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Abschluss
Aberwitzig, wie viel Material JB veröffentlicht hat! Die ausgezeichneten Polydor-Compilations fassen die Höhepunkte zusammen. Wenn JB das geordnet auf LPs veröffentlicht hätte, ergäbe das gut und gerne ein Album pro Jahr, das erstklassiges Material enthalten hätte. Stattdessen war die Veröffentlichungspolitik bis in die 70er Jahre so, dass JB pausenlos Singles auf den Markt warf, denen oft mehrmals im Jahr schlampig zusammengestellte, mit B-Ware aufgefüllte Alben hinterhergeworfen wurden. Gibt es „das“ definitve JB-Album? Vielleicht eins der Live-Alben, At The Apollo 1963 (gut) und 1968 (besser), Live in Dallas 1968 (am besten) oder Love Power Peace / Paris 1970 (heavy). Sex Machine ist ein Gebastel aus Live-Aufnahmen und Studio-Tracks, die nachträglich mit Applaus aus der Dose versehen wurden . Eigentlich typisch … Aber Studio-Alben? Eher nicht, oder? Das ist schade, zumal sich ab Mitte der 60er das Album als Format im Pop durchsetzte. Aber JB war viel mehr ein Live-Künstler als ein Studiokünstler. Selbst die Studioaufnahmen sind oft spontan entstanden und er-improvisiert worden. JB hat sich ja nicht zuhause ans Klavier gesetzt und einen Song komponiert. So funktionierte das bei ihm nicht.
Im Album-Format ist JB eher ausnahmsweise mal angekommen. Das Album The Payback von 1974, ursprünglich eine Doppel-LP, kenne und habe ich. Ausgezeichnet, auch gut produziert, gleichzeitig in seiner Länge mit teils über 10-minütigen tracks aber auch sehr ambitioniert. Der Titeltrack ist mit seinem unwiderstehlich schleppenden groove eine großer Klassiker in JBs Oeuvre.
Das auf The Payback folgende Album Hell kenne ich nicht vollständig – und offen gesagt möchte ich es eigentlich auch nicht kennen. Wahrscheinlich ist es in Teilen sogar sehr gut. Aber es gibt darauf eben auch Remakes alter Stücke und eine Aufnahme von When The Saints Go Marching In, das alles auf Doppel-LP-Länge ausgewalzt. Offenbar eher eine Ansammlung einzelner Tracks als ein Album – wie so oft bei JB.
Die Jahre 1971-74 werden auf der ausgezeichneten 2-CD Compilation
Make It Funky – The Big Payback: 1971 – 1974
dokumentiert. Das ist dann auch wieder die gute alte Band um Fred und Maceo dabei.
Ab Mitte der 70er ging es dann aber mit JB bergab. JB selbst macht in seiner Autobiografie seine Plattenfirma Polydor dafür verantwortlich. Aber es ist typisch für JB, dass er Erfolge für sich selbst reklamiert, dass an Misserfolgen aber andere Schuld sind. Was JB wohl zu schaffen macht, ist der Erfolg von Disco. Ich vermute, dass dies nicht nur den smoothen, erotisch ambivalenten, eleganten, urbanen und professionell produzierten Sound von Disco betrifft, sondern auch die Art, wie diese Musik gehört wird: nämlich von Schallplatte in der Disco. Das alles steht im Widerspruch zu der virilen Bühnensau James Brown, der mit seiner spektakulären Tanzakrobatik und einer vielköpfigen Band den Saal live zum Kochen brachte.
Und wenn es nicht Disco war, was ihm das Wasser abgrub, dann waren es andere Entwicklungen in der black music jener Zeit, für die z.B. Curtis Mayfield, Issac Hayes, Stevie Wonder oder Marvin Gaye stehen, der crossover von Sly Stone und George Clinton, der Philly Sound und andere Musik, die eine ganz andere sophistication hatte als die von JB. Und vielleicht ging JB nach unglaublichen 20 Jahren hardest work im showbusiness auch einfach die Luft aus.
Hörbar ist das auch auf der ansonsten ausgezeichneten Compilation The J.B.s – Funky Good Time: Auf den letzten tracks von 1975-76 versucht JB mehr schlecht als recht wie Disco zu klingen, auf Future Shock werden pseudo-futuristische Halleffekte eingebaut, ohne dass das Stück einen packenden groove zu bieten hätte.
Das letzte Stück Everybody Wanna Get Funky One More Time ist nur noch ein Abklatsch von JB. Da hatten ihn die meisten seiner Musiker auch schon verlassen. Die Band ist mit JB nur noch zu sechst, Bläser gibt es gar nicht mehr.
Aus der Zeit danach kenne ich von JB so gut wie nichts mehr. Der Absturz war wohl dramatisch und einem Menschen wie JB, dessen Selbstverständnis es ist, der Größte zu sein, setzt das offenbar sehr zu.
Es ist ein Kunststück des JB-Biografen RJ Smith, wie er einerseits respektvoll von dem Film The Blues Brothers spricht und gleichzeitig erkennen lässt, dass er ihn für einen platten Klamauk hält, in dem zwei von ihm ansonsten geschätze Komiker alte R&B-Hits verbraten und Klischeevorstellungen von Afro-Amerikanern breittreten. Denn einen Verdienst hat The BB: Er holt JB wieder aus der Versenkung.
Später bekennt sich die Generation Hip Hop zu JB, das beschert ihm ein kleines comeback und zumindest werden seine alten Platten wieder verkauft. Die Compilation In The Jungle Groove erscheint 1986 und enthält den berühmten Funky Drummer-Break (ab ca. 5:20), die am häufigsten gesampelten 20 Sekunden der Popmusik.
Ansonsten fristet JB aber das Schicksal eines oldie acts, der mehr in der Boulevardpresse präsent ist als auf dem Musikmarkt. Mit Living In America aus Rocky IV hat JB 1985 nochmal sowas wie einen Cameo-Auftritt. Das Stück ist aber weder von ihm geschreiben noch produziert noch mit seiner Band aufgenommen, auch ziemlich auf Mainstream getrimmt, aber einer seiner größten Hits. Ist das tragisch oder toll?
Vielleicht war JB auch einer, der nicht erkennen konnte, wann sein Zenith überschritten war und er einfach mal etwas kürzer hätte treten sollen. Vielleicht war er auch schlecht beraten – wahrscheinlich war er aber einfach beratungsresitent. Schließlich war er in seiner Vorstellung sowieso der Größte – wozu braucht der Größte Beratung? Und dann kommt eins zum anderen, Probleme mit dem Finanzamtr, den Frauen, dem Gesetz. Am Ende JB fängt ausgerechnet genau mit dem an, was er seinen Musikern immer verboten hat – Drogen. Und so dreht sich die Spirale immer weiter nach unten. Tragisch, auch weil dies so voyeuristisch publiziert wurde und sich dieses Bild von JB so sehr in der öffentlichen Wahrnehmung festsetzte.
Wie auch immer: Gerade in all seiner Widersprüchlichkeit ist James Brown faszinierend. Es ist gerade auch diese Widersprüchlichkeit, die ihn ausmacht. Und mir kam ein Gedanke: JB wuchs in einer absurden, in sich völlig widersprüchlichen Umgebung auf. In einer Gesellschaft, die von sich behauptet, Freiheit und Chancengleichheit für alle zu bieten, aber genau das einem großen Teil dieser Gesellschaft vorenthält, wenn es sein muss mit Gewalt. Als Angehöriger dieser Gesellschaftsgruppe steht man vor der Wahl, entweder zu kuschen oder mit dem Kopf gegen die Wand zu rennen, also sich zwischen Pest und Cholera zu entscheiden – und selbst innerhalb der black community stand JB als jemand aus vermurksten Familienverhältnissen und als Vorbestrafter nochmals am Rande. Vielleicht ist JBs Leben unter diesen Bedingungen gar nicht so widersprüchlich, sondern im Gegenteil – es passt ganz genau. Nicht JB war widersprüchlich sondern die Situation, in der er lebte.
RJ Smiths JB-Biografie The One möchte ich wärmstens empfehlen. Es gibt sie zwar nur in Englisch und ich bekenne, dass mir dies die Lektüre nicht leicht gemacht hat und ich das Buch auch zu schleppend und zerstückelt gelesen habe. Es ist jedoch beeindruckend, wie RJS das Leben JBs in den Kontext der Geschichte Black Americas einbettet und wie er die Ambivalenz der Figur JB darstellt. Das alles mit einer distanzierten Sympathie für JB, ohne dass er zu eindeutigen Bewertungen oder Inerpretationen kommt. Das bleibt dem Leser selbst überlassen – und damit hat man genug zum Nachdenken.
Gerade mal 380 Seiten (+ 50 Seiten Fußnoten!), dicht und athmosphärisch aber offenbar auch sehr gut recherchiert geschrieben. Wahrscheinlich sowieso sehr schwer zu übersetzten. Schafft man aber auch auf Englisch, lohnt sich und hat mein Verständnis von Black Music / Black Culture / Black America ein gutes Stück verändert.
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„Etwas ist da, was jenseits der Bedeutung der Worte, ihrer Form und selbst des Stils der Ausführung liegt: etwas, was direkt der Körper des Sängers ist, und mit ein- und derselben Bewegung aus der Tiefe der Stimmhöhlen, der Muskeln, der Schleimhäute, der Knorpel einem zu Ohren kommt, als wenn ein und dieselbe Haut das innere Fleisch des Ausführenden und die Musik, die er singt, überspannen würde.“ (Roland Barthes: Die Rauheit der Stimme)