Antwort auf: Eure Album-Top100

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irrlicht
Nihil

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sokrates

Eine, in der ich einen persönlichen Musikgeschmack erkennen kann.

Die Statistik wäre noch anzufertigen, deswegen ja mein Bild mit dem Sozialwissenschaftler oben. Du müsstest die Kanonwerke (sechs Lottokugeln) ins Verhältnis zur Gesamtmenge von Veröffentlichungen (49 Kugeln) setzen, um eine Gewinnwahrscheinlichkeit (Platz in den Top100) zu ermitteln. Daran könntest Du erkennen, wie unwahrscheinlich es ist, dass ein bestimmtes Album sich häufiger qualifiziert als andere, und wie verzerrend demgegenüber der „Kanon“ wirkt, wie auch immer er zustandekommt, ob nun durch „Qualität“, Sozialisation oder Medieneinfluss. Im nächsten Schritt müsstest Du die Häufigkeit einer Albennennung in einer Top100-Liste ins Verhältnis zu ihrer Gesamtnennungshäufigkeit setzen . . . aber ich will dich nicht mit Details langweilen. BTW: Meine Tochter sagt auch, dass Mathematik anstrengt, weil man genau nachdenken muss, aber sie hat verstanden, dass Mathematik keine rhetorische Blendgranate ist, sondern hilft, Brücken zu bauen und zum Mond zu fliegen.

Ich verstehe mathematische Grundsätze, aber für mich bleibt das argumentativ dennoch enorm dünn. Dass nur ein kleiner Bruchteil der jährlichen Veröffentlichungen ihren Weg in Bestenlisten finden, ist klar – und sicher auch teilweise bedauerlich, wenn man bedenkt, dass gerade viele Länder enorm unterpräsentiert sind. Da steht und fällt die Sache aber oft schon mit der Verfügbarkeit und dem Faktum, dass man viele Releases gar nicht mitbekommt. Man trifft eine Vorauslese, dazu sind andere Listen, Reviews etc. immer hilfreich und damit erklärt sich sicher mitunter auch, warum manche Werke in vielen Listen auftauchen und andere nicht. Nebst dem naheliegendsten Ansatz, dass es auch einfach herausstechende Werke sind.

Was Deine Statistik liefern müsste, wäre eine Isolation des Hörers von seiner Umwelt – was ich für unmöglich und damit für eine rhetorische Blendgranate halte. Du kannst dich sicher fragen, ob man ohne das Wissen um das Standing ein Album von Cash oder ein Werk von Brahms anders hören würde – mir bringen solche Gedanken relativ wenig und ich finde sie auch nicht sonderlich ergiebig. Des Weiteren müsste Dein System im Grunde nachweisen, dass es keine wirkliche, intrinsische Qualiität gibt, dass letztlich alle Werke gleich gut oder gleich schlecht sind – das mag subjektiven Gedanken gerecht werden, ist m.E. aber Quatsch. Letztlich aber ein Thema, das so alt ist, wie die Bewertung von kulturellen Gütern selbst.

Oder deutlicher formuliert: Du kannst doch gerne Toto, Imagine Dragons, Bosse, Mark Forster und Max Giesinger über Bob Dylan und John Coltrane stellen – der Großteil der Leute hier hält dich dann eben für einen musikalischen Banausen und schüttelt sich. Deine Rhetorik folgt leider ständig der selben Umkehr: Letzterem Umstand bewusst dreht sich das Bild einmal auf den Kopf – alle Kanonwerke stehen nun auf dem Prüfstand und alle Leute, die diese bewundern, machen sich plötzlich schuldig, unmündige Schäfchen zu sein, die sich beweisen und erklären müssen, ob ihre Listen ehrlich sind, ob Du einen „persönlichen“ Musikgeschmack erkennst. Leider eine reichlich madige Nummer, die jetzt schon seit Jahren immer auf die gleiche Weise durchgespielt wird.

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Hold on Magnolia to that great highway moon