Antwort auf: Konzertimpressionen und -rezensionen

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gypsy-tail-wind
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Huch, so viele Fragen … in Sachen Schumann gab es gestern eine grossartige Fortsetzung mit Christian Gerhaher, der im Rahmen seiner Probearbeit zur neuen Oper „Lunea“ von Heinz Holliger in Zürich weilt – die Oper bezieht sich (und der Titel ist ein Anagramm) auf Nikolaus Lenau, und Schumanns komplette Lenau-Vertonungen wurden wurden von Gerhaher und seinem Klavierpartner Gerold Huber im Rahmen eines „Gesprächskonzertes“ dargeboten, zudem ein paar Klavierminiaturen von Holliger über Elis-Verse von Trakl und auch Auszüge aus der ersten Fassung von Holligers Lenau-Werk (für Klavier und Stimme). Da ging es um die verschatteten Seiten, um die Anknüpfung, die das Spätwerk Schumanns bietet (Gerhaher meinte mehrmals, an gewissen Stellen hätte Schumann Holliger zitiert – letzterer war auch anwesend, u.a. weil ein spätes Schumann-Lied gesungen wurde, das möglicherweise gestern überhaupt erst zur Uraufführung kam, jedenfalls konnten Gerhaher/Huber und Claus Spahn, der Dramaturg, der das Gespräch leitete, nichts über frühere Aufführungen herausfinden). Doch dazu vielleicht morgen noch ein paar Zeilen und Details (ich habe das Programm nicht zur Hand, kann darum auch den Namen des betreffenden Liedes nicht nennen).

Was Faust betrifft, da war nichts historisches dabei vorgestern, also moderner Bogen usw. Glaube ich wenigstens, kenne mich da noch überhaupt nicht aus, aber den alten Bogen hätte man wohl an der Bauweise erkannt. Was mir bei ihrem Schumann sehr gut gefällt, ist das Schreiten im ersten Satz, der ja etwas sehr Karges hat, wenn das Romantik ist, dann wohl von der desillusionierten Art, von einer gewissen Trostlosigkeit, aus der aber auch eine Art Unbedingtheit erwächst, fast schon ein Zwang – das geht weiter, und weiter, und noch weiter, und es lässt sich nicht aufhalten. Klar gab es Vibrato und das eine oder andere Portamento (davon war mir bei Mendelssohn jedenfalls zuviel, und das war dort auch nicht immer überzeugend ausgeführt, dünkte mich), aber Faust fand die perfekte Balance zwischen dem „Romantischen“ und dem „Modernen“, dünkte mich. Und ja, da hilft das kleine Orchester gewiss (das hatte sie letztes Jahr nicht, als sie Schumann mit dem Tonhalle Orchester und eben dem etwas planlosen Herrn am Pult spielte). Wenn hier Engel singen, dann sind es wohl Todesengel, Ausgelassenheit kann es ja auch beim Totentanz geben … und klar wurde getanzt, das gehört ja schon mit dazu, aber ich möchte das alles nicht zu programmatisch festlegen – das gilt aber wohl ganz allgemein für Schumannn. Gerhaher meinte gestern dazu, die Musik hätte quasi ihre eigene Wahrheit, etwas Auratisches – die ganze Bedeutungsaufladung ist da nicht nötig, jedenfalls nicht in so konkreter Weise, als dass ich mir jubilierende Barock-Putten vorstellen muss.

Die Orchestergrösse half wohl auch – aber eben: andere finden dann, Kammerorchester würden nicht passen für so ein romantisches Violinkonzert … bei Mendelssohn mag es für mein Empfinden auch daran gelegen haben, dass der Orchesterklang zu spröde war (und der Dirigent zu hart, ein grosser Fan von Heras-Casado werde ich wohl eher nicht mehr), aber bei Schumann passte das jetzt sehr gut – wobei eben auf modernen Instrumenten gespielt wurde, aber (das ist bei Norrington wohl üblich) das wissen um die historisch informierte Aufführungspraxis natürlich vorhanden war.

Was Norringtons Bemerkungen betrifft, er hat das schlau genug formuliert, als dass man ihm nichts anhängen kann … ich mag mich da auch gar nicht festlegen, es gibt ja grossartige Symphonien von Mozart und von Haydn, die letzten beiden von Schubert nahm Norrigton seinerseits wieder aus (das krasse aber: Schubert hörte keine seiner Symphonien jemals von einem ordnetlichen Orchester gespielt), die knüpfen ja sicherlich eher bei Beethoven als bei Mozart an, mit Brahms taucht ja dann wieder ein anderer Ton auf, während Mendelssohn auch nicht gerade als Beethoven-Fortschreiber betrachtet werden kann … wo Schumann in diese etwas gar schematische Darstellung passt, ist mir selbst nicht klar (zwischen Stuhl und Bank wohl, wie üblich – eingerichtet in der Unbehaustheit). Egal, ich will das Fass auch gar nicht auftun, es gibt bei mir Tage, an denen passen auch die leichtgewichtigen frühen Mozart-Symphonien perfekt, an anderen Tagen halte ich das kaum aus und muss sofort etwas anderes einlegen …

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