Antwort auf: Ich höre gerade … klassische Musik!

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gypsy-tail-wind
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clasjaz
Heifetz, klar, ist schon auch klar, da wäre dann auch noch ein früher Kremer und so viele andere … ich nannte die frühe Menuhin-Aufnahme nur deshalb, weil da auf einmal und sofort etwas klar war. Das dürfte für jeden anderen ganz anders sein, womöglich auch HIP-Einspielungen. Um es andersherum aufzuzäumen: Es gibt Werke, deren Interpretationen Grenzen in persönlichen Erfahrungen haben, die sie kaum noch überschreiten können. Womit sich, natürlich, sofort irgendwas Logisches in den Schwanz purzelt.

Kremer kenne ich nach wie vor nicht so gut bzw. eher mit Repertoire von den Rändern als aus der Mitte. Und klar haben solche Dinge immer Wurzeln im Biographischen, und sei dieses noch so daherfabuliert und ausgeschmückt, das tut man ja auch wenn man mit sich alleine ist, man schafft sich halt seine Erzählungen – jene, die man gen aussen trägt und jene, die man für sich behält. Und bei mir spielen da die Konzerte von Bach eine keine Rolle, die Violinsonaten (also die ubegleiteten) und die Cellosuiten aber sehr wohl – letztere, mit Casals, waren eins meiner „Urerlebnisse“, womit wir wieder bei dieser Geschichte, den Geschichten sind. Das WTC von Gulda zählt da auch dazu, die Goldbergs von Gould ebenfalls (die 1955er).

clasjaz
Café Zimmermann, obwohl ich es nur aus dem Radio kenne, bin ich immer sehr zugetan, aber das Punctum ist bei mir mit den Violinkonzerten eben eingelöst oder verspielt. Ich kenne nicht alle „Wiedergaben“ (oder „Widergaben“?), die Du noch nennst, aber selbst die, die ich noch nennen würde, wären immer nur Abbild dieser ersten persönlichen Erfahrung.

Es gibt da ja auf alpha eine Reihe mit sechs (oder sind’s nur fünf?) CDs mit „Konzerten für mehrere Solisten“ – da sind dann auch die Brandenburgischen dabei und diverses anderes, aber das eine oder andere fehlt denn auch, weil das mit den „plusieurs“ wohl nicht gegeben ist … so genau verstehe ich das Prinzip nicht, könnte man wohl in den Booklet-Texten nachlesen (die sind netterweise auch in der Box alle enthalten). Aber egal, die CDs haben mir die Bach-Konzerte noch einmal ganz anders erschlossen, deshalb habe ich sie erwähnt – da fand ich dann plötzlich den unmittelbaren Zugang, den ich davor vergeblich gesucht hatte. Angehört habe ich die Einspielungen allerdings auch schon länger nicht mehr. Die Cuiller-CD kam dann letztes oder vorletztes Jahr mal eher ungeplant dazu und die haute mich dann wirklich ganz spontan um, aber eben: das ist nur eine CD, daher auch nur eine Auswahl.

clasjaz
Trotzdem kenne ich gewiss keine Sakrilege. Aber auch bei den Klavierkonzerten, teils Dubletten der Violinkonzerte, bin ich schlicht aufgezäumt: reiche mir den Gould und ich reiche Dir die Hand. Bei allen anderen bisher genügt das Vergnügen an Bach selbst, der sich dann jeweils aus dem Imaginären melden muss, weil sie es auf Erden mit HIP oder diesen oder jenen Details zu tun haben.

Hinter Gould muss ich mich ja wirklich einst intensiv machen … das ist eins von vielen solchen Hörprojekten (andere, ohne Reihenfolge: Walter, Bernstein, Mahler, Puccini, Callas, Tebaldi, Reiner, Munch, Monteux, Scherchen). Bisher geht es mir aber eben auch mit Goulds Einspielungen so, dass da gewisse Vorbehalte bleiben bzw. das unmittelbar angesprochen Sein fehlt.

clasjaz
Viel mehr Probleme als Du habe ich allerdings bei den Vokalwerken, ich meine die Interpretationen, die wenigen, die ich im Vergleich zu Dir kenne. Bei ihnen kann man viel mehr „falsch“ machen als bei den puren Instrumentensachen, schien und scheint mir. Ich meine das gar nicht von oben oder so, ich stehe da einfach immer wieder vor einem Rätsel. Ich bin froh für die h-Moll-Messe, dass es Corboz gibt, für Kantaten danke ich diesem und jenem und jener, usw. Aber das zerläuft sich für mich viel mehr ins Ungewisse, als ich aus irrationalem Gedöns gewiss bei den Violin- und Klavierkonzerten bin. Und vor allem bei der dritten Gamben- oder Cellosonate, zweiter Satz.

Hm, bei den Vokalwerken bin ich irgendwie völlig offen, da unterscheide ich nicht einmal zwischen richtig und falsch oder geht und geht nicht, denn irgendwie bilde ich mir da jeweils ein, das Werk hinter der Interpretation zu „erkennen“ – auch eine (Auto)Fiktion, schon klar, aber solche DInge spielen halt beim Hören eine Rolle. Die Kantaten aber einmal komplett zu hören ist auch so ein Projekt – hatte das ja mit Gardiner über vier oder fünf Monate (ungefähr von Weihnachten bis irgendwann nach Ostern) getan vor ein paar Jahren (als Ostern nicht so früh fielen wie heuer). Gerade habe ich da auch die Pionier-Einspielung von Harnoncourt/Leonhardt geordert …

clasjaz
Die Pausensache bei Schnabel. War das nicht Burghart Klaußner, der sich für die Einstreuungen hergegeben hat? Egal, die Rede ging jedenfalls so, dass man Schnabel die falschen Töne zuweilen gerne vorhielt, worauf er sagte, mag sein, dass andere sie besser spielen, aber er könne die Pausen besser spielen. Und das genügt ja auch.

Das weiss ich nun wirklich nicht mehr … aber der Pianist, der das im Film dokumentierte Konzert auf die Beine stellte (um das herum der Film ja gebaut ist), heisst Markus Pawlik (er war das mit den Pausen aber nicht, glaube ich):
https://www.bechstein.com/die-welt-von-bechstein/pianisten/markus-pawlik/

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