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vorgartenerstmal schön, dass das alles hier doch noch thema wird, es gehört auch, wie ich finde, in einen jahresrückblickthread hinein – vor allem 2017, wo ja wirklich mal, wahrscheinlich ergebnislos, breit über sexismus in kulturinstitutionen geredet wurde. da passt die berklee-geschichte natürlich rein (danke @redbeansandrice), aber eben auch das, was berliner anspricht. das problem, was allen lowe nicht kapiert, ist wohl seine position, die irgendwie doch davon ausgeht, dass sie neutral sein kann – und dass informiertheit über sowas wie rassismus und sexismus stehen könnte. er muss keiner jungen vibrafonistin mit terry pollard kommen, sondern sollte sich vielleicht eher damit auseinandersetzen, warum es mit den frauenbands nach dem 2. weltkrieg in den usa ncht weiterging. solidarität und/oder klappehalten kann auch manchmal helfen.und natürlich schreiben auch wir darüber nicht „neutral“, obwohl wir uns von solchen kulturkämpfen vielleicht weit weg fühlen.
Ich war dann auf dem Heimweg von Indien und hatte (und habe) Anderes, Dringlicheres im Kopf – aber danke für den Hinweis auf diese (Jazz-)Debatte (anderswo habe ich das natürlich schon mitgekriegt).
Den Osby-Thread auf Org hatte ich sogar noch gesehen, als er losging – das ist ja schon länger her. Jedenfalls reden sich da ein paar Leute schon ziemlich um Kopf und Kragen (im Berklee-Thread vor allem), aber das war ja auch zu erwarten.
Das mit der Unmöglichkeit einer neutralen Position ist ein guter Punkt – aber Schweigen als Lösung, auch nur im Einzelfall, hmm. Vermutlich schon, aber das verhindert dann unter Umständen auch wieder andere/anschliessende Diskussionen.
vorgartenwas sex & erotik im jazz im zusammenhang mit sexismus (und homophobie natürlich, das hängt ja zusammen) angeht, geht es wohl kaum um die frage, ob man das nun zusammendenken darf oder nicht (wir dürfen als privilegierte zumeist männliche zumeist gebildete mitteleuropäer sowieso alles denken & sagen, es könnte nur manchmal peinlich werden). ich höre jazz, soviel kann ich sagen, grundsätzlich erotisch. das hat aber wenig (jenseits bestimmter präferenzen) mit marketingabteilungen und ihre ideen für cd-cover von jazzsängerinnen zu tun. und bei glasper haben wir natürlich auch mit einen nicht allzu komplexen begriff von erotik. das hängt aber meiner ansicht nach zusammen: im jazz (mehr als in anderen künsten, wo man vielleicht auf texte, choreografien o.ä. zurückgreift, das ist natürlich ein gradueller unterschied, ich weiß, auch ein „blues-schema“ ist ja ein text…) stellen sich traditionell männer relativ unvorbereitet an ein mikrofon, schöpfen aus sich selbst und machen sich angreifbar/schutzlos. so zumindest das selbstverständnis. und das ist in europäisch geprägten geschlechtertraditionen eher unüblich. und die psychohygienische gegenreaktion wäre dann mit glasper: nicht ICH öffne mich als musiker, sondern mit meiner musik öffne ich die ladys. und genau wie im sport (wo männer auf körper reduziert werden dürfen) tun die auf sich selbst gestellten und in ihrer emotionalität schutzlosen herren alles dafür, das das nicht weiblich oder schwul codiert wird.
Das mit dem Hören geht mir ähnlich – auch in der klassischen Musik, zumal jener bis ins 19. und frühe 20. Jahrhundert, danach bricht das mancherorts auf … aber das ist ja kein Zufall, denn der Jazz bezieht sich ja in 99% der Fälle auf Früheres, und selbst wo er das mal ausnahmsweise nicht tut, läuft noch vieles mit, was die Bezüge am Laufen hält.
Beim offenen Mikro sind wir wieder bei der „power of vulnerability“, wo dann Miles mit seinem auch nicht gerade astreinen Verhalten Frauen gegenüber ein Paradebeispiel wäre.
Aber etwas anderes, was mich wohl an der ganzen Debatte stört: der Ruf nach Schutzräumen, nach Warnungen … ja vor was denn, vor dem Leben? Vermutlich geht das ja anders nicht bzw. man muss mal einen ersten Schritt gehen können und nicht gleich direkt auf den Mond – aber damit verschiebt man ja das Problem nur, nimmt quasi die Mehrheitsgesellschaft aus der Verantwortung, weil diese ja dann in den meisten Fällen sich aus diesen geschaffenen Räumen auch bitte fernzuhalten hat – und ausserhalb dieser Räume eben auch nichts zu ändern braucht, weil „die haben ja jetzt bla bla …“ – Ich tue mich schwer damit, das als zielführend zu betrachten, aber eben: vielleicht ist es der einzige Weg, mit kleinen Schritten etwas zu verändern?
Und ich schäme mich fast schon, nachher in die Oper zu gehen.
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