Antwort auf: Cecil Taylor

#10465009  | PERMALINK

wahr

Registriert seit: 18.04.2004

Beiträge: 14,806

Der Tod von Cecil Taylor und die anschließende Rezeption hier im Forum und in den Magazinen hat mich aufmerksam gemacht und mein Interesse geweckt, mich mal mit ihm zu beschäftigen. Ich konnte mich noch an eine Titelstory über ihn in der Wire erinnern, wo er auch ein bisschen unfaires Zeug zu Mick Jagger und den Stones gesagt hatte, aber ich fand es schon erstaunlich genug, dass so ein freier Jazz-Mann wie Taylor überhaupt Lust hatte, sich die Stones auf ihrer ersten US-Tour anzusehen. Ich las etwas über „Conquistador!“, Taylors Band-Platte von 1966, und beschloss, mir die mal zu besorgen. Bei Discogs gab es sie recht günstig bei einem Händler, bei dem ich eh noch andere LPs zu bestellen hatte, nämlich ausgerechnet was von den Stones („Black And Blue“) und weniger ausgerechnet was von Poly Styrene („Translucent“). Ich erwischte ein merkwürdiges Exemplar von „Conquistador!“, das aus einer deutschen tadellosen Pressung 70er-Jahre-Teldec-Pressung bestand, die aber in einer originalen US-Hülle steckte. Diese Version ist auf Discogs dokumentiert, offenbar ist da also jemand aus Deutschland an die Originalhüllen gekommen und hat sie einfach für diese Press-Version benutzt.

Ich hatte ein bisschen Angst vor den atonalen Clustern, von denen öfters im Zusammenhang mit Cecil Taylor geschrieben wird und war überrascht, wie direkt einen die Musik mitreisst, wie sie immer wieder den Hunger antreibt wissen zu wollen, wie es weitergeht. Cecil Taylos knallige Tastenkaskaden kamen mir schon beim ersten Hören unmittelbar gut, folgerichtig und vertraut vor. Vielleicht mein Rückhören seines Einflusses auf die Musik im allgemeinen? So weit von -ichsachma- Jerry Lee Lewis scheint mir das gar nicht entfernt zu sein.

Wenn man vom Rockgetöse kommt, leuchtet es unmittelbar ein, wenn einfach mal in die Tasten gebrüllt wird. Bammbamm bamm bammbammbamm. Ansonsten kann Taylor natürlich weitaus mehr, seine Klavierläufe können Lichtjahre überbrücken und gleichzeitig so subtil sein wie ein geladenes Elektron. Der Sound hat eine anthrazidene Färbung – ähnlich dem geheimnisvollen Coverbild – ist dunkel und etwas unscharf und verbasst. Mir gefällt das, weil eben dadurch nicht der Eindruck entsteht, als würde hier unter technisch optimalen Bedingungen einfach eine weitere Blue Note-Platte von Van Gelder routiniert in glanzvollem Sound bei einer gepflegten Tasse Kaffee serviert. Stattdessen legt sich feiner hartnäckiger Schmutz auf die Instrumente, wie auf die Umgebung eines stark befahrenen Zubringerknotens. Der Bass wirkt teilweise wie ein noch etwas bassigerer Ausschlag allgemeinen Gegrummels, das sich weigert, einen festen Ort einzunehmen. Sowas zieht magisch an. Cecil Taylor selbst hätte gerne noch etwas lauter abgemischt werden können.

Cecil Taylor und Andrew Cyrille würde man in „Pacific Rim“ einen Jaeger anvertrauen, so sehr handeln sie in ständigem Kontakt zueinander. Die Soli der Mitstreiter nehme ich nicht als Soli wahr. Sie sind eher sowas wie Motivfinder, Handlungsvorschläge, Strukturreformen und Kommentare. Sie werden oft aufgenommen oder wohlwollend toleriert und ermutigt. Immer werden sie respektiert. Schön sind auch die ruhigen Stellen, wenn es weniger dicht zugeht, ohne das ein allgemeines Energiebritzeln, das über der gesamten Platte liegt, an Intensität verliert. Saxophone und Trompete haben immer mal wieder richtig schöne Melodieteile in ihrem Spiel. Die zweite Seite dann hat eine andere Färbung, ist fordender, zerriger. Immer in einem dichten, enorm attraktiven Gruppensound. Exzellente intensive, erstaunlich unnervige Platte.