Antwort auf: 2019: Jazzgigs, -konzerte & -festivals

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Gabriela Friedli Trio / James Brandon Lewis–Chad Taylor Duo – Jazzfestival Willisau – 1.9.

Gabriela Friedli (p), Daniel Studer (b), Dieter Ulrich (d, Signaltromete)
James Brandon Lewis (ts), Chad Taylor (d, elec mbira)

Bekanntlich bin ich ja gegenüber den Festivals in der Gegend hier derzeit recht skeptisch eingestellt … zuviel lokale Bands/MusikerInnen, zuviel seltsame Paarungen, die auf dem Papier oft mehr versprechen, als sie dann einzulösen vermögen … und überhaupt zuwenig Musik, um richtiges Festival-Feeling aufkommen zu lassen. Weil mich das Programm nicht sehr ansprach und es sich nicht anders anbot ging ich dieses Jahr nur ans Schlusskonzert in Willisau, am Sonntagnachmittag um 14 Uhr – was ja irgendwie auch seltsam ist, aber egal – das Duo Lewis/Taylor musste ich sehen, wenn sich die Gelegenheit schon mal bot!

Dass davor das Trio von Gabriela Friedli auftrat, das ich auch hier in Zürich im kleinen Rahmen und für deutlich kleineres Geld hören könnte, ist dann eben einer der Punkte, die mich bei der Programmierung der Festivals aktuell etwas irritieren: sollten nicht Leute eingeladen werden, sollte nicht Leuten eine Plattform geboten werden, die hier selten zu hören sind, die den Besuch am Festival (inkl. Anreise, allenfalls Übernachtung usw.) eben rechtfertigen? Aber egal, ich war schon nach wenigen Minuten mehr als versöhnlich gestimmt, denn das Trio um die Pianistin spielte ein sehr feines Set. Ich kann die Musik von Friedli nicht klar verorten, da steckt natürlich die Jazz-Avantgarde drin (Irène Schweizer, Marilyn Crispell wohl auch), aber eher jene der zurückhaltenden, melodischen Art. Auch Minimalismus vermutlich, Impressionismus – das ganze wirkt stets recht knapp, aber ohne trocken zu werden. Studer ist ein toller Bassist, das dachte ich wieder einmal, den ich leider noch zu selten im Konzert gehört habe (der letzte Bericht hier, im März, galt ja einem wunderbaren Konzert vom Bassduo Studer-Frey, dessen neue CD auf Leo ganz oben auf dem Hörstapel liegt … die neue Friedli-CD ist auch bei Leo – nicht bei Intakt, das auch dieses Jahr wieder den CD-Stand am Festival leitete – erschienen, ich werde die CD wohl auch noch kaufen). Dieter Ulrich spielte – im Programmheft wurde er als „filigran agitierender Schlagzeuger“ beschrieben, da regt sich schon etwas Widerspruch – tatsächlich feiner und feinfühliger als ich ihn sonst bisher gehört habe. Er ist ja auf eine gute Art Old School, irgendwo zwischen Art Taylor, Philly Joe und Sunny Murray, eher karg als virtuos. Aber in diesem Trio klang er nun wirklich anders als etwa mit dem Trio von Omri Ziegele oder den diversen Festival- und Tour-Bands, in denen ich ihn schon hörte (z.B. mit Oliver Lake/William Parker oder Oliver Lake/Christian Weber), und sein Spiel gefiel mir vielleicht noch etwas besser.

Das erhoffte Highlight war dann dieses Mal zum Glück auch wirklich eines. Lewis/Taylor legten ohne Umschweife los, Coltrane stand im Raum, aber hier wurde nicht Ehre erwiesen, es wurde gearbeitet, geschwitzt, gegroovt (ein paar Leute begannen zwischendurch auch tatsächlich zu tanzen – recht verblüffend bei so einem Set, aber eben auch total passend). Taylor hatte seine Mbira mit, die in Italien leider kaputt war, als ich ihn zum ersten Mal mit London Chicago Underground hörte … es gab etwas Ellington („Come Sunday“), es gab Coltrane, es gab überhaupt eine Menge beglückender Musik, in der Free und Funk zusammenfanden, in der eher an Melodien, an Kürzeln gearbeitet als wild ins Freie ausgebrochen worden wäre … eine tatsächlich sehr handwerkliche Musik, die aber doch mehr war als die Summe ihrer Teile. Und Chad Taylor, das wurde mich wie erwartet auch wieder klar, ist wohl tatsächlich der bessere Drummer als die versammelten Middelheim-Trommler dieses Jahres (Hamid Drake läuft wie immer ausser Konkurrenz, aber mein Lieblingsdrummer ist er nun bei weitem nicht, auch wenn es immer wieder phantastisch ist, ihn live erleben zu können). Das Set wurde – wie wohl das ganze Festival – mitgeschnitten, es besteht die berechtigte Hoffnung auf eine Veröffentlichung (ich hoffe sehr, dass diese nicht zurechtgestutzt wird, das nervt nämlich).

In Sternen:
Gabriela Friedli Trio * * * *
James Brandon Lewis–Chad Taylor Duo * * * *1/2

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