Antwort auf: 2019: Jazzgigs, -konzerte & -festivals

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gypsy-tail-wind
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Wegen Enrico Rava und seiner Band: ich weiss nicht, ob die so als fixe Gruppe unterwegs ist – bin mir aber ziemlich sicher, dass das entweder der Fall ist, oder aber dass die alle in unterschiedlichen Kombinationen schon zusammen gespielt haben. Sonst wäre dieses bunte und doch aus einem Guss daherkommende Set kaum zu machen.

Die Sympathie bei Charles Lloyd, das stimmt total, ging mir auch so. Ich hörte ihn 2000 oder 2001 schon einmal live, damals noch mit John Abercrombie (g), Marc Johnson (b) und Billy Hart (d), die Band hat er danach ja mehrmals umgebaut … neben „Jumping the Creek“ und „Passin‘ Thru“ empfehle ich „Rabo de Nube“ ebenfalls unbedingt, und auch „Lift Every Voice“ mit Geri Allen … und wenn das Hippie-Drumherum (Rotwein und Meditation dürfte passen, ersterer vielleicht, wer weiss, aus dem eigenen Rebberg im Nappa Valley? ich sage das nur so dahin) kein Hindernis ist, dann ist auch das Duo-Doppelalbum mit Billy Higgins, „Which Way Is East“, wunderbar (mir gefällt es, obwohl ich auf Hippie-Gedöns sonst eher allergisch reagiere). Falls Du die Band mit Billy Higgins austesten willst, „Hyperion with Higgins“ ist das gute Album von den zweien, „The Water Is Wide“ ist ein Mix aus Begleitmusik zum Sex und Hippie-Hymnik, alles furchtbar brav und zahm und wie ich finde lahm – kaum zu glauben, dass das die gleiche Band ist, dieselben Sessions … aber „Hyperion“ ist stark. Ich habe da noch Lücken („Voice in the Night“, „Aunt Hagar’s Song“, „Mirror“ und „Sangam“, ich glaube „Wild Man Dance“ fehlt mir auch, dafür habe ich „I Long to See You“, das erste mit The Marvels, ist aber nicht mein Fall, das zweite mit Gast Lucinda Williams liess ich dann auch aus). Die ECM-Alben mit Bobo Stenson habe ich seit einer Ewigkeit nicht mehr gehört, das letzte, „Canto“, gefiel mir damals (ich kaufte es wohl 1-2 Jahre nach seinem Erscheinend), aber meine Meinung über Stenson hat sich seither ziemlich zum negativen gewandt bzw. ich langweile mich da einfach viel zu schnell, klassische ECM-Kiste halt …

Die Sache mit Rogers/Harland … vielleicht waren die Jungs mit Murray noch etwas besser, aber Drake ist ja eh quasi eine Kategorie für sich: der einzige Top Reggae-Drummer des (Avantgarde-)Jazz, oder so ähnlich. Der Punkt ist aber – und das bestätigte das gestrige Konzert in Willisau mit Chad Taylor: die richtig guten Drummer unserer Tage waren in Antwerpen gar nicht am Start. Ich denke zuvorderst an Marcus Gilmore und Nasheet Waits, an Chad Taylor, aber auch an Tyshawn Sorey, an Gerald Cleaver oder Eric McPherson (und da reiht sich dann Harland auch irgenwdo ein).

Bei Idris Ackamoor werden wir uns nicht einig, ich habe bei dieser Art Musik mit Gesang kein Problem und fand ihn auch nicht sonderlich schlecht, zudem gefiel mir das Zusammenspiel, das Zusammenwirken der Band insgesamt sehr gut. Das Bambusding ist auf dem ersten Foto (Hochformat) zu sehen, er blies das zu Beginn des Auftritts, als die Band quasi in Polonaise-Formation hinter dem Chef spielend auf der Bühne erschien – danach kam das Teil nicht mehr zum Einsatz. Früher spielte er übrigens vornehmlich Altsax, was diesmal nur kurz der Fall war (ein Stück, glaube ich, oder nur ein halbes sogar). Auch den Gitarrensynthesizer fand ich in diesem Rahmen unproblematisch (die Streicher von Werner im Thielemans-Set waren dagegen das pure Grauen).

Ergänzend noch, weil redbeans mich dran erinnert hat: im Set von Evergreen 5+ feat. Ambrose Akinmusire gab es wenigstens zwei Stücke von Akinmusire, eins früh im Set, und danach noch „Henya“ (das hatte ich damals während dem Konzert gegoogelt, weil ich dachte es käme mir bekannt vor – was auch stimmt, denn die CD, auf der es zu hören ist, „When the Heart Emerges Glistening“, war meine erste Akinmusire-Anschaffung … leider aktuell verlegt, ich wollte sie schon vor dem Festival mal wieder anhören).

Und klar, Pharoah Sanders in Aktion zu sehen war auch für mich eine spezielle Sache – das hätte ich durchaus deutlicher hervorheben können. Im Gegensatz zu Archie Shepp, von dem man ja aus verlässlichem Mund fast nur von Enttäuschungen hört, und an dessen letztes Konzert in Zürich ich auch nicht ging, den ich aber vor ein paar Jahren zusammen mit Yusef Lateef erlebte, war Sanders‘ Auftritt alles in allem auch wirklich keine Enttäuschung (vorbereitet war ich da auf das Allerschlimmste).

Was meine Erwartungen und Enttäuschungen angeht:
– Akinmusire (generell): erstere waren hoch, er hat sie auch gehalten
– Murray: mittel, deutlich übertroffen
– Lloyd, Rava: gemischt, übertroffen (bei Lloyd noch mehr als bei Rava, weil Set noch besser, Erwartungen tiefer)
– Legnini: weniger nett/brav als erwartet, also übertroffen
– Ackamoor, Sanders: schlimmstes erwartet, so gesehen totale Outperformer ;-)
– Werner/Liebman, Lovano/Crispell/Castaldi: konfuse Erwartungen, die dennoch enttäuscht wurden
– Maret etc.: keine klaren Erwartungen, kein klares Resultat (kompetent gespielter Jazzstudenten-Muzak?)
– Garcia: positiv eingestellt ohne klare Erwartungen, enttäuscht

Wobei es vielleicht unfair ist, Garcia in die Liste zu nehmen, denn Boehme/Bojan Z und Reggie Washington liess ich auch oben beim Besternen schon aussen vor – eher Rahmenprogramm als Teil des Musikprogramms.

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