Antwort auf: Ich höre gerade … Soul!

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soulpope
"Ever Since The World Ended, I Don`t Get Out As Much"

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friedrich

soulpopeDie Genesis der Soulalben magst Du richtig sehen …. es ging ja vornehmlich um „lucky punches“ aka Hits und so ein solcher gelang baute man dann ein Album mit Füllmaterial (…) drum herum …. darüberhinaus waren ja die lokalen Radiosender auf das Abspielen von 45ern konzentriert (…) und die Jukeboxes hierauf konzipiert …. Aretha hatte zu diesem Zeitpunkt bereits 6 mehr oder minder erfolglose 6 Jahre mit Columbia – welche evidenterweise Nichts mit ihr anzufangen wussten – auf dem Buckel und so kam der Wechsel zu Atlantic nicht überraschend …. Otis Redding hatte ja das Wort für die männliche Soulgilde übernommen und so war es auch an der Zeit einen Königin zu küren …. der eigentliche Knaller war die Entscheidung Aretha nach Muscle Shoals in die FAME Studios zu verfrachten und sie dort dem künstlerischen Diktat von Rick Hall und der aus weissen Landeiern bestehen Kapelle zu überlassen …. Der erste Tag ging super – Dan Penn und Chips Moman hatten „Do Right Woman – Do Right Man“ mit ins Studio gebracht und am Ende des Arbeitstages hatte man die epische Version von „I Never Loved A Man“ und eine halberte Aufnahme von „Do Right Woman“ im Kasten …. dann kam die grosse Stunde des Franklin Beischläfers Ted White, welcher rebellierte (gab es nicht genug Alkohol am Land ?) und schlussendlich Aretha zur Landflucht aus Muscle Shoals motivierte …. Atlantic Mastermind Jerry Wexler hatte also 1,5 Songs und beschloss einfach einseitige Acetate mit „I Never Loved A Man“ an die Radiosender zu schicken …. der Song schlug ein wie eine Rakete und die kommerzielle Nachfrage war enorm – dies war Druck genug auf das erfolgsgeile Franklin Lager und so gab Aretha (bzw ihr Umfeld) schließlich nach, das Album doch mit den Muscle Shoals Musikern – allerdings in New York – einzuspielen …. Es entstand ein epochales Soulalbum und es sollte – trotz einiger trefflicher Folgealben – ein (der ?) Meilenstein in Aretha Franklins künstlerischen Schaffen werden. Der Beweis daß auch Soulalben Verkaufsrenner sein können belebte dieses Format ungemein und öffnete in Folge die Tür für Konzeptalben (für den weiblichen Soulpart von Millie Jackson in den 70ern auf den Höhepunkt getrieben – übrigens aufgenommen in …. Muscle Shoals ….).

Thx @soulpope für die Erläuterung! Ja, Pop – nicht nur black music – war lange Zeit ein Singles-Geschäft. Aber selbst die frühen Elvis-Alben der 50er sind durchgehend gut, auch wenn diese nur Ansammlungen von einzelnen tracks waren, ohne dass ein größeres Konzept dahinter steckte. Was wurde davon im Radio und in den Jukeboxes gespielt? Wahrscheinlich auch nur die Singles. Wahrscheinlich sind das zufällige Glücksfälle und auch I Never Loved liest sich nach Deiner Schilderung eher wie ein Unfall, der so eigentlich nicht beabsichtigt war. Zufall, Glück, das Aufeinandertreffen großer Talente unter günstigen Umständen? Aretha stammt aus Detroit, nicht wahr. Muscle Shoals wiederum ist im tiefen Süden. Eine Schwarze Frau aus einer Industriestadt im Norden trifft im ländlichen Süden auf Weiße Männer, zusammengebracht von dem New Yorker Juden Jerry Wexler. Was für eine Konstellation! Ich erwähne das auch, weil sowohl James Brown als auch sein Biograf RJ Smith immer wieder betonen, was für eine kulturelle und soziale Bedeutung es hatte, nicht nur entweder schwarz oder weiß zu sein, sondern auch entweder aus dem Norden oder dem Süden zu stammen. Noch mal zu I Never Loved A Man. Ich deutete es an: Wenn man will, kann man durchaus erkennen, dass auch dieses Album eigentlich kein übergeordnetes Konzept hat. Aber es ist eine Sammlung verschiedener Stücke von R&B, Pop, Gospel usw., die alle mindestens gut sind und eine schöne Mischung ergeben. Egal, was Aretha singt, es klingt großartig und wenn dann noch eine tolle Band und ein guter Produzent dazukommen hat man damit ein Meisterwerk. Habe ich spät bemerkt, aber besser spät als nie. Millie Jackson habe ich noch gar nicht auf meiner musikalischen Landkarte.

Zu Thema Elvis bin ich jetzt kein (Aus)kenner, aber da er ja ab 1956 durchgehend bei RCA unter Vertrag und ergo schon in den 50ern kein „One Hit Wonder“ war ergab das wohl den Boden für stimmigere LP Produktionen …. gespielt in den Jukeboxes sicher nur 45er, in den Radiostationen vorwiegend nut 45er und LP Tracks nur falls die nicht als 45er ausgekoppelt wurden ….

Nord/Süd und Schwarz/Weiss spielten in den 60er sicherlich polarisierenden Rollen, aber selbst wenn man 20 Jahre später nach Muscle Shoals kam wie der Autor dieser Zeilen war es (noch immer) gut vorstellbar, wie dieser rurale „Oasch der Welt“ auf Menschen aus den Großstädten des Nordens gewirkt haben muss.

Das Album als geglückten Betriebsunfall zu bezeichnen ist so falsch nicht und auch Coverversionen würden hier eher für geringe Kohärenz sprechen, aber Aretha hat diese Songs dermassen vereinnahmt daß diese wie neue Kunstwerke wirken …. legendär der Ausspruch von Otis Redding über Arethas Version von „Respect“: „A girl took this song away from me“ …. ein Konzeptalbum ist es sicherlich nicht, aber es ebnet retrospektiv gesehen den Weg für die Kunstgattung (im Soul), da hier die Produzenten Rick Hall und Jerry Wexler schlussendlich das künstlerische Ziel durchsetzen ….

Millie Jackson ist sicherlich eine vertiefende Entdeckungsreise wert, als Ansatz würde sich hier das Album „Caught Up“ besonders gut eignen, denn damit kann man sowohl die vorgehenden als die folgende Alben besser einordnen ….

P.S Wenn man ganz präzise sein wollte so müsste  dieses Album

Tami Lynn„Love Is Here And Now You`re Gone“ (Cotillion)         1972

als erstes weibliches Soulkonzeptalbum angesehen werden …. erreicht aber die Güte von Millie Jacksons Epen nicht annähernd ….

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  "Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit" (K. Valentin)