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Zürich, Tonhalle-Maag – 07.05.2018
Grigory Sokolov – Klavier
Joseph Haydn
Sonate (Divertimento) Nr. 32 g-Moll Hob. XVI:44
Sonate (Divertimento) Nr. 47 h-Moll Hob. XVI:32
Sonate Nr. 49 cis-Moll Hob. XVI:36
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Franz Schubert
4 Impromptus D 935
Am Montagabend in trat Grigory Sokolov in der Tonhalle-Maag auf – er tritt seit längerem jährlich in Zürich auf, gehört habe ich ihn leider erstmals letzte Saison (und einige Jahre davor einmal in Luxemburg), und diese Konzerte sind Ereignisse von solcher Güte, dass ich es sehr bedaure, nicht wenigstens in den inzwischen sieben oder acht Jahren, in denen ich mich mit klassischer Musik beschäftige, jedes Mal hingegangen zu sein. Haydn und Schubert standen dieses Mal auf dem Programm, ich freute mich vor allem auf den Schubert, hatte bei Haydn meine übliche leise Skepsis in Sachen modernes Instrument bei mir, als ich meinen inzwischen üblichen Platz in der ersten Reihe einnahm.
Entgegen der Hoboken-Numerierung spielte Sokolov die drei Sonaten von Haydn in chronologischer Reihenfolge, Nr. 32 g-Moll Hob. XVI:44 entstand (möglicherweise gemeinsam mit Nr. 20 B-Dur Hob. XVI:18) in den Jahren 1771–73, die beiden zweisätzigen Sonaten mit jeweils einem stilisierten Menuett als zweiten Satz seien von persönlichem, melancholischem Charakter und stünden den Sonaten Carl Philipp Emanuel Bachs am nächsten, so Marc Vignal in seinen Liner Notes zur Haydn-Box von Ronald Brautigam. Die Sonate Nr. 47 h-Moll Hob. XVI: 32 erschien 1776 mit fünf weiteren (Nr. 42–47, Hob. XVI:27–32, entstanden zwischen 1765 und 1773), die Sonate Nr. 49 cis-Moll Hob. XVI:36 erschien wiederum in einem Sechserpaket im Jahr 1780 (Nr. 48–52 und Nr. 33, Hob. XVI:35–39 und 20) und entstand wohl nach 1778.
Sokolov spielte die Sonaten wie zu erwarten war ohne Unterbrüche – ein paar Sekunden für die Huster und die Raschler und ohne Applaus ging es direkt weiter, der Saal wie üblich stark verdunkelt. Aufhebens gemacht wird allein um die Musik, und die – gerade der Haydn – hatte es in sich. Wie zart das klang, welche Nuancen Sokolov diesen Stücken entlockte, wie leise er zu spielen vermochte – und wie fein noch die schnellten Passagen umgesetzt waren, die Töne förmlich wie Perlen an einer Schnur, um die alte Metapher aufzugreifen, und jeder Ton stets perfekt abgesetzt. Das Pedal kam angemessen spärlich zum Einsatz, der Effekt war in der Tat fast jener eines Hammerflügels. Besonders schön fand ich dabei die in der Mitte erklingende Sonate in h-Moll – auch hier gibt es ein Menuett, und zwar an zentraler Stelle, wo gerade in einer Moll-Tonart der langsame Satz erwartet würde. Die Dramaturgie der drei Sonaten war in sich perfekt, mit der zweisätzigen eher langsamen g-Moll zum Auftakt, die mit einem etwas rascheren Satz endet, dann der h-Moll-Sonate mit einem langsameren Allegro zum Auftakt, einem Menuett in der Mitte und einem schnellen Finale (Presto), worauf die wiederum dreisätzige cis-Moll (die Tonart wurde später durch die Mondschein-Sonate populärer) folgte, die mit einem Moderato öffnet und auf einen rascheren Mittelsatz ein Menuett folgen lässt, wieder im Moderato.
Nach der Pause folgten dann die zweiten Schubert-Impromptus – auch sie perfekt inszeniert, ohne viel Effekte, mit höchster Konzentration. Es geht Sokolov, und das macht ihn wohl so besonders, einzig und allein um die Musik, alles andere interessiert ihn nicht. Den letzten Ton lässt er kaum verklingen, erhebt sich, verneigt sich und geht ab. Das wiederholte sich dann bei den üblichen Zugaben, von denen ich die erste (ein Chopin-Scherzo?) erkannte, und wohl die vierte auch wieder, aber ohne sagen zu können, was für ein Stück das war. Sechsmal kam er zurück, setzte sich hin und spielte weiter, ohne zu warten, bis der Saal still war, erhebte sich und ging wieder. Dabei ist er natürlich ein echter Star mit einer ordentlichen Aura, der eben all den Quatsch nicht nötig hat. Zum Konzert im Frühling 2019, das gerade angekündigt wurde, werde ich natürlich auch wieder gehen, keine Frage (und denselben Platz habe ich auch wieder, wie ich gestern erfuhr).
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