Antwort auf: Ich höre gerade … Jazz!

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friedrich

Registriert seit: 28.06.2008

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@gypsy-tail-wind

friedrich

@pinball-wizard`

Einen Musiker als Elternteil und dazu selbst noch das Musikerblut in den Adern zu haben, stell ich mir ziemlich klasse vor. Würde ich auch gerne . Boss Tenor ist mein erstes Gene Ammons Album, und auch noch sehr frisch bei mir. Aber es hat mich sofort ergriffen. Ein echter Genuß, nicht nur Canadian Sunset, welches in seiner Leichtigkeit natürlich toll ist.

Ich stelle mir vor, dass ich in einem Fragebogen oder in einem Vorstellungsgespräch nach dem Berufen meiner Eltern gefragt werde und angebe: „Boggie Woogie-Pianist und Nachtclub-Tänzerin.“ Das wäre schon was anderes als z.B. Ingenieur und Studienrätin.

Verklärung von post-WWII-westlichen Wohlstandskindern, pardon. Damals in einer afroamerikanischen Community einen Musikervater zu haben erhöhte das Risiko, bei einer alleinerziehenden Mutter oder gleich bei einer Tante oder der Grossmutter aufzuwachsen.

Die Smileys hast Du gesehen?

Ich mag ein naiv-romantisches Kind der späten deutschen Wirtschaftwunderzeit (und tatsächlich Sohn eines Ingenieurs und einer Hausfrau) sein, aber so naiv-romantisch bin ich dann doch nicht, das ich ernsthaft glaube, es wäre eine einzige Party gewesen, in den 30er, 40er, 50ern usw. ein Jazzmusiker oder gar Kind eines solchen zu gewesen zu sein. Prekäre wirtschaftliche Situation, schwierige Arbeitszeiten und Arbeitsstätten, unsichere Perspektiven und ein insgesamt unstetes Leben. Keine gute Voraussetzungen für ein geordnetes Familienleben. Albert Ammons wurde 42 Jahre alt, sein Sohn Gene 49 Jahre, von denen er aber mindestens 7 Jahre wegen seiner Drogenabhängigkeit im Gefängnis saß.

Ich habe die Film-Doku über Monk gesehen (in der Monks Sohn mit etwas gequältem Gesicht von seinem Verhältnis zum Vater erzählt – ein etwas komplizierterer Fall, ich weiß), in der Chet Baker Doku Let’s Get Lost grüßen Chets Ex-Frau und Kinder ihren Vater von der Filmleinwand aus, weil sie ihn in echt nie zu Gesicht bekommen. Auch ein komplizierter Fall.

Natürlich ist es in der Wirklichkeit weit weniger cool einen Jazzmusiker als Vater zu haben als in einer romantisierenden Vorstellung. Aber diese romantisierende Vorstellung ist so verführerisch haarsträubend aufregend, dass ich sie nicht für mich behalten konnte.

Frage: „Beruf des Vaters?“
Antwort: „Boogie Woogie Pianist.“

Was wäre das für eine Szene!

Und wer weiß: Gene Ammons ist immerhin in die Fußstapfen seines Vaters getreten …

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„Für mich ist Rock’n’Roll nach wie vor das beste Mittel, um Freundschaften zu schließen.“ (Greil Marcus)