Antwort auf: Ich höre gerade … Jazz!

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vorgarten

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gypsy-tail-wind
Was meine wenig qualifizierte Bemerkung zu Disco betrifft, danke für die ausführliche Antwort. Ich rechnete schon mit dieser Art von Widerrede – kenne mich da nicht aus und ziehe wohl hie und da Verbindungen, die man so nicht ziehen sollte. Aber auf das Problem mit der Produktion können wir uns auf jeden Fall einigen. Die Kälte ist aber immer wieder auch in der Musik selbst da, finde ich. Und noch eine Ahnung ohne viel Hand und Fuss: das kommt dich irgendwie aus der Creed Taylor/Herb Alpert-Ecke. Die teils sehr tollen Anfänge bei CTI sind ja noch extrem warm produziert, aber das ist halt noch die Softporno-Sound-Phase. Der Hochglanz (der bei A&M von Beginn an wie ein Damoklesschwert über dem Geschehen hängt) wird irgendwann völlig konsequent zur total leeren Hülle … von der Musik bleibt kaum noch was übrig. Im Pop höre ich durchaus auch eine solche Entwicklung, aber ich sag da besser nichts mehr (von JB über Sister Sledge zu Dieter Bohlen soll man wohl nicht gehen … da wird ja Techno als Tanzmusik auch für mich richtig interessant, wenn man den inhaltsleeren Sound – Eurodance hiess der Schlock? – in der Jugend immer wieder aushalten musste … und die Leute, die den ganzen Schrott prägten, wurden hsnt schon in der Disco-Ära gross, oder irre ich mich da? Will daraus nun wirklich keine steile These bauen (und ich weiss längst, dass die Disco-Zeit einiges zu bieten hat, so weit bin ich immerhin gekommen )

schon in ordnung, ein fachmann bin ich auf diesem gebiet auch nicht. begriffe wie „soft-sex-sound“ oder „hochglanz“ sind für mich wenig produktiv, und es ist eigentlich auch nicht „disco“, wovon wir hier angesichts von vick oder owens oder cti reden (und wovon wir da eigentlich reden, wäre in meinen augen die spannende frage, auf die ich auch noch keine antwort habe). wenn man „disco“ begreift als parameterwechsel von der hinhör- zur aktiven, gemeinschaftlichen bewegungsmusik, war der beitrag des jazz dazu natürlich bescheiden (leute wie benson oder ayers haben sich da geschmackvoll und engagiert eingerichtet, höchstens bei idris muhmmad könnte man vielleicht von einem originären beitrag reden) – daher kommt wohl das naserümpfen (kommerzialisierung, ausverkauf, kälte). allerdings hat disco ihren wert für viele in seinen anfängen als community-bildende underground-musik der schwulen, schwarzen und latin-minderheiten (womit dann natürlich weiße menschen geld gemacht haben, über bee gees, john travolta und gordio moroder in die letzten provinzwinkel der nicht nur westlichen welt, ohne das im einzelnen schlechtzureden). die total mainstreamisierung kann man da auch positiv bewerten: als soziales moment über klassen-, rassen- und geschlechterbarrieren hinweg, wie es das vorher noch nie über und durch musik gab. stilistisch fand ich an disco immer diesen epischen alltagstranszendenz-moment interessant, der wohl vor allem durch den beitrag des philly-souls kam (überschuss! wall of sounds, bläser & streicher unisono etc.). das alles gab es dann in der house music wieder, und das war wieder durch die gleichen minderheiten vorbereitet (tatsächlich intersektional: diesmal waren es schwule schwarze und schwule latinos). abgewürgt wurde beides (als mainstream) durch entsprechende maskulinistische bewegungen: punk und rock nach disco (new wave als sexuell ambivalenten grenzfall), hiphop nach house. bei disco war es ja eine art plattenverbrennung (disco demolition night, 12. 7. 1979), in der ein mob öffentlich das ende der ära durch tatsächliches vernichten von trägermaterial inszenierte. auch das ist natürlich eine community-bildende, sentimentale erzählung, die weit über bewertungen der studio-produktions-ästhetiken („kälte“) hinausgeht – da sind sehr viele affektive bindungen im spiel…

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