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Zürich, Tonhalle-Maag – 01.02.2018
Camerata Bern
Meesun Hong Coleman, Violine & Leitung
Kit Armstrong, Cembalo & Klavier
JOHANN SEBASTIAN BACH: Orchestersuite Nr. 1 C-Dur BWV 1066
JOHANN SEBASTIAN BACH: Klavierkonzert F-Dur BWV 1057
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JOHANN MARTIN KRAUS: Sinfonie C-Dur „Violin obligato“ VB 137
WOLFGANG AMADEUS MOZART: Klavierkonzert Nr. 22 Es-Dur KV 482
Gestern Abend wieder in der Tonhalle-Maag … besser als befürchtet – asiatisches Wunderkind etc. pp … doch Armstrong (Mutter aus Taiwan, Vater aus UK, geboren in Los Angeles) scheint dem Rummel aus dem Weg zu gehen, wirkte fast etwas linkisch, sagte vor seinem ersten Auftritt (BWV 1057) ein paar Worte (auf Deutsch) zur Entstehung des Klavierkonzertes als Genre, sehr sympathisch.
Für die erste Hälfte sass ich auf meinem Platz ganz vorne, etwas links der Mitte, was in BWV 1057 mit den Stereo-Flöten links und rechts des Cembalos etwas nachteilig war. Überhaupt war die Musik von Bach in der Konstellation nicht ganz einfach: das Cembalo war sehr leise, das Orchester drohte es immer wieder zuzudecken, zugleich musste das klein besetzte Orchester (4-4-2-2-1) doch ziemlich drauflosspielen, um den Saal überhaupt zu füllen. Armstrongs Fingerfertigkeit und Musikalität stand dabei jedoch nie zur Debatte und von meinem Platz ganz vorne konnte ich das Cembalo auch die meiste Zeit ganz gut hören – aber die rechts placierten zweiten Violinen und die zweite Flöte eben nicht so gut.
Nach der Pause sass ich zum ersten Mal im Saal, im hintersten Viertel wieder etwas links – klanglich ist das sicherlich besser als ganz vorne, allerdings hört man dort mit noch halbwegs frischen Ohren auch ganz leise die Lüftung – und viel mehr vom Publikum (vorne hört man dafür das Keuchen oder Brummen oder Summen des Dirigenten, zudem manchmal Schuhe auf dem Bühnenboden – aber das stört mich definitiv weniger, solange der Dirigent nur in lauten Passagen mitsummt oder -singt).
Aber gut, Kraus, die Sinfonie (sie läuft manchmal auch als VB 138 – auch in der Naxos-Reihe, die hier ungehört bereitliegt – und wird gerne „Sinfonia concertante“ genannt), war für mich das Highlight. Ein sehr erfrischendes Stück, in dem die Konzertmeisterin Meesun Hong einiges zu tun hatte und ihre Aufgabe mit Bravour erledigte. Hier – wie zuvor natürlich in der Orchestersuite von Bach – kam das Cembalo, etwas nach hinten geschoben, als Teil des Orchesters zum Einsatz, gespielt aber nicht von Armstrong sondern einem Zuzüger, der im Programmheft leider nicht einmal namentlich erwähnt wird.
Den Abschluss machte dann Armstrongs zweiter Auftritt mit KV 482, einem der unsterblichen Konzerte Mozarts … dafür wurde der grosse Bechstein-Flügel in die Mitte geschoben, das Orchester wuchs etwas an (nur noch eine Flöte, dafür zwei Fagotte, zwei Hörner, wenigstens je eine Oboe und Klarinette (die waren vom Deckel des Flügels verdeckt, ebenso die Pauke) … die Musik ist wundervoll, Armstrong hat auch den richtigen Touch dafür, es gab immer wieder bezaubernde Passagen. Aber es fehlte ihm oder auch dem Ensemble als ganzem das Gespür für die Architektur des ganzen Konzertes, das ja um die 35 Minuten dauert und daher auch etwas gestaltet werden muss … das Spiel ohne Dirigent mag manchmal völlig stimmig sein, hier war es das nicht so richtig, wohl auch weil Armstrong diese Rolle nicht übernehmen wollte (konnte?), es aber schon der Pianist wäre, der bei Mozarts Klavierkonzerten den Ton angeben muss, wenn sie denn ohne Dirigent aufgeführt werden.
Aber gut, es gab riesigen Applaus, der Saal war überhaupt fast ausverkauft. Armstrong spielte dann als Zugabe ein Choralvorspiel von Bach auf dem Flügel – ein ruhiger Ausklang, der sehr stimmig war. Weniger stimmig, dass wohl ein Viertel des Publikums davor schon aufgebrochen war … schade, dass die Leute nicht Respekt genug haben, um sitzen zu bleiben, bis der Künstler fertig ist.
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"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #163: Neuentdeckungen aus dem Katalog von CTI Records (Teil 2), 13.5., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba