Antwort auf: blindfoldtest #28 – gypsy tail wind

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gypsy-tail-wind
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mr-badlands
Vielen Dank für Deine Zusammenstellung ! Auch wenn, themenbedingt, nicht sooo viel für mich zu holen war, gab es dennoch schöne Entdeckungen. Allerdings auch Schatten. Der „Hard Bop“ ist mir noch etwas fremd. Nach dem dritten Durchgang nun meine Eindrücke:

Eine erste Annäherung an den „Hard Bop“ ist gemacht , Danke dafür! Und es war doch mehr für mich dabei als anfangs gedacht…

Danke! Und freut mich, wenn es weniger schwierig war, als Du befürchtet hattest. Kann übrigens sehr gut sein, dass die Annäherung über die ganz grossen Klassiker einfacher gewesen wäre. Hör Dir z.B. mal ein paar Blue Note-Klassiker an, die es vielleicht in der Tube (oder zum Streamen, falls Du das machst) gibt: Horace Silver „Song for My Father“ (vom gleichnamigen Album), irgendwas aus Jimmy Smiths „Back at the Chicken Shack“, „Autumn Leaves“ von Cannonball Adderleys „Somethin‘ Else“, „Watermelon Man“ von Herbie Hancocks „Empyrean Isles“ oder Hancocks Album „Maiden Voyage“, Joe Henderson mit „Blue Bossa“ vom Album „Page One“, Lee Morgans „The Sidewinder“ vom gleichnamigen Album, den Opener von Sonny Clarks Album „Cool Struttin'“ … das ist jetzt mal nur so „off the top of my head“, es gäbe 100 Alternativen (und v.a. Aufnahmen auf anderen Laben wie Prestige oder Riverside, die einen weniger grossartigen Ruf haben aber gerade so gut und wichtig sind).

mr-badlands
#1 – Der Beginn ist etwas ungewohnt, es kommt mir so vor, als ob etwas weggeschnitten wurde, als ob es mitten im Song anfängt. Womöglich gibt es einen Song davor, der in diesen übergeht. Jedenfalls wird es ab ca. 0:28min klarer, das Thema kommt mit dem Saxophon. Allerdings zappelt mir der Bass zu viel, ein schneller Hard Bop, insofern geht das als Eröffnung auch klar. Auch wenn ich damit nicht viel anfangen kann. Obwohl das Saxophon schon etwas besonderes ausstrahlt. Die Aufnahme ist wohl einer LP entnommen, klingt zumindest sehr alt.

Auf dem Album ist da nichts davor, was dazugehören würde … die Idee kam ja schon oben auf – aber nein, für mich klingt das ganz normal: AABA-Thema, relativ Standard, die Phrase bei 0:43 öffnet das Solo. Der Bass spielt einfach das Tempo, das halt so schnell ist. Und ja, die Aufnahme ist die älteste, ich entnahm sie einer CD, die wohl via Vinyl erstellt wurde.

mr-badlands
#2 Eine Art Swing Big Band? Das Thema zu Beginn ist sehr gefällig, der Rhythmus geht nach vorne, viele Soli reihen sich aneinander. Alles wird vom „Swing“ zusammengehalten. Sehr konservativ gehalten. Bin noch nicht ganz im bft angekommen.

Das swingt, aber Swing ist das natürlich nicht (ich glaub dazu steht in den vielen Posts auf der ersten Seite auch was, ich schrieb da schon so viel, dass ich gar nicht mehr weiss, was alles …) – konservativ ist der Hard Bop ja irgendwie schon auch, aber eben dennoch auch eine Weiterentwicklung, die wiederum eine Öffnung in vielerlei Hinsicht bedeutet im Vergleich zu dem, was davor gemacht wurde (Bebop) – dazu steht oben Ausführliches, das weiss ich :-)

mr-badlands
#3 Ein Piano-Song, das ist schonmal vielversprechend. Allerdings sehr gediegen und der Pianist reißt mich nicht wirklich vom Hocker. Ich sehe gepflegtes Publikum mit feiner Garderobe. Tut nicht weh und technisch ist das hohes Niveau.

Ja was jetzt, müsste es zappeliger sein? ;-) – und nein, das tut nicht weh, klar. Die feine Garderobe hatte das Publikum dieses Herrn vermutlich in der Regel nicht an, aber ganz sicher bin ich mir da nicht einmal, früher warf man sich ja in Schale, wenn ausging …

mr-badlands
#4 Ah, sehr schönes Thema. Diese Melodie hat sich bei mir zu einem Ohrwurm entpuppt :-). Und auch das Bläserarrangement ab ca. 0:29min gefällt mir sehr gut. Ab ca. 01:02 min kommt mehr Swing rein, doch, das hat was. Das könnte die Titelmelodie einer amerikanischen Fernsehserie aus den 60ern sein. Schön! Jetzt kann es für mich richtig los gehen….

Das Thema hat definitiv Ohrwurm-Charakter, ja.

mr-badlands
#5 Oh…etwas sehr zappelig das Ganze. Ich weiß nicht so recht. Irgendwie nicht mein Fall. Piano und Trompete harmonieren gut, doch mich stört der Rhythmus. Das ist mir zu traditionell. Wenn der Rhythmus nur freier wäre…

Das ist halt wieder schnell … und klar, schnell war ein Ding aus dem Bebop (hör Dir mal ein paar Sachen von Charlie Parker auf Youtube an, nach Möglichkeit ca. 1946-49, dann verstehst Du, was ich meine – ich könnte natürlich auch überall was einstellen, aber die Hälfte davon wird die GEMA blocken und ich merk’s nicht und dann ist das alles umsonst, schon zu oft geschehen hier im Forum). Dass der Rhythmus freier sein müsste … ich weiss jetzt nicht, wie Du das genau meinst, aber freie Rhythmen gab es damals eigentlich noch nicht, lockerer gespielte schon (siehe z.B. #2, da hat der Drummer doch einen ziemlich legeren Biss). Diese rasanten Tempi sind nicht das, was man sofort mit dem Hard Bop verbindet, aber es gab sie v.a. in den Fünfzigern auch immer noch in ziemlicher Regelmässigkeit (es gab natürlich auch personelle Kontinuitäten zwischen Bebop und Hard Bop und Musiker haben ja bis heute Spass daran, so schnell wie nur möglich zu spielen – besonders wenn jemand mitspielen will, dem sie das nicht zutrauen …)

mr-badlands
#6 Das gefällt mir schön besser, nicht ganz so streng eingerahmt. Die nachdenkliche Trompete und anfangs das Vibrafon erzeugen eine melancholische Atmosphäre, die sich durch den gesamten Track zieht. Alle Instrumente harmonieren prächtig, das Piano läuft kurz davon, wird dann wieder von der Trompete eingeholt. Schöner Song!

Atmosphäre ist natürlich ein wichtiges Stichwort – sie spielte im Bebop alles in allem eine weniger wichtige Rolle … auch dazu oben schon mehr :-)

mr-badlands
#7 Wieder ein Ohrwurm-Thema zu Beginn! Das könnte was werden. Die Einleitung durch die Bläser ist gelungen, dann kurz danach eine Orgel, die schön wummert, die Gitarre dazu passt. Obwohl ich auch Gitarre spiele, mag ich dieses Instrument im Jazz nicht besonders gerne. Hier passt es ganz gut. Sehr relaxed die Nummer. Besonders gut ist die Kombination Orgel und Saxophon gelungen. Gegen Ende wieder das tolle Anfangsthema. Doch, dieser Track ist auf der Haben Seite (und kein Hard Bop, oder?).

Ist ja nur ein Bläser hier, der spielt das Ding in Unisono mit der Gitarre und der Orgel … zur Definitionsfrage schrieb ich schon ganz viel weiter oben – ich bin wie gesagt für eine breite Definition von Hard Bop, die auch sowas wie „Out to Lunch“ oder „A Love Supreme“ noch umfässt – und die Abgrenzung zum Soul Jazz finde ich ganz besonders schwierig, gerade wenn, wie hier, Personal zugange ist, das auch wirklich modernen Jazz (aka Bebop/Hard Bop) machte und nicht direkt aus dem Rhythm & Blues kam.

mr-badlands
#8 Ein ungewöhnlicher Anfang, sehr verschleppt, eine melancholische Bläserfraktion, mit sehr interessantem Rhythmus. Mir gefällt der Gegensatz zwischen den traditionellen Melodien der Bläser und dem teilweise recht freien Piano. Das ist schon eher mein Geschmack, ein paar Ecken und Kanten, nur so wirklich traut sich das Piano dann doch nicht aus seiner Haut. Doch auch dadurch wird Spannung erzeugt. Auch der Bass galoppiert freier mit, bis dann gegen Ende die Bläser wieder zur Ruhe gemahnen. Interessant arrangiert und ungewöhnlich! Sehr gut!

Das Piano macht alles genau richtig … aber ich weiss, dass das nicht allen gefällt. Man spricht von composer’s piano – ich mag das z.B. auch bei Duke Ellington enorm gerne.

mr-badlands
#9 Viele Instrumente, sehr variables Tempo, immer mal wieder blitzt was besonderes hervor, z.B. die Gitarre oder die Trompete. Insgesamt eher gediegen und vielleicht einen Tick zu lang für meinen Geschmack.

So viele sind das gar nicht … sechs, um genau zu sein. Siehe meine bisherigen Kommentare für Weiteres.

mr-badlands
#10 Oh, das geht ja gut nach vorne. Sehr flotter Drive, die Trompete und das Saxophon gefallen mir ganz gut. Der Rhythmus reißt es raus.

Yep. Das dicht verzahnte, und auch hier wieder die Erzeugung einer Stimmung … obwohl das hier auch kein Hard Bop ist, wenn #7 keiner sein darf ;-)

mr-badlands
#11 Ein schöner Blues mit überzeugendem Piano. Das sagt mir zu, Bass und Schlagzeug halten sich zurück, der Star ist der Pianist. Ein perlendes, lyrisches Piano, welches in knapp 4 Minuten alles sagt. Wer ist der Pianist?

Wer das ist? Das findet vielleicht ja noch jemand heraus, sonst dann in der Auflösung ;-)

Und eigentlich auch kein richtiger Hard Bop, aber ist aus der Zeit und gefällt mir – bin gespannt, ob dazu auch noch kritische Reaktionen kommen (ich selbst hätte den Track bzw. den Pianisten vor 15-20 Jahren wohl als seicht und klischiert abgekanzelt).

mr-badlands
#12 Relative monotones Piano und ein Bass, der sich was traut. Doch der Star ist das Saxophon. Toll, wie hier Spannung erzeugt wird, dieses anspielen, um dann wieder abrupt abzubrechen, diese Andeutungen, das Unvollendete im Raum stehen zu lassen, so als ob nichts dabei wäre. Der Rahmen ist lockerer, die Perspektive weiter. Ein sehr toller Ton, da stellt sich für mich auch gleich die Frage: Wer ist das? Super!

Die Beobachtung zum Stehenlassen des Unvollendeten gefällt mir sehr gut. Der Herr hier ist enorm sperrig und gerade darin liegt für mich sein grösster Reiz. Wirklich gross herausgekommen ist er damit natürlich nicht, aber so spielen können wäre natürlich schon genug für ein ganzes Leben!

mr-badlands
#13 Sehr getragen, mit einem eher konventionellen und doch angenehmen Saxophon. Gegen Ende swingt es dann leicht und wird etwas voller. Ganz nett.

Das ist eine Trompete … und hier geht es natürlich um den Ton, und wieder um eine melancholische Grundstimmung, die aber wärmer ist als z.B. in #6. Das Intro wird noch ohne festes Metrum gespielt, und wenn die Rhythmusgruppe dann einsetzt … die hohe Kunst, im langsamen Tempo zu swingen … gegen Ende gibt es dann „double time“, was eigentlich meist eher ein billiger Trick ist, um in einer Ballade die Intensität zu steigern – aber Tricks hat der hier gar nicht nötig.

mr-badlands
#14 Ganz interessanter Beginn. Ein langsamer Marsch oder eher ein Trauermarsch? Im Anschluss wird dann etwas freier musiziert, das Saxophon gefällt mir noch am besten.

Stimmung, Atmosphäre. Es gibt zwei Saxophone – im Intro zu hören zuerst das Baritonsax dann setztn hinter der Posaune auch das Tenor ein, im Thema hat dann immer noch das Bariton den Lead – das klingt auch ein wenig orientalisch (bzw. so, wie man sich’s damals vorstellte). Das Tenor umspielt dann das Thema, übernimmt bei 1:01 für ein paar Takte (die „Bridge“) und setzt dann bei 1:24 zum ersten Solo an, dicht am Thema, das in der Struktur im ersten Chorus aufrechterhalten wird, ab 1:44 gibt es wieder die Bridge im straighten 4/4, der zweite Chorus ist dan durchgängig in swingendem 4/4.

mr-badlands
#15 Das gefällt mir wieder als Gesamtpaket sehr gut. Eine tolle Orgel, die furios startet, sehr pulsierend. Jan Hammer ist das natürlich nicht, doch es erinnert mich etwas an ihn. Grundlage ist ein Blues, der hier sehr schön flott dargeboten wird. Gitarre und Orgel harmonieren sehr gut. Das erinnert mich irgendwie an einen Jahrmarkt mit seiner euphorisierenden Darbietung. Auch sehr gut gemacht!

Jan Hammer … ich weiss gar nicht, ob ich den irgendwo so richtig an der Orgel im Ohr habe (habe schon lange kein Mahavishnu Orchestra mehr angehört – ich mag zwar die ersten zwei Alben gerne, aber das ist dann eher Musik, die mich etwas nervös machen kann, wenn ich sie im falschen Moment auflege). Der Herr hier zählt auch nicht zu den bekanntesten Exponenten des Instruments, aber er kam gerade noch rechtzeitig, um dieses feine Album gene Ende der guten Jahre aufzunehmen … ich kenne von ihm auch noch viel zu wenig.

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