Re: The Velvet Underground

#1078357  | PERMALINK

otis
Moderator

Registriert seit: 08.07.2002

Beiträge: 22,557

Kai Bargmann
Für den Erfolg und den Status dieses Albums spielen neben der Ästhetik andere Faktoren eine Rolle, besonders seine Entstehungsgeschichte: Die Kombination der Band mit Warhol (als externe Faktoren), die Drogen (als interner Faktor). Mir kommt es in der Beurteilung von Musik hauptsächlich auf die Ästhetik an, weil ich der (zugegeben: konservativen) Auffassung bin, dass das Kunstwerk für sich selbst stehen und wirken sollte – man es also nicht, wie es hier geschieht, durch gedankliches Beiwerk erklären und in Schutz nehmen muss.

Ich habe VU ohne jede Kenntnis des Hintergrundes etc kennen- und lieben gelernt. Die Musik stand für mich zunächst absolut für sich, sie benötigte kein gedankliches Beiwerk etc. und da gebe ich dir recht, das sollte auch nicht notwendig sein.

Kai Bargmann
Was Nico angeht: Es ist ein Unterschied, ob ich FALSCH singe (also die Töne nicht treffe) oder wie Dylan oder Cash einen begrenzten Tonumfang und Ausdruck habe, aber RICHTIG singe, und dann aus meinen stimmlich begrenzten Mitteln das beste mache. Das ist auch eine objektiv richtige Aussage, auch wenn sie dem Fan weh tun mag.

Nico singt nicht falsch, jedenfalls kann ich mich an keine solche Stelle erinnern. Dylan „trifft“ oft überhaupt keine Töne „richtig“.

Kai Bargmann
Ästhetik hat durchaus mit Schönheit zu tun (vgl. etwa die Antike und den Goldenen Schnitt), aber das sind Dinge, die in der Meinungsfreudigkeit der Postmoderne unter- bzw. verlorengegangen sind. Das macht sie aber nicht falsch und lässt insbesondere ihre Vertreter nicht zu Banausen werden, wie das hier gern impliziert wird (vgl. die Warhol- und die Toto-Anspielungen).

Das ist ärgerliches Gerede.
Weil es so schön einfach zu zitieren ist, hier das, was bei wikipedia steht: Bis zum 19. Jahrhundert wird Ästhetik (gr. aísthesis: Wahrnehmung) häufig mit der Lehre von der Schönheit (Kallistik) gleichgesetzt. Die Philosophie ist inzwischen von diesem Verständnis abgerückt. Sie versteht „Ästhetik“ meist entweder als die Theorie und Philosophie der sinnlichen Wahrnehmung, oder aber als (soziologische) Theorie von Kunst bzw. Design. Demnach entscheiden über den ästhetischen Wert eines Objekts nicht die Begriffe „schön“ und „hässlich“, sondern die Art und Weise der Sinnlichkeit und/oder Sinnhaftigkeit in Verbindung mit dem Zeichensystem des Objekts.
Sicher etwas verkürzt, dennoch das, was ich oben gesagt habe. Und das ist kein postmoderner Ansatz, das findet sich schon bei Kant oder womöglich noch früher.
Zudem bin ich, wie oben angedeutet, der Meinung, dass vermeintlich oder oberflächlich betrachtet weniger Schönes durchaus als „schön“ empfunden werden kann, wenn Kunstobjekt und „Sinnhaftigkeit“ ideal miteinander verschmelzen. Das gelingt VU auf den ersten Platten recht oft. Bei Toto fehlt mir jede mir erkennbare „Sinnhaftigkeit“.

btw von „Banausen“ hat hier keiner gesprochen oder täusche ich mich? Banausentum allerdings ist etwas ganz Fürchterliches, nämlich das Sichverschließen gegen das Erklärbare in der Kunst, nur um nicht von seinem geschmäcklerischen Meinen abrücken zu müssen.

--

FAVOURITES