Antwort auf: Jahresrückblick 2017

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vorgarten

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gypsy-tail-windDie Sexismus-Debatte … kann nicht sagen, sie in der kurzen Zeit wirklich nachgelesen zu haben, aber das Interview mit Glasper (interessant dort die Aussagen zu Kenny Kirkland aber auch zu Mulgrew Miller und Jason Moran und anderen) und die ausführliche Antwort von Sasha Berliner habe ich gerade gelesen. Eine Reaktion darauf fällt mir in mancher Hinsicht nicht leicht.

(…) aber die male-bonding-Statements, die er mit Iverson da abzieht sind schon von der übelsten Sorte, auch wenn die Ebene – da sind wir teils durchaus bei der Erotik, teils aber auch bei der rohen Sexualität … ist diese denn nun „animalisch“? auch wieder nur eine nette Abgrenzung, die es uns leichter macht, so zu tun als stünden wir darüber – des „deshalb machen wir ja Musik“ gewiss nicht völlig von der Hand zu weisen ist bzw. in vielen Fällen wohl *auch* eine Rolle spielt … und man das auch nicht einfach abstreiten/totschweigen/unter den Teppich kehren sollte, bloss weil es kein genehmes Gesprächsthema ist.

erstmal schön, dass das alles hier doch noch thema wird, es gehört auch, wie ich finde, in einen jahresrückblickthread hinein – vor allem 2017, wo ja wirklich mal, wahrscheinlich ergebnislos, breit über sexismus in kulturinstitutionen geredet wurde. da passt die berklee-geschichte natürlich rein (danke @redbeansandrice), aber eben auch das, was berliner anspricht. das problem, was allen lowe nicht kapiert, ist wohl seine position, die irgendwie doch davon ausgeht, dass sie neutral sein kann – und dass informiertheit über sowas wie rassismus und sexismus stehen könnte. er muss keiner jungen vibrafonistin mit terry pollard kommen, sondern sollte sich vielleicht eher damit auseinandersetzen, warum es mit den frauenbands nach dem 2. weltkrieg in den usa ncht weiterging. solidarität und/oder klappehalten kann auch manchmal helfen. und natürlich schreiben auch wir darüber nicht „neutral“, obwohl wir uns von solchen kulturkämpfen vielleicht weit weg fühlen.

was sex & erotik im jazz im zusammenhang mit sexismus (und homophobie natürlich, das hängt ja zusammen) angeht, geht es wohl kaum um die frage, ob man das nun zusammendenken darf oder nicht (wir dürfen als privilegierte zumeist männliche zumeist gebildete mitteleuropäer sowieso alles denken & sagen, es könnte nur manchmal peinlich werden). ich höre jazz, soviel kann ich sagen, grundsätzlich erotisch. das hat aber wenig (jenseits bestimmter präferenzen) mit marketingabteilungen und ihre ideen für cd-cover von jazzsängerinnen zu tun. und bei glasper haben wir natürlich auch mit einen nicht allzu komplexen begriff von erotik. das hängt aber meiner ansicht nach zusammen: im jazz (mehr als in anderen künsten, wo man vielleicht auf texte, choreografien o.ä. zurückgreift, das ist natürlich ein gradueller unterschied, ich weiß, auch ein „blues-schema“ ist ja ein text…) stellen sich traditionell männer relativ unvorbereitet an ein mikrofon, schöpfen aus sich selbst und machen sich angreifbar/schutzlos. so zumindest das selbstverständnis. und das ist in europäisch geprägten geschlechtertraditionen eher unüblich. und die psychohygienische gegenreaktion wäre dann mit glasper: nicht ICH öffne mich als musiker, sondern mit meiner musik öffne ich die ladys. und genau wie im sport (wo männer auf körper reduziert werden dürfen) tun die auf sich selbst gestellten und in ihrer emotionalität schutzlosen herren alles dafür, das das nicht weiblich oder schwul codiert wird.

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