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Ich hatte das im Lese-Thread geschrieben, aber es wurde zu lang und daher hole ich es lieber hier rüber, wo vielleicht noch jemand mitliest …
soulpope
Hatte ich gar nicht gesehen … höchst interessant, teils in der (tendentiell rassistischen) Stossrichtung aber auch etwas krass. Eigentlich schon mittendrin in der Appropriationsdiskussion von heute …
Hier:
Hervorragend, wenngleich sooo viel nicht herauszufinden ist … aber Miller hat Gespräche geführt mit einigen Leuten, die Nichols kannten, und natürlich hat er alles ausgewertet, was sonst zu finden ist (z.B. das Mosaic-Booklet, in dem es anscheinend diverse „testimonials“ von Weggefährten gibt).
Was mir bisher noch nicht bewusst war: wie sehr es schon früh (Mitte der Fènfziger, weisse Musiker waren (womit wir wieder bei A.T.s Herzensangelegenheit sind – bzw. aus seiner Logik vielleicht beim Beweis dafür, dass Nichols nichts taugt?), die bei Nichols anzudocken suchten: Gil Mellé, Buell Neidlinger und noch ein paar weniger bekannte … Musiker auch, denen die Erweiterung der harmonischen Sprache durch Einbezug neuer Entwicklung der klassischen Musik ein Anliegen war (Mingus und Cecil Taylor sind da auch am Rande dabei, Mingus hat anscheinend ja auf eine nicht mehr rekonstruierbare Weise mitgeholfen, dass Nichols nach 10 Jahren des Insistierens bei Alfred Lion doch noch einen Vertrag landen konnte). Das geht aber nicht in Richtung Third Stream oder so.
Andererseits listet Miller auch die Konkurrenz auf, in deren Umfeld Nichols sich eben leider nicht behaupten konnte: das geht von Exotinnen wie Toshiko Akiyoshi und Jutta Hipp (Miller nennt noch ein paar weitere, die man heute vergessen hat, auch einen neuen „Liberace des Jazz“ und sowas, die damalige Kritik war halt auch noch ein recht unseriöses Business, Nichols hat sich dazu ja auch geäussert), aber auch diverse Debuttanten derselben Zeit: Phineas Newborn, Cecil Taylor und diverse andere nahmen 1956 ihre ersten Alben als Leader auf.
Auch interessant: bei der ersten Session mit Nichols wollte Lion dasselbe Gespann auffahren wie bei Monk und Horace Silver: Gene Ramey (b) und Art Blakey (d). Ramey erzählt die Geschichte ungefähr so (ich weiss gerade nicht mehr, was Millers Quelle ist, ob das auch aus dem Mosaic-Booklet kommt): Nichols hätte ihn bei einem Stück in C-Dur gebeten, in Des zu spielen (oder war’s umgekehrt? jedenfalls einen Halbton versetzt). Er hätte sich geweigert, weil das natürlich gar nicht gehe, und hätte Al McKibbon empfohlen. Dieser macht einen okayen Job auf den ersten vier Sessions, ist aber schon recht steif und intonationsmässig auch nicht immer auf der Höhe. Deutlich besser ist dann Teddy Kotick, der auf der zeitlich späteren fünften und letzten Session zu hören ist. Blakey wirkt ebenfalls etwas steif, mit Max Roach (Sessions 3 bis 5) wird das auch besser. Bin mir gerade nicht mehr sicher, aber Nat Hentoff (der in in Down Beat über Nichols‘ Alben schrieb) oder Bill Coss (einer von Nichols Fürsprechern, er schrieb in Metronome über die Alben und gab Nichols auch selbst Raum für einen Artikel über sich und seine Musik) nannten die Rhythmusgruppe des ersten Albums steif und unpassend … kann man durchaus so hören, aber muss man nicht, finde ich. Zudem: Nichols wollte für sich die grösstmögliche Freiheit, er brauchte also eine sichere Rhythmusgruppe, die den Beat betonte und nicht auch noch flexibel damit umsprang. Das änderte sich ja ungefähr zur selben Zeit bei Cecil Taylor allmählich (wobei das eigentlich erst Jahre später wirklich zu spüren ist, die Rhythmusgruppen auf den Sessions der Fünfziger sind ja auch ziemlich standard) … der war ja auch etwas älter, aber Nichols war nochmal 10 Jahre älter und sein Bezug zur Jazztradition viel enger, Duke Ellington war diesbezüglich wohl sein grösstes Vorbild (und sonst Prokofiev, zumal in seiner Jugend, später scheint Bartók es ihm besonders angetan zu haben – v.a. bei ersterem geht es nicht allein um das Werk sondern auch um den Pianisten, den aufführenden Musiker).
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