Antwort auf: blindfoldtest #27 Mr Badlands

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vorgarten

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na dann:

1 – eine digital arg komprimierte rahmentrommel mit schellen, wahrscheinlich aus dem nahöstlichen raum. ein paar rhythmen werden vorgeschlagen und wieder aufgegeben. dann kommt eine klarinette, ein gähnender bass und eine violine (bratsche?) dazu, letztere hält sich eher nicht an westliche konventionen. der raum wird voller, schlagzeug, flöte. ein thema, ein orgelton und eine hektische perkussion sorgen für etwas spannung. keine ahnung, was das ist, vielleicht ein fusion aus jazzern und fernöstlichen traditionalisten, mir bleibt das leider zu illustrativ.

2 – bassklarinettentrio, passt ganz gut nach #1. hier wird auch mit verschiedenen rhythmen gespielt und es reicht auch hier ein kleines thema. der swingteil verlangsamt und beschleunigt sich, das ist schon irgendwie energy music, die aus ziemlich vielen töpfen nascht und dabei im wesentlichen spielfreudig sein will. so richtig haut’s mich nicht vom hocker, dafür ist es mir auch zu gepflegt und fett aufgenommen, für liegesessel, mit platz für wippende füße. dachte kurz an sclavis, aber das ist bestimmt neuer, vielleicht cleanfeed-zeugs.

3 – gefällt mir besser. klingt europäisch, freier jatzzz mit tänzerischen und performativen elementen, die tröten und das geklapper der kleinen dinge könnte auf han bennink hinweisen, vielleicht ist das auch schlippenbach am klavier. dramaturgisch überzeugt mich das auf anhieb, mit dem tänzerischen beginn, dem kurzen innehalten und der angeworfenen maschine, die die angezogenen elemente wieder nach außen schießt. „free mandela“ – das begrenzt die aufnahme immerhin auf vor 1990. mit dem titel gibt es was von irène schweizer. hier ist @gypsy-tail-wind der fachmann, denke ich.

4 – ein verschrobener blaskappellenwalzer, der ordentlich (sehr ordentlich!) ins stolpern gerät. komisches schlagzeug. 2 trompeten? posaune, sax. so spielt man wohl erst ab seit den 1990ern. bisschen achselzucken von meiner seite. will nicht viel, macht aber viel, schön, dass es den beteiligten spaß bereitet. ah, dann noch ein thema, könnte auch was afrikanisches sein. da muss wieder gypsy ran (europäischer freejazz mit afrikabezug). posaunensolo gefällt mir dann plötzlich doch ganz gut. schön auch, wie sie wieder ins thema findet. baritonsax dagegen ziemlich langweilig.

5 – weiter gehts mit dem geklapper. sehr schönes (auch afrikanisches?) thema, ist auch alles sehr gedrechselt, macht mir aber spaß. schöne aufnahme, trocken und direkt. im gegensatz zu 4 haben die musiker hier sofort biss, schlagzeuger gefällt mir auch viel besser. das altsax kenne ich irgendwoher, glaube ich. super drumsolo, aber auch in der begleitung bleibt es kreativ, was sich sehr sexy am stoisch bleibenden bass reibt. bestes stück bisher.

6 – sprung in einen live-höhepunkt, das publikum hat scheinbar schon ordentlich grund zum feiern gehabt, ich kenne das natürlich, komme aber gerade nicht drauf. das ekstatische klavier verwahrlost, kollektive klapperorgie, ein paar petrowskysche altsaxschreie. schon vorbei. schwierig, solch einen moment zu isolieren und hier einzubinden.

7 – wieder so ein afrikanistisches zirkelthema, altsax-klavier-duo, letzteres nimmt sich gleich abdullah ibrahim zum vorbild, macht dann aber wahnsinnig viel, ohne auch nur ein bisschen an den harmonien zu arbeiten. bisschen unlässig. die kleinen störungen übernimmt dann das sax, wirkt aber wie eine verordnung. ist aber kurz & tut nicht weh.

8 – viel lässiger. klingt nach späten 70ern, frühen 80ern. unschön aufgenommener akustikbass, der aber äußerst schön bearbeitet wird. das auf-den-akkorden-(eher dem akkord)-hängen verweist sehr deutlich auf mal waldron, den ich hier auch ganz stark vermute. das wird alles ganz ungehetzt immer spannender und bekommt irgendwann etwas richtig drängendes, die harmonien kippen, der rhythmus wird alle paar takte anders betont, und der bassist macht immer genau das richtige. zweiter höhepunkt hier, obwohl es wirklich nur eine miniatur ist.

9 – freiheitsprogrammmusik, der leader erzählt uns die geschichte selbst, booker ervin erzählt sie weiter. ich bin kein großer fan dieser phase mit den hauseigenen „beethoven“-arrangements, aber biss hat das natürlich auch. und wie.

10 – der nächste großmeister, und der (wie wir wissen) zentrale track dieses bfts. schön, das mal wieder zu hören, bei mir ging das immer auf der ASCENSION-doppel-cd unter, so richtig eigenständig wahrgenommen habe ich es erst kürzlich. der afro-gesang ist natürlich cultural appropriation, der singende, klappernde, klingelnde gast kommt aus new orleans und nervte so lange in der lokalen szene mit seinem exotischen instrumentarium, bis er ein calypso quartett gründete, an die westküste zog und neue instrumente erfand, wie ich gerade lese. super, wie coltrane den einbindet, wartet, bis der vortrag zu kratzen anfängt, um langsam die modale magie drum herum zu weben. ein puls entsteht, und dann wird aufgefahren. sehr schön hier donald garretts angeschrägte bassklarinette, die sanders mit seinen flattersounds verlängert, bis sie alle (nur) ein paar zentimeter abheben. eine muschel höre ich auch noch. etwas hilflos hier der pianist (merkwürdig die „falschen“ akkorde nach der 8-minuten-marke), so recht mag er dem sonoritätenkabinett nichts hinzufügen, bis er den solo spot bekommt, den er allerdings sehr lässig für die eigene geschichte freiräumt. was hätte seine nachfolgerin hier gespielt? super, die von der conga aufgegriffene blockakkord-ratlosigkeit, dann greift lewis nochmal zur muschel und peppt die klaviertonalität auf, das solo dauert entschieden zu lange, aber alles groovt so lässig vor sich hin, das hat ja auch was. die schläge aufs metall sind garantiert von sanders. so we sing this melody. verrückt, wie sehr sich der leader hier zurück hält. was für ein schöner, entspannter trip.

11 – das ist wahnsinnig toll, macht mich aber auch wahnsinnig, weil ich nicht darauf komme. das vibrafon klingt nach ernest dickerson, aber das idiosynkratische klavier klingt nicht nach ra oder hill, eher nach ran blake. das scheint mir ein standard zu sein, aber die klavierbegleitung lenkt mich auf tolle weise ständig davon ab. i fall in love too easily? ziemlich genau mein ding, ich hab das auch schon mal gehört, davon bin ich überzeugt. noch ein tolles schlagzeugsolo. vielleicht weiß das ja jemand anderes auf anhieb. wahnsinnsende, sehr riskant. toll.

12 – das schwächste stück auf einem sehr schönen album, aber natürlich tricky ausgewählt, weil hier nur die hälfte der musiker mitspielt. anfang bisschen langweilig, viel pedal, dazu die trademark-gletscherklarheit des labelsounds. man hört die notenblätter rascheln und die stoffhosen am stuhlbein schaben. die luftigen grooves, die bei vollständigkeit des ensembles noch mitreinspielen, braucht es für mich leider. mein lieblingsstück vom album würde gleich danach folgen.

13 – das mag ich. scheint ein quasi auskomponiertes solostück zu sein, von dem hier zwei takes übereinandergelegt wurden, so dass sich der eindruck von einander verfolgenden linien ergibt? schön schnörkellos gespielt, bestimmt eigentlich kein akustikspezialist, er hat keine wirkliche tonschönheit (wie der herr – auf etwas anderem instrument – vor ihm), aber die direktheit hat was. irgendwas schleift im hintergrund, das ist ein aufgeschnappter moment, mit dem man ein bisschen herumgespielt hat. natürlich keine ahnung, von wem das ist. aber ein schöner ausklang, der nochmal in eine andere richtung geht.

vielen dank für diesen schönen mix, der vor allem eine sehr stimmige dramaturgie hatte. aber so richtig aus afrika ist nichts dabei, oder? bin gespannt, was die anderen schreiben werden.

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