Antwort auf: Pink Floyd

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go1
Gang of One

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lauster

herr-rossi Antisemitismus ist Rassismus. Ihm ging ein jahrhundertealter religiös motivierter Antijudaismus voraus, aber die Vordenker des Antisemitismus im 19. Jahrhundert haben diesen traditionellen Antijudaismus mit der damals aufkommenden, naturwissenschaftlich verbrämten Rassenlehre verbunden. Genau das ist ja der Grund, warum einen in der NS-Zeit schon eine jüdische Großmutter ernsthafte Probleme bescheren konnte, auch wenn man keinerlei Bezug zur jüdischen Religion hatte.

Insofern ist Waters Kritiker der Juden, aber kein Rassist.

 
Wieso „insofern“? Was hat Deine Schlussfolgerung mit der zitierten Definition des Antisemitismus zu tun? Zumal sie eh falsch ist, da Waters kein „Kritiker der Juden“ ist.

Waters kritisiert die israelische Besatzung und das, was er als „Apartheid“ in Israel bezeichnet – eine Position, die er mit vielen Juden teilt, die ähnliche Kritiken äußern. Er unterstützt die Menschenrechtsbewegung BDS, die gegen die Besatzung eintritt und für gleiche Rechte für alle Bürger der Region, jüdische und nicht-jüdische (eine Bewegung, die auch von vielen Juden unterstützt wird, meistens außerhalb Israels, von vielen Palästinensern sowieso). „Boycott, Divestment and Sanctions“ werden als Druckmittel gesehen, um einen Politikwechsel und eine Verfassungsreform in Israel herbeizuführen, weil das im Fall Südafrikas ja auch funktioniert habe. Was das mit Antisemitismus zu tun haben soll, is anybody’s guess. Diese Menschenrechtsbewegung als „antisemitisch“ zu verleumden, ist üble Nachrede, ein Versuch, politische Gegner mit Schmutz zu bewerfen.

Die Aussage, „ich wäre auch nicht im besetzten Frankreich aufgetreten oder in Berlin nach 1933“ (im Counterpunch-Interview) ist natürlich ein schwaches Argument, weil sie auf einem schiefen Vergleich beruht, aber so schief wird halt argumentiert, wenn es moralisch zugeht, wenn man wie Waters versucht, seine Kollegen moralisch unter Druck zu setzen. NS-Vergleiche sind eben das drastischste Mittel zu diesem Zweck. Mit Antisemitismus hat das aber nichts zu tun. Waters wird imstande sein, zwischen „Juden“, „Israel“ und „Zionismus“ zu unterscheiden (sein Angebot, nach dem Politikwechsel in Israel aufzutreten, zeigt das ja). Und sein Hinweis auf faschistoide Elemente in Israel, in der Siedlerbewegung und unter rechtsgerichteten Rabbinern, ist korrekt, soweit ich das beurteilen kann – solche Elemente gibt es. Der Rechtsruck in der israelischen Politik und die rechtspopulistische Regierung unter Netanjahu kommen ja nicht von ungefähr. Diese Aussagen von Waters als „antisemitisch“ zu bezeichnen, halte ich für arg weit hergeholt.

Antisemitismus ist die Verachtung von Juden als Juden, der Hass auf Juden, weil sie Juden sind, die Ablehnung von Juden als „Fremdkörper“, die „nicht hierher gehören“, „nicht zu uns passen“, „die uns schaden“, also gegen Juden gerichteter Rassismus – und nichts anderes. Das von Napo bemühte Zitat, das etwas anderes sagen soll, ist deshalb abwegig, weil es auf einem falschen Umkehrschluss beruht: Nur weil es Antisemiten geben mag, die es schick finden, Israel mit dem Dritten Reich zu vergleichen, ist noch lange nicht jeder schiefe Vergleich der israelischen Politik mit der von Faschisten ein Ausfluss von Antisemitismus. Schiefe oder überzogene Vergleiche sind erst einmal nur das und für sich genommen überhaupt kein Ausdruck irgendeiner Ideologie. Da müsste man viel mehr an Kontext beibringen, an verwandten und vergleichbaren Aussagen, bevor man „Antisemitismus“ diagnostizieren kann. (Auch die vielbeschworene „Delegitimierung Israels“ ist übrigens nicht antisemitisch, wenn dabei allgemein gültige Maßstäbe angelegt werden, die für alle Staaten gelten, und nicht versucht wird, aus Israel etwas Einzigartiges zu machen, eine Ausnahmeerscheinung. Wenn die Politik eines Staates auf Landnahme, Unterdrückung und ungleiche Rechte setzt, betreibt sie ihre „Delegitimierung“ selbst, und die Kritiker weisen nur darauf hin.)

Wer Roger Waters für einen „Antisemiten“ hält, sollte prüfen, ob sein Urteil wirklich auf soliden Belegen beruht – oder ob er womöglich einer Rufmordkampagne gegen Waters auf den Leim gegangen sein könnte. Das Engagement für einen guten Zweck, die Rechte der Palästinenser, ist ganz bestimmt kein geeigneter Beleg, und der Versuch, moralischen Druck für gewaltfreie Kampagnen gegen Besatzungsregime und „Apartheid“ aufzubauen, ist es genausowenig.

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