Antwort auf: Ich höre gerade … klassische Musik!

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gypsy-tail-wind
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yaiza

gypsy-tail-wind Bei der Post, die ich nach dem kurzen Urlaub diese Woche abholte, war auch ein Paket mit mehreren CDs des Bratschisten Nils Mönkemeyer drin … von dreien liefen schon Auszüge und der erste Eindruck ist superb.

oh ja, vielen Dank. Wirklich interessant… und schon seit längerem, wie man an den VÖ und Texten über ihn erkennen kann. Hier einer aus der nmz (11/2007). Im Text wird ja auch die Assistenzprofessur in Madrid erwähnt. Das span. Barockalbum aus 2014 behalte ich mal zum Hören im Hinterkopf, das Album mit den Brahmssonaten (2015) ist bestimmt auch
Das erinnert mich daran, dass ich mir ja eigentlich auch mal das Violakonzert von Bartók mit Yuri Bashmet anhören wollte.

„Folia“? Das ist zu mir inzwischen unterwegs … ich war noch bei der Mozart CD und anderswo und bin weiterhin sehr angetan – halt auch vom Instrument, das ohne den Glanz der Geige auskommt, aber dafür eine Wärme und einen Körper hat, wie das die Geige wiederum nicht bietet – so leuchten mir z.B. Viola-Einspielungen der Bach’schen Cello-Suiten in der Regel auch ein (zuletzt auf ECM von Kim Kashkashian) – Mönkemeyer scheint da teils hohe Tempi zu wählen, jedenfalls kam es mir so vor, aber auch das leuchtete mir beim Hören unmittelbar ein.

Gestern war ich wieder am gefährlichen Ort, der die Outhere-Gruppe u.a. in der Schweiz vertreibt und nahm u.a. die gesamten Neuheiten von alpha mit, von denen diese hier gestern spät noch in den Player ging und jetzt wieder dreht:

Los geht es mit Allegris „Miserere“, es folgen Stücke von Monteverdi, Mazzocchi, Luigi Rossi etc., das Konzept kreist um den Vatikan, die Gegenreformation, die verbotenen Verzierungen, deren Rekonstruktionen usw., es geht hier als nicht um das „rein gewordene Werk“ … ach, das wird zu kompliziert, ich tippe besser rasch Dumestres Vorwort im CD-Booklet ab (komplett, wo ich gerade dabei bin):

„Oft betrachtet man mit nicht weniger Vergnügen als Entzücken einige dieser Gemälde, bei denen etwas ganz anderes zu sehen ist, als das was gemalt wurde, wenn das Auge dessen, der sie betrachtet, sich nicht an einem bestimmten Platz befindet, doch sieht man sie danach vom Standpunkt des Gegenstands aus, offenbart er sich …“
~ Daniel Barbaro, La pratica della perspettiva, Venedig 1559

Anamorfosi. Dem veröffentlichten, beurteilten, aufbewahrten, mit einer Signatur versehen, definierten, mit einem Wort: rein gewordenen Werk steht in der Gegenreformation die Vitalität der musikalischen Verzerrung durch den Improvviso entgegen. Zwischen dem Aufgeschriebenen und der klanglichen Realität macht die persönliche, interpretatorische Aktion das Gegenteil des Geschriebenen und pervertiert die Einfachheit der homophonen Kompositionsweise – den philosophischen Leitstern eines Karl Borromäus – zu einem Spiel vokaler Virtuosität und harmonischer Spannungen. Diese Tradition, von der uns Della Viola, Bovicelli oder Severi einige Spuren hinterließen und die mit wirksamen Texten (wie dem berühmten Miserere oder dem selteneren Domine, ne in furore tuo, einem Psalm mit düsteren, verzweifelten Tönen) arbeitete, klang damals wie eine Herausforderung an die rationale Welt.

Zu diesen vergänglichen Verzerrungen kommen musikalische Illusionen und Trompe-l-‚oeils hinzu, die im 17. Jh. in Rom sehr geschätzt wurden. So wollten wir auf dieser CD einige jener Werke zusammenstellen, die vom körperlichsten, profansten Rahmen zum Ausdruck des Geistlichen übergehen und wie eine schräge Wahrheit durch die Hände von Ambrosius Profe, Aquilino Coppini und anderen anonymen Dichtern umgewandelt, neu geschrieben, bekehrt wurden. In Art einer in die Musik übertragenen Anamorphose, bei der etwas ganz anderes aufscheint, als das, was gemalt wurde, ist der mystischste Gegenstand zu erkennen, wenn man seinen Standpunkt einnimmt.

~ Vincent Dumestre, Paris, 21. April 2019

Ich bilde mir nun nicht ein, diesen äh, Überbau beim Hören auch zu erkennen, aber die Aufnahmen faszinieren mich ziemlich. Unter den SolistInnen finden sich auch ein paar liebgewordene, teils erst kürzlich entdeckte Namen, so die Mezzosopranistin Eva Zaïcik, die in Rossis „Un allato messagier“ glänzt, oder der Bariton Marc Mauillon.

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