieht man leider praktisch nichts mehr, das Abendmal ist direkt gut erhalten im Vergleich), zudem ein erster Besuch in der Ambrosiana, die mit einer enorm eindrücklichen Sammlung aufwartet (und auch ein paar Vitrinen mit Manuskripten von Leonardo ausstellte), sowie „Leonardo – La macchina dell’immaginazione“ im Palazzo Reale, wo ich allerdings hauptsächlich wegen der Ausstellung „Ingres e la vita artistica al tempo di Napoleone“ hin bin, die auch wirklich gut war.

10.06.2019 – Teatro alla Scala, Milano – den Tag meiner Ankunft in Mailand verbrachte ich allerdings ruhig. Abends ging es in die Scala, wo Die tote Stadt von Erich Wolfgang Korngold gegeben wurde. Eine beklemmende Oper, die 1920 uraufgeführt worden ist und dieses Jahr zum ersten Mal überhaupt in Italien aufgeführt wurde. Dass das Publikum sich mit anderer als italienischer Oper etwas schwer tut konnte ich in der Scala inzwischen schon mehrfach beobachten (es war dies die fünfte Oper, die ich dort sah, und die sechste Aufführung, da ich zu Kurtágs „Fin de partie“ gleich zweimal hin bin), aber das Orchester hat unter Chaillys Leitung wohl grosse Fortschritte gemacht und kam mit der symphonischen Musik bestens zurecht. Üppige Spätestromantik, die unter der Leitung von Alan Gilbert aus dem Graben erklingt, während Graham Vick eine sehr gute, bildstarke Inszenierung lieferte. Ein Psychodrama entfaltet sich im Laufe des Stückes, das mit grosser Genauigkeit und gutem Timing ein stimmiges Ganzes ergab. Klaus Florian Vogt sang den Paul, der hier nicht als Psychopath sondern als verwirrter, vereinsamter Mensch dargestellt wurde, der vergeblich versucht, seine verstorbene Frau wieder auferstehen zu lassen. Asmik Grigorian, die in Salzburg eine grossartige Salomé sang (Salzburg mag ich mir wohl nicht in echt antun, das Drumherum scheint viel zu übel zu sein, aber im Fernsehen gucke ich gerne mal was, der „Rosenkavalier“ von vor ein paar Jahren und Sellars „La clemenza di Tito“ war natürlich auch grossartig), schien sich als Marietta, das frivole Mädchen, das als Doppelgängerin der toten Ehefrau auftritt, auch an diesen Salzburger Erfolg zu erinnern, doch war ihr Enthüllungstanz hier ein seelischer. Ich war im Vorhinein nicht so wirklich darauf gefasst, dass das ein so toller Abend werden würde – die Scala bietet jedenfalls momentan unter dem gestrauchelten Pereira gerade so interessantes Musiktheater wie nur selten, mit Kurtág, Korngold und dann im November auch noch der Strauss-Rarität „Die ägyptische Helena“ (zu der ich es aber nicht schaffe … für Herbst 2020 ist aber wieder ein Besuch geplant, dann gibt es ein Doppelprogramm mit Schönbergs „Erwartung“ und Nonos „Intolleranza 1960“ – mit Zubin Mehta, den ich überhaupt nicht kenne bisher ).

11.06.2019 – Museo del 900, Milano – Am folgenden Tag gab es den erwähnten Leonardo-Marathon und um 17 Uhr noch eins dieser Museumskonzerte. Die Pianistin Alessandra Garosi spielte im Museo del 900 ein Konzert, das mit einem Stück von Giorgio Gaslini begann, „Piano Felix“ über ein Motiv von Mendelssohn. Weiter gintg es mit „Dal suono al suono“ von Armando Genitlucci, Fabrizio De Rossi Res „Naufragio Bösendorfer“, der „Czerny Prelude“ von Henryk Gorecki, Auszügen aus „Zodiaco“ von Damiano Santini und schliesslich als Zugabe „Greenings“, die Klavier-Solo-Version eines Stückes, das Garosi ursprünglich als Duo mit der Koto-Improvisatorin Kinjin Funatsu erarbeitet hatte. Ein recht spezielles Programm, ausser Gorecki (von dem ich aber noch nie Klaviermusik gehört hatte) war mir nur der auch als Jazzer bekannte Gaslini vertraut. Das war sehr gut gespielt, allerdings war die Lage des kleinen Raumes, direkt neben dem Ausgang der Ausstellungsräume und vor dem Museumsshop, nicht gerade ideal (der Shop immerhin war zu während des Konzertes).

Hier der guten Ordnung halber noch das komplette Line-Up zu „Die tote Stadt“ von Korngold in der Scala:

Conductor Alan Gilbert
Staging Graham Vick
Sets and costumes Stuart Nunn
Lights
Giuseppe Di Iorio
Choreography Ron Howell

Paul Klaus Florian Vogt
Marietta Asmik Grigorian
Frank/Fritz Markus Werba
Brigitta Cristina Damian
Juliette Marika Spadafino*
Lucienne Daria Cherniy*
Victorin Sergei Ababkin*
Graf Albert/Gastone Sascha Emanuel Kramer

*Student of the Teatro alla Scala Academy

Teatro alla Scala Chorus and Orchestra
Treble Voices Chorus of the Teatro alla Scala Academy

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