Antwort auf: The Sound of German HipHop

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Ich bemerke aber, dass mir die Lust, bescheuerte Holocaust- und Schlampen-Sprueche zu verteidigen zusehends abhanden kommt. Warum kann man nicht einfach sagen, dass sowas grundbescheuert ist?

Vorab: Du benutzt Rap und HipHop synonym, oder? Gut. Bei fast allen von dir genannten Rap-Künstlern spielen provokative und transgressive Texte eine Rolle. Du erinnerst dich bestimmt an die Antisemitismus-Diskussion bei Public Enemy und die „Schlampen-Sprüche“ bei 2Pac, Snoop, Kanye oder Gang Starr? Hast du Eminem seine dummen, jugendlichen Lines über schwarze Frauen durchgehen lassen? Selbst ATCQ sind nicht so stubenrein, wie mancher Fan das gerne hätte. Bei Q-Tip kommt noch hinzu, dass er gerne von „the abstract“ und dem „love movement“ quatscht, aber keine Hemmungen zeigt, einem Wildfremden vor dem Studio den Kiefer zu brechen.
Ich behaupte: Rap ist eine konfrontative Kunstform, die echte Gewalt sublimiert – und das so ziemlich seit Beginn ihres Daseins. In manchen Subgenres wird über die Strenge geschlagen, grundsätzlich herrscht aber ein aggressiverer Vibe als in der Popmusik.
Ich sehe da auch einen bemerkenswerten Unterschied zwischen den USA und Europa: Wer aus seiner Heimat entführt, versklavt, gedemütigt und ausgebeutet wurde, ohne 400 Jahre später auch nur eine Entschädigung in Aussicht gestellt zu bekommen und weiterhin als Bürger zweiter Klasse (seiner Kultur und seiner Traditionen beraubt) dem Überlebenskampf des Molochs ausgesetzt ist, hat jedes Recht seine prekären Lebensumstände, die Gewalt, das Verbrechen, darzustellen, radikale „Kill Whitey!“-Rhetorik zu vertreten und die „redneck cracker honkeys“ mit Hohn und Spott zu überziehen. Rap in den USA ist so krass wie die Lebensumstände der durch die Mehrheitsgesellschaft Unterdrückten.
Damit kann man in Deutschland nicht argumentieren. Der kompromisslose Vibe ist aber einer der Gründe, die Rap auch in Europa so attraktiv machen. Dieses „Scheiß auf euren gesellschaftlichen Konsens, eure Werte, eure Moralvorstellungen“. Manch einer vergaloppiert sich dann, das ist aber kein Grund ein ganzes Genre (Battle-Rap? Gangsta Rap?) zu verunglimpfen.
Im Falle von Kollegah und Farid fällt mir die Verteidigung schwer, weil ich die Musik für ziemlich beschissen halte. Wenn Taktlo$$ aber 1998 rappte „Der Fernseher ist an. Ich freue mich über Tote im KZ, die Vergewaltigung im anderen Kanal ist auch ganz nett“, vermute ich da keinen Antisemitismus. Das ist eine auf deutsche Verhältnisse zugeschnittene Provokation. Wer sowas geschmacklos findet, dem bieten sich genügend Alternativen im deutschsprachigen Rap. Ist halt auch eine Humorsache: Manche Menschen kommen auf schwarzen Humor nicht klar. Und vielleicht auch ein Problem der Kunstrezeption, denn es gab z.B. auch auffallend viele Zuschauer, die in Paul Verhoevens „Starship Troopers“ einen faschistoiden Propagandafilm sahen.
Nicht zu vergessen, dass es hier um den ECHO geht, einen Preis, der dem Verwertungsgedanken des Kapitalismus folgt und sich damit keine Kritik an Inhalten leisten kann. Der Erfolg zählt, die Verkaufszahlen. Deshalb nehme ich es diesen Heuchlern auch nicht ab, dass sie eine Ethik-Kommission einberufen – nur um die Preise dann doch an Frei.Wild und Kollegah zu vergeben. Wozu der ganze Mummenschanz? (Und Campino hätte besser mal erklärt, warum ein Punkrocker sich als Hampelmann für die Schlagerindustrie hergibt, anstatt Phrasen über Homophobie und Rassismus abzusondern.) Wie auch immer: Am Wochenende konnten sich alle über ihre humanistischen Ideale freuen, mit dem Finger auf ein paar Rapper zeigen, um am Montag dann wieder im Betrieb zu mobben und abends der Familie zu zeigen, wer der Patriarch ist.

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