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herr-rossiNun, die traditionelle Medienkritik muss sich die Begriffe des neuen Medienzeitalters erst einmal erarbeiten, von daher kein Vorwurf an Dich … Neely versteht es, Fragen der Musiktheorie und -praxis der Plattform angemessen umzusetzen und findet damit ein Publikum, das zweifellos in der Mehrzahl deutlich jünger ist als wir beiden und daher andere Erwartungen hat. Wie Du den Gedankengang seines Clips wiedergibst, finde ich allerdings einigermaßen schräg. Er geht keinem Mythos auf den Leim, sondern verweist auf verschiedene Untersuchungen und wissenschaftliche Erklärungen dafür, das und warum die Musik, die man in seiner Jugend gehört hat, einen besondere Wirkung auf die meisten Menschen hat, die für das weitere Leben prägt. Ob das nun „Scheißmusik“ war/ist (Du darfst mir glauben, dass ich NuMetal von Herzen verachte, und Neely berührt diesen dunklen Punkt seiner eigenen Biographie auch mit der nötigen Selbstironie) oder allgemein als hochwertig anerkannte, spielt dabei überhaupt keine Rolle, ebensowenig, dass es sicher auch Ausnahmen von der Regel gibt.
Guten Morgen, Adorno, wie geht’s Horkheimer? :) In den Diskussionen um „die Musik von heute“ muss man auch hier im Forum ständig daran erinnern, dass auch „früher“ nicht „jeder“ ein Musikenthusiast war, der gleich nach der Schule zum Zeitschriftenhändler gelaufen ist, um sich mit der neuesten englischsprachigen Musikpresse zu versorgen, um anschließend Mailorder-Kataloge zu wälzen und abends pünktlich John Peel einzuschalten … Die „Industrie“ arbeitet von jeher damit, dass die meisten Menschen gerne Musik hören, und sie versorgt sie daher zuverlässig auf allen Kanälen und in allen Lebenslagen damit und häufig genug nur als „Hintergrundgeräusch“. Die meisten Menschen entwickeln keinen besonderen Ehrgeiz darin, sich aktiv damit zu beschäftigen und Musik zu entdecken, sondern sie nehmen das, was ihnen auf dem Silbertablett gereicht wird (und zehren ansonsten von dem, was sie als Jugendliche gehört haben, siehe oben). Natürlich kommen Streaming und Algorithmen diesem Umstand entgegen. Die Musikenthusiasten waren immer schon eine Minderheit und sind es auch heute. Sie nutzen die heutigen technischen Möglichkeiten selbstverständlich ganz anders als die Mehrzahl der Konsumenten. Wenn man sich das vor Augen führt, schrillen die Alarmglocken schon gleich nicht mehr so laut
Schmalbrüstige Replik, in Form eines versteckten persönlichen Angriffs. Also wo anfangen? Bleiben wir besser beim Offensichtlichen. Der nicht mehr ganz so junge Herr, nach seinem Nu-Metal-Outing würde ich ihn als weit über 30 einordnen, benutzt die unzureichende Ästhetik der You-Tube-Meinungsbildung, die tauglich sein mag, um Lippenstifte und Elektronik-Gadgets an den Jungen oder das Mädchen zu bringen, für das Brechen einer Lanze zugunsten aktueller Pop-Musik. Diese kommt in seinem Clip kaum vor, er verlässt sich lieber auf die musikalische wie moralische Ablehnung von Pop-Musik aus vergangenen Zeiten, die er auf die Ablehnung heutiger Pop-Musik übertragen will. Er verkennt dabei die unterschiedliche Wirkung zu unterschiedlichen Zeiten. Wurden Jazz und Beatmusik wirklich einmal als gesellschaftszersetzend wahrgenommen, sind heute alle über die Massenmedien verbreiteten Beispiele der Pop-Musik gezähmt. Ironischerweise stellen die Beatles eine Art Initialzündung für beides dar: Musik als massenwirksame Rebellion und gleichzeitig ihrer Assimilation als Konsumprodukt der Industrie. (Die Ausnahmestellung der Band ist in dieser – und nicht nur in dieser – Hinsicht bemerkenswert, weil sie mehr als alle anderen Künstler ein seltsam schwebendes Verhältnis innerhalb dieses Widerspruchs einnehmen.)
Neely bedient sämtliche Klischees, welche Leute, die sich in einem gewöhnlichen Alltag eingerichtet haben, so gerne hören: Die Kindheit als Paradies, aus dem man vertrieben wurde. Die Jugend als Höhepunkt der Neuerungen und des Aufbegehrens. Vielleicht sagt das mehr über sein Publikum aus als ihn selbst, die Verortung der ursprünglichen Quelle des Musikgeschmacks in der Hirnchemie eines 13-Jährigen bleibt höchst fraglich. Schön, wenn einem die Naturwissenschaft so in die Karten spielt, man muss sich ja nur auf einen kleinen Ausschnitt beschränken: Dopamin, Serotonin, Botenstoffe.
Ich verstehe noch immer nicht den Verweis auf Anti-Musikenthusiasten. Wofür soll die Ignoranz der Masse ein Beispiel sein? Ignorante Leute tun in ihrem Leben ignorante Dinge – und sind deshalb auch einfache Beute für Kaufleute. Wer sich einen Scheiß kümmert, um den wird sich eben gekümmert. Die stumpfe Trägheit dient nicht als Maßstab. Mag ja schön sein, wenn man demnächst die Demenzkranken eines Altersheims mit Smokie und den Bay City Rollers therapieren kann – aber es bleibt halt eine Ausrede. Musik wird mit medizinischen Zwecken aufgeladen, ermöglicht durch Botenstoffe der Jugend und einem Synapsennetz. Für manchen mag das Naturwissenschaft sein, ich sehe da bisher nur oberflächlichen biologistischen Unfug.
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Come with uncle and hear all proper! Hear angel trumpets and devil trombones. You are invited.