Antwort auf: The Sound of German HipHop

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irrlicht
Nihil

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bullschuetz Man könnte sich ja mal fragen, ob ein musikalisches Subgenre, das widerliche Geschmacklosigkeit und gezielte Provokation zu einem wesentlichen Stilmittel und Aufmerksamkeitsmarketinginstrument macht, nicht eigentlich der letzte Scheißdreck ist. Ich finde es billig, jetzt auf die hiphopfernen Alten zu schimpfen, die mal wieder nichts verstehen und sich nur alte Schaltjahre dazu äußern. Ich finde harsche Kritik an egozentrischen Deppen wie Farid Bang und Kollegah, die eine von mir hochgeschaetzte Kunstform namens Hiphop in den Dreck ziehen, jedenfalls sehr gerechtfertigt. Und wer sagt, dass solche Sprüche nun mal zur Hiphopkultur gehören und als Genremerkmale zu akzeptieren seien, der kann dann ja auch sagen: Bei Neonazirock ist Hetze nunmal ein Genremerkmal, und wer sich daran störe, sei ein Nichtsblicker.

Mehrere paar Stiefel, ein Versuch:

Ein großes Problem, was ich in Deiner Argumentation sehe, ist, dass Du den Anteil speziell dieser Attitütde überhöhst. HipHop ist meines Erachtens nach, gerade in Deutschland, Subkultur – große Teile der Künstler, die ich für relevant und inspirierend halte, finden allenfalls mal in der JUICE oder anderen Szenemags statt, im Fernsehen oder der SZ sicher nicht. Das, was an die Oberfläche treibt, ist eben das, was mit ordentlichem Beat zu dem Bereich zählt, der mit Gewaltinszenierungen um sich wirft oder auf der anderen Seite die gegenwärtige, teils zum Schlager abdriftende Cloud-Rap Dadakultur, die lange nach dem abgrenzenden DIY Prinzip funktionierte, aber allmählich auch vom Kapitalismus gefressen wird. Ich kenne persönlich keine Leute „in der Szene“, die Leute wie Kollegah feiern würden – vielleicht mal für einen guten Beat, ein cleveres Wortspiel oder eine sauber geflexte Flowpassage, aber eben nicht für den Charakter. Felix Blume ist ein eitler Typ, mal für einen guten Spruch zu haben sicherlich, der aber nie verstanden hat, das Reime dazu dienen eine Atmosphäre zu erzeugen und nicht einfach nur Selbstzweck sind. Dieser ganze Körperkult, diese ganze Spezialisierung auf sauber gereimte Siebensilber usw. – das ist viel zu technokraitsch, viel zu bürgerlich, viel zu weit weg von der Szene selbst. Das ist bei Farid sicherlich ein wenig anders, seit er die Bosstransformation gewählt hat, sind die Stile aber sowieso immer weniger unterscheidbar.

In dem Sinne: Das „Subgenre“ toleriert das mitnichten. Es gab zuletzt große Artikel zu Antisemitismus und Frauen im HipHop – und es gibt Dutzende, Hunderte Künstler, denen Aufarbeitung und Gleichstellung ein zentrales Anliegen sind (welches stilistische Mittel sie dafür auch wählen). Die finden beim Echo aber nicht statt – Harry hat dazu alles Wichtige schon geschrieben. Und er hat einen sehr wesentlichen Teil ebenfalls angesprochen: Ich lebe lieber mit Gewalt, Prostitution, Sexismus direkt vor meinen Augen. Deutschland ist von einem Land, das wirklich tolerant wäre, ob es um Gender, Homosexualität oder Hautfarbe geht, noch Jahrzehnte entfernt. So zu tun, als wäre Gangster Rap die Eisspitze des Ekels, während man die fotogeshoppte Tageszeitung mit der lächelnden Blondine aufschlägt, ist, nun ja, nettestensfalls Eskapismus.

Ansonsten stören mich übrigens keine Alten, die HipHop fern sind. Mich stören Leute, denen es einen großen Scheißdreck um die Kunstform, die Menschen dahinter, die Szene, die Beweggründe geht, sondern die nur alle paar Monate einen Skandal nutzen, um ihre unreflektierten Ressentiments weiter zu füttern. Ansonsten findet absolut keine Auseinandersetzung statt und man redet mit jedem Beitrag gegen eine Backsteinwand. Beatrix von Storch Syndrom.

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Hold on Magnolia to that great highway moon