Antwort auf: Konzertimpressionen und -rezensionen

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gypsy-tail-wind
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Zürich, Tonhalle-Maag – 12.02.2018
Rezital Maurizio Pollini

Maurizio Pollini Klavier

Robert Schumann
Arabeske op. 18
Allegro h-Moll op. 8 für Klavier
Konzert ohne Orchester f-Moll op. 14

Frédéric Chopin
2 Nocturnes op. 55
Klaviersonate Nr. 3 h-Moll op. 58

Zugaben: dreimal Chopin (eine Ballade – Nr. 1 G-Dur? – , eine Polonaise oder ein langes Prélude oder Mazurka (?) und ein Walzer – Op. 64/2?)

Maurizio Pollini mit Schumann und Chopin … ich hatte ja meine Zweifel, ob ich wirklich hingehen soll, überhaupt datiert mein Versuch, an Pollini heranzukommen, erst seit letztem Sommer, als ich mit Alexander Hawkins und wenig später mit einem anderen, sehr alten Freund, über seine Aufnahmen sprach und beide aus diversen Gründen für ihn schwärmten – Hawkins gerade auch von einem Konzert in London. So kaufte ich dann vor Monaten schon eine Karte, erste Reihe, Pollini sass drei Meter vor mir, dafür hatte ich keinen Blick auf die Hände, aber das war mir egal. Los ging es mit Schumann – dem frühen diesmal, den man nicht so einfach mit den späten Sachen in Verbindung setzen mag, die ich letzte Woche hörte – aber Schumanns Klaviermusik im Konzert zu hören war eine Novität für mich, und das passte schon sehr gut. Wie stark Pollini mit der Dynamik arbeitet, wie tief er in der Musik drinzustecken, ja in ihr beinah zu verschwinden scheint, war schon eindrücklich.

Dass er einen ungewöhnlichen Pedaleinsatz pflegt, hatte Hawkins erwähnt, und das konnte ich dann auch bestens sehen – manchmal schnellten seine Füsse nach vorn, er stampfte mit dem rechten Absatz auf den Boden und attackierte das Fortepedal, das überhaupt oft eingesetzt wurde. Manchmal sollte es gewiss die eine oder andere Unsauberkeit in der Phrasierung verwischen, aber meist diente der Pedaleinsatz der Dramaturgie, der feinen Ausgestaltung der Musik. Dabei sang und summte Pollini die meiste Zeit hörbar mit, manchmal kam da auch eher ein Grunzen, das fast schon an Keith Jarrett erinnerte. Der Schumann – besonders die hübsche Arabekse zum Auftakt – mag alles in allem ein wenig dem Aufwärmen gedient haben, die dreisätzige Sonate war eindeutig der Höhepunkt.

Nach der Pause folgte Chopin, und da ging es nun richtig und kompromisslos zur Sache, besonders in der dritten Sonate (in den Nocturnes brauche ich Pollini wohl nicht, auch wenn das live unendlich dynamischer und farbiger war als es mir auf CD bisher erschien). Manche Passagen schien er zu sezieren, mal liess er die Hände, die Finger auseinandergleiten, fächerte die Musik auf, dann schienen wieder zwei Tempi nebeneinander zu laufen, ohne je wirklich zusammenzufallen … das war enorm faszinierend und bewies auch, dass es mit der Technik doch noch ziemlich gut klappt.

Beim Applaus stand bald der ganze Saal, nach drei oder vier Abgängen setzte er sich hin und spielte – eine der Balladen (Nr. 1 glaube ich? Mochte gestern den Rechner nicht nochmal hochfahren oder CDs durchwühlen und jetzt sitze ich im Büro und die Erinnerung an konkrete Melodiefetzen ist schon etwas verblasst). Bei einer solchen Zugabe, denkt man, wird es dann aber auch gut sein, doch nein: nächste stehende Ovation, zweite Zugabe. Da dachte ich zuerst an eins der langen Préludes, es könnte aber auch eine kürzere Polonaise oder vielleicht gar eine Mazurka gewesen sein … vielleicht schreibt ja anderswo jemand drüber, der besser darin ist, Chopin-Piècen zu erkennen. Dann noch einmal dasselbe, Ab- und Aufgänge, stehendes Publikum, Bravo-Rufe, und als dritte und letzte Zugabe dann noch ein Walzer. Und die Zugaben waren so behutsam und zugleich so intensiv musiziert wie der Chopin davor, keinesfalls nur so hingeworfen. Die Balladen sind ja sowieso wunderbar, und auch einen Walzer lässt man sich so gerne gefallen. Beeindruckend.

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