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Ich frage mich, wer eigentlich wen zwingt, Binnen-i oder -Sternchen oder -Unterstrich zu verwenden? Mir hat in 25 Jahren publizistischer Tätigkeit wirklich noch niemand Vorschriften dazu gemacht oder kritisiert, dass ich diese Varianten in meinen Texten nicht verwende (und das als rot-grüne Schneeflocke). Ich verstehe die Überlegungen dahinter, halte die bisherigen Lösungen allerdings für stilistisch unbefriedigend. Sie kommen doch, abgesehen von einzelnen Interessengruppen, eigentlich nur im behördlichen oder offiziellen Zusammenhängen vor. Nun sind Behördenschreiben, Stellenanzeigen und ähnliches aber wirklich noch nie dafür bekannt gewesen, Oasen der Sprachästhetik zu sein. Da geht es einfach um andere Dinge.
Die ganze künstliche Aufregung um das vermeintliche „Überhandnehmen“ der „political correctness“, die nun immerhin schon 25 Jahre andauert (ich erinnere mich noch gut an die ZEIT-Artikel von Dieter Zimmer, der zu denjenigen gehörte, die Mitte der 90er als Erste das Gespenst des politisch-korrekten „Sprachterrors“ beschrien), habe ich noch nie verstanden. Die Konservativen hatten früher mal Konzepte, die sich „Höflichkeit“ und „Anstand“ nannten, die ziemlich genaue Vorschriften machten, wer mit wem wie reden oder nicht reden sollte, um sein Gegenüber oder gesellschaftliche Konventionen nicht zu verletzen und als zivilisiertes, wohl erzogenes Mitglied der Gesellschaft zu gelten. Ist lange her, ich weiß … Heute ist ein Konservativer, wer sich mit Händen und Füßen gegen alle Konventionen sträubt, weil die seine Meinungsfreiheit einschränken.
Es hat in allen Gesellschaften und allen Gesellschaftsschichten zu allen Zeiten solche Konventionen gegeben, ausgesprochene und unausgesprochene, harte und weiche. Das wird auch immer so bleiben. Gesellschaftliche Konventionen sind aber auch nie unabänderlich, sie sind im steten Fluss. Und natürlich versuchen politische und andere Interessengruppen seit jeher, diesen Wandel zu forcieren oder zu verhindern. Und es war stets eine Aufgabe von Künstlern, Schriftstellern, Denkern, Satirikern, Polemikern usw., diese Konventionen herauszufordern.
Was hat Harald Schmidt denn in den 90ern anderes gemacht, als auszutesten, was „geht“, und sich gezielt „daneben zu benehmen“? Das hätte doch nicht funktioniert, wenn es nicht damals auch schon, wie zu jeder anderen Zeit, Konventionen darüber gegeben hätte, was „man“ sagt (oder tut) und was besser nicht. Was ihn heute daran hindert, es weiter zu tun, ist nicht der Strohmann der „political correctness“, sondern einfach, dass seine Zeit schon seit mindestens 15 Jahre abgelaufen ist. Er war ein Mann der 90er und als die vorbei waren, verschwand er langsam aber sicher im ewigen Eis der Irrelevanz. So ist das halt, Popkultur ist undankbar. Ein harter Hund wie er soll das wohl aushalten können.
(Ich habe übrigens Schmidt seinerzeit gerne und regelmäßig gesehen und mir in einem Anflug von Nostalgie neulich noch einige alte Folgen und jüngere Interviews angesehen.)
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