Antwort auf: The Sound of German HipHop

#10458669  | PERMALINK

irrlicht
Nihil

Registriert seit: 08.07.2007

Beiträge: 31,448

Das wird jetzt ein langer und persönlicher Beitrag. Aber danach ist das Thema für mich hier auch irgendwie durch.

Ich bin immernoch erstaunt darüber, was für Personen sich hier mittlerweile tummeln oder gar für Ihre Äußerungen frisch anmelden. Primär User, die gegen HipHop (auch abseits des hier besprochenen Untergenres) oft Vorurteile geäußert haben in den letzten Jahren, sich hinter Ironiegebärden und Witzeleien verstecken, ohne je konkret zu werden, mindestens aber mit all dem eigentlich eh nichts anfangen können und sich auch nie ernsthaft die Mühe gemacht haben, sich einer derart großen Szene unvoreingenommen und mit Interesse zu nähern. Das finde ich mindestens befremdlich, da die Protagonisten, um die gerade ein Inferno ausgebrochen ist, hier selten bis nie eine Rolle gespielt haben. Eigentlich ist es sogar völlig daneben, mir würde es nicht im Traum einfallen, so große Töne zu spucken, wenn mein Bildungsstand auf einen Bierdeckel passt. Wenn es um einzelne Songs gehen würde, wäre das alles kein Thema, aber große Grenzziehungen wirken eben einfach noch stilvoller, nicht wahr?

Zum besseren Verständnis: Ja, HipHop kann sexistisch, homophob und intolerant sein – wie jedes andere Genre in der Kunst auch. Gerade die Battlekulturen von KOTD bis DLTLLY zeigen doch aber auf, dass man mit stumpfer Provokation allein heute längst keinen Sieg mehr erzielt (wenn wir vom Format Live Battle ausgehen). Der Trend ist eher der, dass gerade das Battlegenre zunehmend humorvoller wird, freier, dass es Wortwahl thematisiert, sprachliche Unzulänglichkeiten analysiert, selbst generische Beleidigungen folgen heute einem gewissen „Qualitätsanspruch“. Die Szene reinigt sich von Jahr zu Jahr selbst, dazu bedarf es keiner Gesetze und keinen gönnerhaften Ratschlägen von irgendwelchen Hohlbirnen, die im Feuilleton Bergpredigten halten.

Man kann nun fragen, wer sowas braucht – die Antwort ist einfach: Millionen von Menschen auf dieser Welt, mich eingeschlossen; und vermutlich zieht jeder etwas anderes daraus. Für manche ist Battlerap ein Sport, für andere Selbsttherapie, für die nächsten der reine Spaß an Sprache und Technik, manche bewältigen damit ihren Menschenhass oder legen ihr zerklüftetes Leben offen. Dass HipHop, eine Kunstform, die im Kern immernoch Subkultur, Community, each-one-teach-one und Toleranz bedeutet, auch von einigen Trittbrettfahrern bevölkert wird, ist natürlich auch klar. Nicht jede Person, die schnell Texte runter rattern kann, ist Teil der Community – die Differenzierung zwischen HipHop und Sprechgesang ohne Anknüpfpunkte zu irgendwas ist ein wichtiges Element im Rahmen der Diskussion. Ich finde es grotesk, dass der Großteil bei Rap aus Deutschland lediglich auf Namen wie Blumentopf und Fanta4 kommt. Tut mir ja leid, aber dass entspricht haargenau der Klientel, die auch Ami HipHop eigentlich total langweilig findet, außer halt Eminem, der hats schon echt drauf. Das ist quasi der Lackmustest für bürgerliche White guy Nullchecker (hat auch nichts damit zu tun, dass Eminem tatsächlich einmal großartig war und „Lose yourself“ einer der wichtigsten Tracks meiner Biographie ist).

Poetry Slam ist schließlich auch nicht Rap. Und wie schon einmal gesagt: Leute wie Kollegah genießen nach meiner Erfahrung zwar Heldenstatus im Bizz mit goldenen Platten und Echoehrung, sind aber innerhalb der Szene zumindest diskutabel. Kollegah hat als Künstler begonnen, der eben nicht nur exquisit reimen konnte, sondern auch einen gewandten Flow mit sich brachte – und zumindest in frühen Jahren auch einen angenehmen Humor besaß, den ich bis heute goutieren kann. Über die Jahre hinweg wurde zwar die Kette immer dicker, die Inhalte und Wortspiele aber zunehmend austauschbarer – an die Stelle von Kreativität trat die „Bosstransformation“, Körperkult und reine Technikfixierung. Wie ebenfalls geschrieben: Der Mann wurde unlängst von seinem eigenen Image gefressen und ist damit für mich als Künstler von sich selbst gegeißelt und uninteressant gewordden. Farid Bang war für mich als Künstler nie interessant genug, um auch nur ein Album anhören zu wollen, auch wenn er hinter den Kulissen ein unterhaltsamer, durchaus selbstironischer Bursche ist.

Gegen Gewalt in Texten ist für mich nichts einzuwenden. HipHop hat mir durchaus in den tiefsten (und höchsten) Phasen meines Lebens sehr geholfen. Dabei die richtigen Worte zu finden, wieder Kraft zu schöpfen, sich verstanden zu fühlen und vielleicht auch einfach einmal purer Wut freien Lauf zu lassen, das war gut, das war wichtig, das war genau die Art der Artikulation, die es gebraucht hat. Irgendwann spürt man nicht nur den Beat, sondern jede Silbe, den Flow an sich – es hat schon seinen Grund, warum aufmerksame Rapper in Formaten wie dem Punchline Quiz ihre Kollegen allein anhand der Patterns, Wortwahl und Eigenarten im Text unterscheiden können. HipHop ist eben nicht geschönte, charmant formulierte Wut über zwei Ecken gedacht, sondern manchmal auch ungefiltert. Oder eben doch durchdacht. Oder über drei Böden bis aufs Dach. Es gibt so viele verschiedene Spielarten. Im Endeffekt hat das die Phase abgelöst, in der mich Schriftsteller von Tolstoi, über Bukowski bis Sartre sprachlich und inhaltlich inspirierten.

Wenn ich ehrlich bin, kann ich einem für mich großen Künstler wie Haftbefehl aber heute lauschen, ohne mich unterfordert zu fühlen. Man muss ein Gefühl für Sprache, für Wortwahl, für Stimmungen, für ganz subtile Vermischungen von Slang und mehr haben, um manchen Künstlern auf die Schliche zu kommen. Damit, Texte kurz quer zu lesen und sich an bösen Signalwörtern aufzuhängen (die sowieso längst ominipräsent sind, wenn man nicht gerade auf dem Mond lebt), ist es nunmal nicht getan. Es gibt Texte, die im ersten Moment wie purer Sexismus anmuten, bemerkt man die Zwischentöne, wird aber die Verletzlichkeit im Text sichtbar. Manche Tracks muten an wie homophobe Statements, kennt man die History der Künstler, erkennt man aber durch ein paar winzige Textbrüche, dass man es mit bösartiger, zynischer Doppelbödigkeit zu tun hat. Man muss sich zumindest im Klaren darüber sein, dass jeder Künstler, der wirklich mit beiden Beinen in der Szene steht Teil der Community ist, Teil eines großen Netzwerks aus Anspielungen, Zitaten, Würdigungen, Persiflagen und mehr. Im Battlerap ist das noch viel verbreiteter und komplexer. Ich verfolge seit Jahren fast jedes Battlerap Event im deutschsprachigen Raum – gerade in den letzten ein, zwei Jahren konnte man (vielleicht sogar leider) kein Battle mehr verfolgen – und es verstehen – wenn man die ganzen Rollenkonstellationen und Anspielungen nicht kannte. Förmlich jede zwei Punchline, teils auch die reinen Generics sind gespickt davon. In diese Szene muss man „reinwachsen“, anders geht es nicht. Humor funktioniert hier auch nach einem ganz anderen Schema. Manchmal wird sich verball gehäutet und danach sitzt man bei einem Bier zusammen, weil einen die Sprache eint, nicht trennt. Nach außen hin mag das vielleicht alles banal anmuten, aber es spricht nicht unbedingt für sich, wenn unbedarfte Leute ernsthaft darüber philosophieren, ob KIZ mit „Doitschland schafft sich ab“ ein sexistisches Lied aufgenommen haben – und das ist nur eines der prominentesten Beispiele für einen Track, in dem es eigentlich genau um das Gegenteil geht: Männerdomänen, Hierarchien, Pantoffelhelden und als Twist noch ein hint zu Sarrazins Rassenlehre.

Ansonsten finde ich es weiterhin extrem anmaßend, dass HipHop gefälligst politisch zu sein hat. Ich wünsche mir eine freie Kultur, die nicht – nur weil sie Sprache eben als zentrales Ventil nutzt – besser oder schlechter oder eloquenter als andere Spielarten der Musik sein muss. So Anmerkungen kommen dann gerne auch noch gerade von Leuten, deren Schreibskills selbst im untersten Mittelfeld liegen und denen Lyrics sonst absolut scheißegal sind. Dass ist die gleiche Art sich ins Knie zu schießen, wie über die Sprachfertigkeiten von Migranten zu greinen und den Untergang der germanischen Kultur zu prophezeiten, aber verdammt nochmal keinen einzigen geraden Satz zustande zu bringen. Ziemlich effekthascherische Arschlochhaftigkeit jedenfalls, so vong Stil her.

Ich achte bei Musik sehr auf Lyrics – und ich bleibe dabei: Einige der stärksten Lyricsits finden sich hier, teils auch im Gangsta Rap. Unheimlich viel Diskriminierung, Gewaltverherrlichung und Alltagsrassismus gleichermaßen auch im Pop, im Schlager, im Rock, im Metal ohnehin. Da fällt es aber meist nicht ganz so dominant auf, weil die Wortwahl einen Tacken anders gepolt ist. An die Stelle von Frauen mit fetten Titten, die als geile Fickstuten auf dem Porsche stilisiert werden, treten schmierige Fantasien von Frauen mit Besen, die gesichtslos ins zahme Geschlechterbild früherer Jahrzehnte eingebettet sind. Prinzessinen, die nur darauf warten, dass ihr Bänkelsänger um die Ecke kommt und sie sich dem tollen Typ nur noch hinzugeben brauchen. Hach, so traut, als wäre seit 50 Jahren keine Zeit vergangen.

Das ist generell ein riesen Problem in dieser Gesellschaft: Diese abartige Schönrederei und Doppelmoral. Ich kann kaum in die Stadt fahren, ohne nicht irgendnwann mit Alltagssexismus konfrontiert zu werden, in irgendeinen Club sowieso nicht. Wenn es um Schwule geht, sinds in erster Linie auch „ganz nette Leute“ oder die „süßen besten Freunde“. „Alle lieben Kinder, alle gehen Blutspenden“, frei nach OK Kid. Bis die Kinder eben zerhackt im Blumenkasten liegen. Wenn etwas eine Illusion ist, dann eben doch die zivilisierte Welt. Gesetze halten den Großteil der Menschen davon ab, sich nicht wegen einem Platz weiter vorne in der Schlange das Hirn rauszuprügeln oder die Freundin kaputt zu vergewaltigen oder gleich zu hängen, sollte sie mal in eine andere Richtung flirten. Frauen haben kleiner zu sein und wenn eine zu taff wird, hagelt es das große Gequengel. Schon traurig, diese selbstständigen Menschen.

„Die Ronjas von damals verdreschten ihre Kinder/Die Ronjas von hier schreiben Bücher über Tinder“. Und eben auch das: Übersexualisierung, wohin man schaut. Flatrate-Puffs, stetiges Wachstum des Pornobizz, von den ganzen subtileren Medienmechanismen der Medien- und Werbelandschaft ganz abgesehen. Nähe und lange Partnerschaften sterben nach und nach aus, Seitensprünge sind eher normal, als die Regel, anstelle dessen werden die Striche in den Bettkasten gerizt. Bei Frauen genauso, nebenbei gesagt. Alles deutscher Alltag. Man muss dazu aber vielleicht auch sagen, dass ich mehr Frauen kenne, die HipHop zu deuten wissen, als Männer. Es ist chic geworden, zu den moralischen Yuppies zu gehören, die auf der Studiparty Hannah Arendt zitieren, um dann im Darkroom später doch die kleine Blonde zu befummeln. Und auch all die lieben Asylanten mögen wir, mit Hashtag auf Insta gepostet wächst die neue Liebe glatt bis in den Olymp. #fuckyou

HipHop ist zwar was das Verhältnis der Künstler anbelangt immer noch eine Männerdomäne, was die Fans anbelangt aber nicht. Es war wohltuend erst gestern mit einer Freundin zusammen zu sitzen, die munter Savas‘ „LMS“ runter rappen konnte und sich dabei vor Spaß an den absurden Lines fast weggeschmissen hat. Auch in der Szene, seit mehr als einem Jahrzehnt. Man darf Frauen durchaus zutrauen, dass sie unterscheiden können, was (wirklich) sexistisch ist und was nicht. Man sollte zum Schlagstock ausholen, wenn einem Mädel wirklich Gefahr droht, man tut der Thematik aber keinen Gefallen, wenn man großväterlich Frauen direkt das Denken abnehmen will und sie vor den bösen Worten zu schützen gesucht. Ist vielleicht auch ein Generationenthema oder halt das von choosefruit, der mit 15 schon 60 war. Ich bin jedenfalls manchmal erstaunt, zu was für hüftsteifen Nettchen Frauen in Kommentaren stilisiert werden, da wird mir ganz anders – so lieb und gewählt im Ausdruck, da Sterben beim Hören von Gangsta Rap vermutlich direkt die Ohren ab. „Fotze“ sagt da nie eine, sind ja Akademikermädchen. Ziemlich groteske, weil eskapistische Weltsicht.

Die Kehrseite der Sache: Das ist der Inbegriff von Sexismus, der Inbegriff von jeglicher Fähigkeit Menschen gleichberechtigt und gleich mündig wahrzunehmen. Was auch ein Grund ist, der mich an einigen linksorientierten (aber eigentlich strunzdummen) Tracks mittlerweile enorm stört: Diese elendige Selbstverliebtheit, diese schmierige Imagepflege. Du hast nichts zu erzählen, dann schreib einen Text über die armen Frauen, das liegt gerade total auf den Gleisen des Zeitgeists. Oder hör gleich intellektuellen Rap und profiliere dich damit, denn den gibts ja auch, weißte. Prinz Pi und so! Weg damit, Schmutz. Ist fast immer verkappter, erzkonservativer Alltagsrassismus, der sich zwar als progressiv tarnt, aber eben genau das nicht ist.

Ja, auch HipHop braucht vielleicht einen Diskurs um Worte, weil Worte mächtig sind – es ist aber fadenscheinig etwas von einer Szene zu verlangen, die man ja noch nicht mal kennt, was sich aber sonst täglich ungeschönt Bahn bricht. Ohne dass es einen #aufschrei gebe. Das ist auch das, was Rag vermutlich mit der eigentlich wahren Dominanz der Mehrheitsgesellschaft meint, die sich als Minderheit stilisiert (grobe Umschreibung). Man verlagert einfach die Zuteilung: Nicht die Gesellschaft ist insgeheim immernoch an allen Ecken und Enden homophob und frauenfeindlich – und HipHop ein kleiner Teil davon -, nein, ein paar Rapper sind es – und die verkaufen halt so immens viele Platten und deswegen muss man sich dagegen ganz schnell zur Wehr setzen, sonst…ja genau. #fuckyou.

Das ist genau das gleiche hohle Schema, wie in der Flüchtlingsdebatte auch: Man pickt sich ein paar miese Gestalten aus der muslimischen Gemeinde raus, stilisiert sie zur Invasion, der man Einhalt gebieten muss – zum Schutz der Werte, es geht schließlich um Frauen, um unsere Rentner und die Sprache (also fast das Gleiche; überall dieser Sittenverfall)! Und plötzlich wird eine einzige Moschee zum Todesstern der Stadt. Wenn sich das nur ausweitet, dann muss Helena 2020 doch Kopftuch tragen, wimmert Vater Ludwig. Dabei hat Deutschland primär kein Problem mit islamistischem Terror, sondern zunächst mir Rechtsextremismus. Täter-Opfer Umkehr, ganz klassisch.

Ich kann hier nur jedem empfehlen, Veranstaltungen selbst zu besuchen. Dazu Mags lesen, Blogartikel lesen, die Musik hören, die Künstler kennen lernen, Interviews schauen. Sich einfach Mal wirklich ein Bild machen. Nicht nur alle sechs Monate einen Skandal verfolgen, wenn irgendein Vogel irgendeinem anderen Vogel den Kiefer gebrochen hat. Das hat immer so was von schaulustigem, ekligem Gala Voyeurismus.

Ansonsten gilt das, was immer gilt: Wenn man keine Meinung zu etwas hat, kann man auch einfach mal die Schnauze halten. Inhaltsleere Worthülsen braucht niemand und aus Langeweile einen Thread zu zerschwafeln muss auch nicht sein.

--

Hold on Magnolia to that great highway moon