Antwort auf: 2019: Jazzgigs, -konzerte & -festivals

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gypsy-tail-wind
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Marc Ribot „Songs of Resistance“ – Zürich, Moods – 11.2.

Marc Ribot g/voc, Jay Rodriguez ts/ss/fl, Nick Dunston b, Chad Taylor dr

Ziemlich tolles zweistündiges Set gestern … am Anfang ein paar wohlfeile Lacher auf Kosten der dämlichen Amis aus dem satten oh-so-überlegenen Publikum … auf dieses scheint Ribot aber auch abzuzielen mit seinen Songs, unbequeme Fragen kommen nicht sehr viele, die Haltung ist eher eine trotzige und eben: moralische. In der Politik trägt das nicht weit und hilft vermutlich mit, dass wir das ganze möglicherweise total verkacken, weil die Haltung zu oft verhindert, dass die Entwicklungen hinterfragt werden, die ja auch mitten unter uns stattfinden. Am ekligsten an den Lachern über das Land, das gerade etwas gefickt ist, weil es einen Idioten gewählt hat, ist dann aber gerade aus der moralischen Warte wieder, dass hierzulande seit den Neunzigern immer mehr Menschen – inzwischen sind es ja nahezu 40% – kein Problem damit haben, eine xenophobe, populistische Elitepartei, die sich als volksnah gibt und ebenfalls seit den Neunzigern mehr oder weniger die Agenda bestimmt, zu wählen. Auch da: die moralische Haltung hilft wenig, man muss auch mal steil einsteigen – was wiederum nicht heisst, mit denselben unlauteren Mitteln (was ja leider AOC zu tun scheint, eine Fake-News-Schleuder mehr, die die Welt nicht braucht, und ebenfalls eine Vertreterin des Irrglaubens, der moralische Zweck heilige die Mittel – und damit eigentlich eine Verbündete von Trump), aber man sollte sicht vielleicht mal auf ein Ziel verständigen statt sich selber zu zerfleischen wegen jedem Fehltritt, den Menschen nun mal begehen. Schluss mit den Forderungen nach dieser aalglatten Authentizität, die ja eine contradictio in adjecto ist.

Aalglattigkeit kann man nun Ribot gewiss nicht vorwerfen. Wenn er gegen Ende des Abends in einer seiner wenigen Ansagen meint, eigentlich sei er ja nur „a guitar player“, dann holt er sich ja fast schon selber wieder vom moralischen Ross herunter, bloss um dann als zweite, letzte Zugabe („It’s time for some country music now.“) den Carter Family-Song „When the World’s on Fire“ (den er schon beim Set von Ceramic Dog im November sang, wenn ich mich recht erinnere – mit ein paar veränderten Lyrics). Das Line-Up der Band – ich kannte nur Chad Taylor – war schon eine Überraschung: Jay Rodriguez, stammt aus Kolumbien, lebt aber seit langer Zeit in New York, wo er u.a. mit Phil Woods und Joe Henderson studiert, mit Celia Cruz, Dizzy Gillespie, Tito Puente oder Kenny Barron gespielt hat. Ribot war jedenfalls der einzige (ältere) weisse Mann auf der Bühne, der dann auch noch das Instrument der alten weissen Männer bearbeitete und beim Publikum dennoch schon nach den ersten angeschlagenen Akkorden Begeisterungsrufe auslöse. Bei mir dauerte es unter den Umständen eine Viertelstunde oder länger, bis ich all den Ballast ausblenden und einfach der Musik lauschen konnte.

Als „Resistance-Jazz“ bezeichnete das Moods die Musik des Quartetts, eher war es Latinpunkbluesrockjazz, wobei die Punk-Anteile im Vergleich mit Ceramic Dog gering ausfielen und der Funk-Anteil umso grösser. Ribot zeigte, was er an der Gitarre alles drauf hatte (eine klassische hollow-body, sah aus wie eine Les Paul oder so, aber ich war nicht nah genung, um etwas zu erkennen und kenne mich mit Gitarren schlecht aus). Manchmal (z.B. in der Carter Family-Zugabe) spielte er akustisch oder nur minimal verstärkt, dann wieder flächig, es gab funky Rhythmusgitarre ebenso wie zupackende Rock-Riffs und zwischendurch auch mal virtuosen Bebop. Als lange Coda nach dem Carter-Family-Song gab es dann noch eine Rockabilly-Version von „When the Saints“, in ein 12-Takte-Blues-Schema gepackt … dazwischen wurde auch mal eine Ahnengalerie des (altlinken) Widerdstands aufgezählt, von Leo Trotzky und anderen Kommunisten will ich mir nun eher nicht den Weg zur Freiheit vorschreiben lassen, denn die wissen ja bekanntlich besser als ich selbst, was für mich gut ist. Auch wenn die Musik des Quartetts immer Ecken und Kanten hatte, schwappte das alles manchmal schon ein wenig über in Feelgood-Musik für die geplagten Seelen der korrekten urbanen Linken … aber im Fazit dennoch ein tolles Konzert. Und wenn nun selbsterklärte Widerstandsmusik ihrerseits zum Widerspruch anregt, ist das ja wohl auch nicht das schlechteste. Am besten war es jedoch dann, wenn weniger gelabert (gerappt, gesingsangt) wurde, sondern einfach nur musiziert. Jay Rodriguez hat am Tenor einen vollen Sound, ist an der Flöte ebenfalls super (inklusive Summen beim Spielen) und der mir ebenfalls zuvor unbekannte Nick Dunston am Kontrabass und Chad Taylor am Schlagzeug sorgten für meine Ohren immer wieder für Höhepunkte. Sie waren sehr eng beisammen und navigierten die Stücke mühelos durch Tempo- und Rhythmuswechsel, blieben dabei immer flexibel und dehnbar … und Taylor, der nach einer Stunde oder so richtig aufgewärmt war, drehte ein paar Male richtig auf. Bei ihm klingt noch der simpelste Beat sexy. Und wenn er irgendwann den ikonischen „Funky Drummer“-Beat von Clyde Stubblefield spielt, ist natürlich erst recht Feuer unterm Dach. Musik kann eben, so mag ich glauben, am Ende doch sehr viel mehr als Politik.

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